Immer weniger Heimarbeiter "Viele Chefs sind Kontrollfreaks"

Arbeite doch, wo du wohnst: Viele Vorgesetzte haben ihre Mitarbeiter aber lieber im Büro
Foto: Corbis
Karl Brenke ist Arbeitsmarkt- und Konjunkturexperte beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), für das er Heimarbeit in Deutschland analysiert hat. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die Lohn- und Einkommensentwicklung, Arbeitskräftewanderungen sowie Erwerbsverhalten und demografische Entwicklung.
KarriereSPIEGEL: Herr Brenke, die Zahl der Heimarbeiter ist in Deutschland in den vergangenen vier Jahren um 800.000 auf 4,7 Millionen gesunken . Dagegen ist in der gesamten EU die Zahl derjenigen gestiegen, die von zu Hause arbeiten. Wie erklären Sie sich die unterschiedliche Entwicklung?
Brenke: Das könnte zum Teil daran liegen, dass es in Deutschland relativ viele Arbeitsplätze in der Industrie gibt, die sich nicht für Heimarbeit eignen. Insgesamt lässt sich die gegenläufige Entwicklung dadurch aber nicht erklären, weil sich unsere Berufsstruktur von der in Schweden oder Großbritannien nur wenig unterscheidet. Vielmehr glaube ich, dass die Unternehmenskultur den Unterschied macht: Die Beschäftigten haben dort mehr Freiräume. In deutschen Firmen herrscht Anwesenheitswahn, viele Chefs sind Kontrollfreaks. Sie wollen, dass ihre Mitarbeiter von neun bis fünf am Schreibtisch sitzen. Das finde ich schade.
KarriereSPIEGEL: Warum?
Brenke: Weil Chefs nicht erkennen, dass sie dadurch Potentiale verschenken. Die Rechnung ist doch ganz einfach: Bekommen Arbeitnehmer Beruf und Familie besser unter einen Hut, steigt die Zufriedenheit - und das fördert wiederum die Produktivität. Heimarbeit zu fördern ist also nicht nur für viele Mitarbeiter gut - sondern letztlich auch fürs Geschäft.
KarriereSPIEGEL: Welche Länder stechen im europäischen Vergleich hervor?
Brenke: Die meisten Heimarbeiter gibt es in Island. Das könnte daran liegen, dass das Land dünn besiedelt und das Wetter oft schlecht ist. Vielleicht lassen Unternehmen ihre Mitarbeiter dort deshalb von zu Hause arbeiten. Überhaupt sind die skandinavischen Länder ganz vorne dabei, aber auch in Großbritannien und Frankreich gibt es viele Heimarbeiter. Deutschland liegt in diesem Ranking im unteren Mittelfeld.
KarriereSPIEGEL: 2008 erreichte die Zahl der Heimarbeiter in Deutschland ihren Höhepunkt, seitdem sinkt die Zahl kontinuierlich. Wie kommt das?
Brenke: Das ist mir ein Rätsel. Zumal die technischen Möglichkeiten besser geworden sind und es immer mehr qualifizierte Jobs gibt, die sich für Heimarbeit gut eignen. Da sind die Vorgesetzten am Zug. Sie sollten ihre Vorurteile abbauen und Heimarbeit stärker fördern.

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