Lieber fest als frei Zahl der Selbstständigen schrumpft

Arbeitsort Wohnzimmer: Selbstständigkeit lockt weniger Deutsche
Foto: CorbisArbeiten wann und wo man will, ohne Chef und feste Arbeitszeiten - das klang für viele Deutsche jahrelang verheißungsvoll. Entsprechend stieg die Zahl der Selbstständigen an, 2011 erreichte sie mit 3,9 Millionen ihren Höhepunkt. Doch dieser Trend ist laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) gebrochen. Seit 2012 nimmt die Zahl der Selbstständigen demnach ab und war im zweiten Quartal dieses Jahres nochmals um gut zwei Prozent niedriger als im gleichen Vorjahreszeitraum.
Der Studie zufolge ist der Rückgang hauptsächlich auf Solo-Selbstständige zurückzuführen, also auf Unternehmer ohne Angestellte. Ihre Zahl sank um knapp 120.000 auf rund zwei Millionen. Ein wichtiger Grund dafür sei "die Förderung durch die Arbeitsagenturen, die immer mehr zurückgeht", sagt Karl Brenke, Arbeitsmarktexperte beim DIW.
In den Neunzigerjahren kam es zu einem Boom von Existenzgründungen, vor allem in Ostdeutschland. Nach der Jahrtausendwende setzte sich der Trend fort; zwischen 2003 und 2006 sorgten Arbeitsagenturen mit der Förderung der "Ich-AG" und später mit dem Gründungszuschuss für einen starken Schub.

Frei oder fest: Die Zahlen im Überblick
Dann allerdings wurde die Förderung stark eingeschränkt und 2011 zur Ermessensleistung - die Zahl der geförderten Gründungen sank. "Inzwischen gibt es weniger Förderfälle als vor den Hartz-Reformen", so Brenke.
Gleichzeitig ist die Zahl der abhängig Beschäftigten in fast allen Wirtschaftszweigen gestiegen. Das hängt eng mit der guten Konjunktur zusammen. Vor allem jüngere Berufstätige entscheiden sich lieber für einen festen Job und scheuen die Risiken einer Existenzgründung: "Der Rückgang der Selbstständigen ist eine Anpassung an die verbesserte Situation auf dem Arbeitsmarkt." Brenke sieht die Entwicklung deshalb nicht etwa als Alarmsignal, sondern bewertet sie positiv.
Ein Viertel der Solisten verdient weniger als Mindestlohn
Ebenfalls auffällig: Das Einkommen der Solo-Selbstständigen hat sich in den vergangenen Jahren erhöht. Zwar erzielt nach DIW-Berechnungen etwa ein Viertel der Alleinunternehmer einen Bruttostundenlohn, der unter 8,50 Euro liegt, also unter dem Mindestlohn für Arbeitnehmer. Gestiegen ist allerdings der Anteil der Solo-Selbstständigen mit einem Einkommen von 25 Euro und mehr pro Stunde.
Ein Grund: "Alleinunternehmer, die wenig verdienen, geben ihre Tätigkeit häufig auf", erklärt Brenke. Zudem kamen weniger Neugründer hinzu, die anfangs nur geringe Einkünfte erzielen. Der Forscher mahnt aber, den Einkommensanstieg nicht überzubewerten: "Tatsächlich liegen die realen Bruttoeinkommen der Selbstständigen noch unter dem Niveau der Zeit vor der Finanzkrise - und weit unter dem von Mitte der Neunzigerjahre."
Die Trendwende erstreckt sich über alle Branchen. Besonders stark war der Rückgang im Grundstücks- und Wohnungswesen (Makler, Hausverwaltungen), im Transportgewerbe, im Handel und im verarbeitenden Gewerbe. Zudem nahm die Zahl der Selbstständigen in fast allen Altersgruppen ab. Nur bei den Älteren ist sie zuletzt noch gestiegen.
Für die Analyse wurden Daten des Mikrozensus und der Langzeitstudie Sozio-oekonomisches Panel (SOEP) ausgewertet.