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Prothesendesign: Hai-Alarm am Kunststoffbein

Foto: Markus Huth

Prothesendesigner Buntes Bein nach Maß

Kunst oder künstlich? Bei Frank Purk sind Prothesen beides. Mit seinen exzentrischen Entwürfen verhilft der Orthopädietechniker Amputierten zu mehr Selbstbewusstsein. Neben Frauentorso und Whisky-Fass hat der Beinbildhauer auch einen Hai im Angebot, der gerade zubeißt.

Im Winter sieht keiner, was Wolfgang Bergann, 48, fehlt. Es ist dann unter dem Stoff seiner Jeans versteckt. Doch im Sommer, wenn er kurze Hosen trägt, dann sehen sie alle - seine Beinprothese. Andere künstliche Beine sollen mit ihrem hautfarbenen Look einem menschlichen Bein aus Fleisch und Blut möglichst nahe kommen und so unauffällig wie möglich aussehen. Auf dem Bein von Bergann prangt ein leuchtend grüner Trecker, der eine Wand durchbricht. "Sollen sie doch gucken", sagt er. Er präsentiert seine Prothese richtig gern.

Gestaltet wurde sie von Orthopädietechniker Frank Purk, 31. "Mein bisher idyllischster Entwurf", sagt der Prothesendesigner, "wie auf einem Bauernhof aus einem Kinderbuch." Seit fünf Jahren verpasst Purk seinen Patienten bunte Beine. Darunter so ausgefallene Objekte wie ein Roboterbein, ein Whisky-Fass und ein Bein in Form eines Frauentorsos.

Die Idee zu seinen ausgefallen Entwürfen hatte er gemeinsam mit einem anderen Kunden. Der wollte mal etwas anderes als immer nur die gleichen hautfarbenen Standardprothesen. Das Ergebnis: Ein weißer Hai, der mit seinen Zähnen das Bein abbeißt.

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Foto: David Krenz

Das kann man makaber finden. Muss man aber nicht, findet Purk. Er hält es für Quatsch, dass mancher nach dem Verlust eines Körperteils so tue, als sei nichts gewesen: "Es wird nicht mehr alles normal" - warum also so tun als ob? Eine Amputation heiße, sich selbst als anderen Menschen wahrzunehmen. Viele stürze das in eine Identitätskrise. Durch Purks extravagante Prothesen soll das Selbstbewusstsein wieder laufen lernen. Er hält nicht viel von Versuchen, Prothesen möglichst echt aussehen zu lassen: "Man erkennt immer, dass die Haut nicht echt ist. Besser, man geht gleich offen damit um."

Als Bergann vor ein paar Jahren das Haibein in der Werkstatt seines Orthopädietechniker nördlich von Hamburg entdeckte, war ihm klar: "So etwas will ich auch." Der Trecker auf seiner Prothese hat für ihn eine ganz besondere Bedeutung: "Das ist ein Deutz D 40 U, Baujahr 1949", erklärt Bergann. Genau so einen habe er schon mal komplett auseinandergebaut. Wenn er davon erzählt, leuchten seine Augen.

"Man muss die Prothese annehmen"

"Das ist nicht nur eine modische Sache", sagt Kirsten Abel vom Bundesinnungsverband der Orthopädietechniker. Eine Prothese, mit der sich ihr Träger identifizieren kann, habe auch einen psychologischen Effekt. "Wenn der Patient die Prothese nicht annimmt, empfindet er sie als Gewicht, als zusätzliche Belastung." Besonders schwer sei das, wenn der Einschnitt ins Leben von heute auf morgen kommt. Der Schock nach einem Unfall sei für viele Patienten so groß, dass sie versuchten, ihre Prothese zu verstecken.

Auch Bergann verlor sein Bein durch einen tragischen Unfall. "Das war am 21. Februar 2002 - das werde ich nie vergessen", sagt der Familienvater. Damals arbeitete er im Alten Land vor den Toren Hamburgs im Lager einer Obstplantage. Plötzlich wurde sein Fuß von einem Gabelstapler erfasst. Sieben Meter schleifte er ihn mit, zog ihm die Fußhaut ab, bis aufs Fleisch. Darauf musste der Unterschenkel amputiert werden. Die Geschichte erzählt Bergann heute routiniert. Die Menschen kommen auf ihn zu, fragen interessiert, wo man so ein Treckerbein bekommt. Auch seine Kinder finden es cool. Das gibt ihm Mut.

Rund 30 Beine und Arme hat Purk bereits verschönert. Auch für einen Rocker, der eine Armprothese zum Motorradfahren brauchte. Aus Scham nahm er sie aber immer ab, wenn er zu seinen Rockertreffen ging. Purk baute ihm einen Schlangenarm mit Leuchtelementen. Seitdem trägt er seine Prothese auch bei seinen Rockerkumpels mit Stolz.

Nur etwas für junge Menschen?

Nicht alle finden Purks außergewöhnlichen Prothesen gut. "Schön, dass es dieses Angebot gibt, aber das ist doch eher etwas für junge Menschen", glaubt Matthias Bauche, Obermeister der Innung der norddeutschen Orthopädietechniker. Purks Idee sei in der Branche auch deshalb so exotisch, weil die meisten Patienten über 70 Jahre alt seien. 80 Prozent der Amputationen seien Spätfolgen von Diabetes. Für den Großteil der Amputierten seien solche Designs daher uninteressant.

Trotzdem berichtet Purk von wachsendem Interesse an seinen Prothesen. "Das Design muss sich immer an Form und Funktion der Prothese anpassen." Deshalb sei es wichtig, dass er als Orthopädietechniker den Entwurf macht. Beim Modellieren und Airbrushen helfen ihm Künstler. Zwei bis drei Wochen brauchen Purk und sein Team für die Anfertigung einer Prothese. Deren Verkleidung besteht meist aus Karbon oder Weichschaum. Rund 700 Euro kostet das Design, die Prothese zusätzlich ab 1000 Euro aufwärts.

Für Patient Bergann zahlt die Berufsgenossenschaft, denn er hat sein Bein bei einem Arbeitsunfall verloren. Purk glaubt, dass sich noch viel mehr Menschen bunte Beine wünschen. Deshalb hat er jetzt Dekostrümpfe entworfen, mit denen sich jede Prothese verschönern lässt. Mit rund 50 Euro pro Stück sind sie deutlich günstiger.

Lange Hosen trägt Bergann fast nur noch im Winter. Heute ist er zu Purk in die Werkstatt gekommen, weil er eine neue Schwimmprothese will: "Ein Piratenholzbein, so wie Käpt'n Hook", sagt er.

KarriereSPIEGEL-Autorin Lisa-Marie Eckardt (Jahrgang 1985) volontierte bei der Nachrichtenagentur dapd und der "Hamburger Morgenpost". Heute arbeitet sie als freie Journalistin in Hamburg und ist im Gründungsteam des digitalen Reportage-Magazins "Sieh die Welt":"Sieh die Welt": Das digitale Reportagen-Magazin 

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