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Junior-Berater: Wenn die Berater in ihr Dorf zurückkehren

Ein Tag mit einer Beraterin Cash Cows und Fragezeichen

Unternehmensberater leben aus dem Rollkoffer, wissen alles besser und kehren freitags in ihre Zentrale zurück: Peter Wagner hat die Beraterin Ulla Rinkes einen Tag lang begleitet, eine Psychologin mit BWL-Schnellkurs, und staunt über ihr seltsam flüchtiges Leben.
Von Peter Wagner

Es ist neun Uhr an einem Freitagmorgen, der Sommer über München ist sehr freundlich. Die Unternehmensberaterin Ulla Rinkes, 31, geht in ihr Büro an der prächtigen Ludwigstraße, wo sich die Boston Consulting Group (BCG) sowas wie ein Nest gebaut hat. Rinkes öffnet eine Glastür, geht in den hellen Lichthof, in dem der Blick fünf Stockwerke nach oben wandert. Sie sucht sich ein freies Büro, öffnet ihr Laptop, tippt einen Code in ein Telefon und ist dort nun unter ihrer Büronummer erreichbar.

Unternehmensberater sind flüchtige Wesen. Sie backen keine Brötchen, deren Produktion man sich anschauen kann. Sie brauchen nur einen Laptop und ein Telefon. Sie arbeiten für verschiedene Branchen, sie fliegen montags zum Kunden, arbeiten dort in eigens bereitgestellten Zimmern und fliegen donnerstags zurück. Am Freitag versuchen sie dann, die Ereignisse der Woche zu sortieren.

"Ich hatte nur eine vage Vorstellung davon, was ein Unternehmensberater macht." Ulla Rinkes hat das Gespräch mit dem Projektleiter beendet und denkt über ihren Job nach, der sie auf Neuland geführt hat. Sie hat an der Katholischen Universität Eichstätt Psychologie und später Philosophie, Kunstgeschichte und Europäische Ethnologie studiert und vor drei Jahren bei BCG angefangen.

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Die Besserwisser: Deutschlands größte Beraterfirmen

Deshalb klingt es glaubwürdig, wenn sie sagt: "Ich hatte mich vorher nie im Banking-Bereich gesehen." Wenn man Rinkes unter der Woche auf dem Handy anruft, nimmt sie zurzeit meist in Frankfurt ab. Sie ist Consultant und arbeitet gerade, nun ja, irgendwie im Bankenbereich. Zu ihrem Team gehören ein weiterer Consultant, zwei jüngere Kollegen, die nach ihrem Uniabschluss als Associates eingestiegen sind, und zwei ältere Kollegen, ein Projektleiter und ein Partner. Rinkes windet sich, wenn man sie fragt, was sie in Frankfurt gerade mache und was da geschehe. Allein der Name des Kunden würde zuviel verraten und deshalb muss man sich noch von einer anderen Seite an den Beruf des Unternehmensberaters herantasten.

Einmal pro Woche geht es zurück ins Dorf

Christian Greiser zum Beispiel ist einer von 100 Partnern bei BCG. Die Partner sind wichtig, sie führen die Geschäfte der BCG und ihrer 910 Mitarbeiter in Deutschland und Österreich. Greiser, 46, darf ein bisschen präziser werden. Er ist seit zehn Jahren im Unternehmen und das ist einiges. Er erzählt, wie Strategieberatung funktioniert. "Es kann zum Beispiel sein, dass sich ein Getriebehersteller überlegt, ob er sein Portfolio auf 'Getriebe für Windanlagen' erweitern soll? Dieser Markt ist noch jung und das Wissen ist fragmentiert, für die Firmen ist es daher schwierig, sich einen Gesamtüberblick zu verschaffen. Man kann die Dinge aber erst beurteilen, wenn man sie im Zusammenhang sieht. Diesen Zusammenhang stellen wir her."

Das Haus an der Ludwigstraße ist putzig eingeteilt. Ulla Rinkes Büro gehört zu einem von 13 Dörfern. Jeder Berater ist einem Dorf zugeteilt. Wenn die Berater freitags heimkommen, beziehen sie ihr Dorf. Dort sollen sie Kollegen aus anderen Projekten kennenlernen. Sie sollen im Gespräch voneinander lernen und vielleicht sollen sie auch die Anspannung der Woche abbauen. Rinkes geht aus dem Büro hinauf auf die Dachterrasse. Sie ist mit einem Kollegen verabredet, plaudert, schaut Richtung Alpen. Nebenan stehen auf einem Tisch drei leere Flaschen Augustinerbier.

Ulla Rinkes Wochen sehen uniform aus. Montagmorgen fliegt sie aus München weg. "Das ist für mich mittlerweile fast wie Busfahren", sagt sie und gibt eine Erfahrung wider, die alle Berater machen. Das Unterwegssein ist am Anfang toll, dann normal und dann oft "ach". Rinkes bearbeitet gerade ihren zehnten Fall. Manchmal, erzählt sie, sitzt sie mit Mitarbeitern des Kunden im selben Zimmer und sichtet Märkte, liest Reports, interviewt Menschen. Es geht hin und her zwischen Beratung und Kunde, Rinkes spricht von einem "iterativen Verfahren", in dessen Verlauf die Empfehlungen entstehen, die das Beraterteam am Ende in einer Präsentation vorstellt. Es entsteht für kurze Zeit so etwas wie ein enges Verhältnis und trotzdem, so Rinkes, müssen die Botschaften klar sein. "Es bringt nichts, eine Situation schönzureden. Schließlich sind wir auch dazu da, die Schattenseiten aufzuzeigen."

Wer, wie Rinkes, aus den Geisteswissenschaften kommt, wird bei BCG in einer Art Schnellkurs mit den Grundzügen der BWL ausgestattet. Und dann geht es los. Manchmal kann ein Projekt eine Woche dauern, manchmal ein Jahr. "In der Regel gilt: Je kürzer die veranschlagte Zeit des Projekts, desto länger sitzen Sie abends am Schreibtisch", sagt Rinkes. Trotzdem bleiben der Samstag und der Sonntag unangetastet. "Ich arbeite am Wochenende nicht. Ich bin seit drei Jahren hier und habe nur an zwei Wochenenden etwas gemacht."

Einfache Weisheiten und ein Krieg um Talente

Ulla Rinkes muss häufig von ihren Arbeitsroutinen erzählen. Immer freitags kommen Menschen in das Haus in der Ludwigstraße, die es in die zweite Bewerbungsrunde geschafft haben und die sich in bis zu sechs Gesprächen bewähren sollen. Die Beraterin isst häufig mit den Bewerbern zu Mittag. Heute wieder. Sechs sind es, die während des Essens fragen dürfen. Wo arbeitet man? Mit wem? Wieviel? Wie groß ist BCG nochmal?

Die Boston Consulting Group wurde 1963 in Boston gegründet und ist nach McKinsey die größte Beratung in Deutschland. Das Kürzel BCG kennen Wirtschaftsstudenten aus ihren Lehrbüchern. Im Haus wurde zum Beispiel die BCG-Matrix entwickelt, mit der Produktportfolios von Unternehmen eingestuft werden. Die Einteilung in "Cash Cows","Stars", "Dogs" und "Question Marks" liest sich simpel, aber sie tut noch heute ihre Dienste, wenn Berater in einer vertrackten Wirtschaftswelt sagen sollen, in welche Richtung ein Unternehmen den Blick wenden soll.

Derzeit werden Schalter in den Unternehmen umgelegt

Nicht jeder freut sich über die einfachen Weisheiten. Vor allem für die Mitarbeiter der Kunden ist es erstmal komisch, wenn da jemand kommt, der sich das Wissen der Branche bisweilen erst aneignen muss, um dann einen Rat zu geben, der nicht immer taufrisch wirkt. Aber die Vorstände der Unternehmen bestellen immer wieder und sehr bewusst diese Außenperspektive.

Manchmal entsteht aus der anderen Sicht tatsächlich eine unerwartete Lösung. Manchmal bekommt der Vorstand einfach Rückhalt für eine Investition, für Umstrukturierungen oder auch für Entlassungen. "Wir zeigen Handlungsoptionen auf", sagt Christian Greiser, der Partner, sehr defensiv. "Auch unter unsicheren Bedingungen. Man kann sich auch unter Unsicherheit optimal verhalten."

Der Branche geht es gerade saugut. "Die deutschen Unternehmensberater sind nach dem Krisenjahr 2009 schnell wieder in die Erfolgsspur zurückgekehrt und haben 2010 den Branchenumsatz um 6,9 Prozent auf 18,9 Milliarden Euro gesteigert", schreibt der Branchenverband. Angeblich müsse gerade der Schalter in den Unternehmen von Kostenoptimierung auf Wachstum umgelegt werden. Dafür braucht es Beratungen, natürlich. Dafür braucht es Leute. Ulla Rinkes sucht sie am Freitagnachmittag.

Unternehmensberatungen im Krieg

In einem Konferenzraum trifft sie sich mit einer Kollegin. Sie hat auch Psychologie studiert und kümmert sich gemeinsam mit Rinkes um den Bewerberpool an Psychologiestudenten. Die beiden sprechen über einen Vortrag vor Studenten an einer Hochschule, über eine Einladung von Studenten an die Ludwigstraße. Die großen Unternehmensberatungen investieren viel ins Recruiting. Niemand bleibt ewig bei einer Beratung, die Fluktuation ist erheblich. Trotzdem sollen nur die besten eines Jahrgangs ins Haus kommen. Aber die müssen erst gefunden werden.

Jeder, der ein Hochschulstudium abgeschlossen hat, kann sich bei einer Unternehmensberatung bewerben. Die Minimalanforderung sind ein bis drei Praktika, sagt Rinkes. Und gute Noten. "BCG stellt nur Bewerber mit ausgezeichneten Noten ein. Jemand mit 2,8 im Schnitt kommt in der Regel nicht durch." Der Branchenverband hat im vergangenen Jahr schon von einem neuen War of Talents gesprochen. Das ist ein gern gebrauchter Begriff, wenn es der Wirtschaft wieder besser geht und viele neue Berater gebraucht werden.

"Meistens macht man das nicht bis 65"

Gerade ist es wieder soweit. Die Beratungen suchen vor allem Ingenieure oder Informatiker, sie suchen Menschen mit Berufserfahrung, die womöglich sogar ganze Branchen überblicken können.

Als Ulla Rinkes am Freitagnachmittag im Foyer Kaffee trinkt und zusieht, wie Kollegen ihre Rollkoffer aus dem Gebäude und hinaus ins Wochenende ziehen, überlegt sie. Der Beraterjob kann ein ziemlich guter Weg ins Berufsleben sein. Rinkes hat selbst schon Angebote von Kunden bekommen. Die meisten wechseln irgendwann die Seiten und entscheiden sich für ein bestimmtes Unternehmen, sie verschwinden aus dem seltsam flüchtigen Dasein als Berater. Vielleicht beziehen sie dann ein Büro, an dem ihr Name steht. Ein natürlicher Weg, sagt Ulla Rinkes. "Meistens macht man das nicht bis 65."

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