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Uni-Veteran unter Bachelorstudenten Schlau, aber glücklich

Er hat allerlei studiert, dann wehte es ihn in die Welt hinaus. Nach langer Uni-Auszeit kehrt Markus Flohr ins Studium zurück. Als Magister-Fossil im Bachelorstudium reibt er sich verdattert die Augen: Warum sind die alle so jung? Wie jetzt - Anwesenheitslisten? Und wer ist bloß dieser Audimax?
"Da fehlen ja die Türme": Markus Flohr vor dem Felsendom... oder dem Taj Mahal?

"Da fehlen ja die Türme": Markus Flohr vor dem Felsendom... oder dem Taj Mahal?

Foto: Angelika Flohr

Manche halten "abgebrochener Student" für einen Adelstitel. Ich nicht.

Vor mehr als zehn Jahren habe ich ein Studium begonnen, und es mag komisch klingen, aber: Ich habe es gemocht. In den ersten Semestern lernte ich, dass in der Uni grundsätzlich niemand Bescheid weiß, über nichts, dass keiner für irgendetwas verantwortlich ist, dass Prüfungsordnung und Regelstudienzeit eher abstrakte Begriffe waren, die so viel Bezug zur Realität hatten wie die Ausführungen des Seminar-Casanovas über seine Beutezüge letzte Nacht. Kurz: Ich war glücklicher Magisterstudent in einer Geisteswissenschaft. Stress und so, das hatten die anderen. Wer studiert schon auf Lehramt?

Auf die Frage, was ich "damit", also mit meinem Studium, werden wollte, antwortete ich meist: schlau und glücklich. Den mittäglichen Mensa-Gang verlängerte ich gern um den kompletten Nachmittag. Die Diskussionen waren halt so spannend: Hat Nero nun Rom angezündet? Glauben Muslime, Christen und Juden an den gleichen, einen, einzigen Gott? Was ist eigentlich diese Corioliskraft? Manchmal waren es auch die schönen Augen einer Kommilitonin. Oder ich kannte den Text für das folgende Seminar nur bis zur zweiten Fußnote, immerhin bis zur zweiten, und blieb deswegen beim Kaffee. So war das damals.

Dann kam der Bachelor, kamen die Studiengebühren, der Master, die Module. Ich gebe zu, dass ich diese Dinge nur aus Zeitungen kannte, da ich in der Mitte meines Studiums vieles tat, aber eben nicht die Uni besuchte. Ob ich alle Scheine beisammen hatte? Na ja. Ab einer bestimmten Semesterzahl redet sich wohl jeder ein, im Prinzip schon lange scheinfrei zu sein. Egal, ob es stimmt.

Früher war das alles anders

Eines Tages erreichte mich dieser Brief. In eher förmlicher Sprache wurde ich von meiner Universität darauf hingewiesen, dass bald mein Studiengang abgeschafft werden würde. Sollte ich noch einen Abschluss machen wollen, dann bitte jetzt. Ich suchte meine Scheine zusammen und setzte mich bei meinem Professor, nennen wir ihn Schubert, in die Sprechstunde - auf dass er meinen Fall begutachtete. "Ihnen fehlt genau ein Schein", sagte Professor Schubert.

Eine Woche später saß ich wieder vor Professor Schubert, dieses Mal in seiner Vorlesung. Irgendwie war ich nervös. Früher waren diese Vorlesungen anders gewesen.

Zum ersten: war der Hörsaal jetzt voll bis auf den letzten Platz.

Zum zweiten: sollten wir uns plötzlich in eine Anwesenheitsliste eintragen. Eine Liste. In einer Vorlesung. 180 Menschen. 100 Rückfragen: Ist die Liste hier schon rumgekommen? Nein? Müssen wir unseren Studiengang dazu schreiben? Und die Semesterzahl? Und die Adresse? Und wie oft darf man fehlen? Und wo ist die Liste jetzt? Irgendwie sollte das mit dem Bachelor und so ja dazu führen, dass an der Uni alles einfacher und schneller klappte. Die ersten 60 Minuten verbrachte Professor Schubert aber damit, von einem Zettel abzulesen, an welcher Stelle welches Modul diese seine Vorlesung einzubringen, anzuhängen, zu ersetzen, koppeln oder was auch immer sei - und welche Form von Leistung man dafür erbringen musste. An seinem Pult klebte gut sichtbar ein DIN-A4-Zettel: "FINANZIERT AUS STUDIENGEBÜHREN".

Zum dritten: waren mir meine Kommilitonen irgendwie nicht mehr geheuer. Die sahen alle so, ja, so jung aus. Und es gab so viele Mädchen. Einige noch mit Schulranzen. Manche mit Kopftuch. Ich glaube, sie haben sich auch Zettelchen geschrieben und Poesiealben rumgegeben. Vorn rechts saß jemand mit einem iPad und tippte einfach alles mit, was der Professor sagte. Auch die Witze. Und dann alle fünf Minuten diese Frage, mal von vorn, mal von hinten: "Ist das für die Klausur relevant?"

In der Pause holten sie ihre Tupperdosen raus und aßen geschmierte Brote und tranken dazu frisch gepressten Karottensaft aus Thermoskannen. Ich stand derweil mit meinem Becher Automatenkaffee und einer Zigarette draußen vor der Tür. Allein.

Hups - hat uns gerade der Professor zur Demo aufgefordert?

Erst jedoch, als etwa zur Semestermitte der traditionelle Studentenstreik wegen Bildungskürzungen ausgerufen wurde, war mir endgültig klar, was an diesen Bachelor-Leuten anders war: Im Audimax lief gerade die Vollversammlung (was ich auch verpennt hatte) - aber unser Saal war trotzdem gut gefüllt. Und was machte Professor Schubert?

Er forderte die Studenten auf, den Saal zu verlassen und für ihre Rechte und bessere Bildung und dergleichen schöne Dinge zu demonstrieren: "Vielleicht ist es Ihnen entgangen, aber just zu dieser Stunde findet im Audimax eine wichtige Veranstaltung des Asta statt. Ich werde sie nicht davon abhalten, daran teilzunehmen." Sagte er, schlug seine Mappe zu und verschwand. "Wer ist denn dieser Audimax?", hörte ich es hinter meinem Rücken raunen. Mir war ganz elend. Ich hatte mich vom Lehrpersonal zum Demonstrieren auffordern lassen müssen.

Eine Woche später projizierte Professor Schubert ein Bild des Felsendoms in Jerusalem an die Wand. Er fragte: "Wer weiß denn, was das ist?"

Zwanzig Sekunden bittere Stille. Dann platzte es aus mir heraus.
"Das Taj Mahal."
Professor Schubert kicherte.
"Nein, da fehlen ja die Türme."
Jetzt musste ich kichern.

Als ich nach der Vorlesung durch die Uni und zu meinem Bus ging, kicherten dafür andauernd Menschen hinter und neben mir. Erst im Bus fiel mir der Zettel auf, den nach der Vorlesung irgendein Spaßvogel an meinen Rücken geklebt hatte: "FINANZIERT AUS STUDIENGEBÜHREN".

Ein paar Monate später hatte ich meine letzte Prüfung bei Professor Schubert. Am Ende gab er mir väterlich die Hand und raunte etwas wie: "Sie sind mein letzter Magister." Waren seine Augen etwa feucht?

Ich ging hinaus in den Hof. Geschafft. Aber Zigaretten vergessen. Zwei Bachelor-Jungs, Mathematiker, halfen mir aus. Wir schnackten.

Sie fragten: Magister? Geschichte? Was man nicht alles studieren kann.
Tja. Kann man auch gar nicht mehr.
Was man damit wird?
Tja.
Wie lange ich gebraucht hatte? Wie alt ich sei?
Tja. Tja.

Ich bedankte mich, wir verabschiedeten uns. Per Handschlag. Ich ging ein letztes Mal zum Bus. Irgendetwas war merkwürdig gewesen. Die Zigarette? Die Mathematiker? Der Bachelor?

Nein. Jetzt wusste ich es. Schlimmer als all das:

Sie hatten mich gesiezt.

Foto: Gero Hecker

KarriereSPIEGEL-Autor Markus Flohr (Jahrgang 1980) ist freier Journalist. Studiert hat er in Hamburg und Jerusalem, nämlich Geschichte, Religionswissenschaft und Geographie. Aber nicht an einem Stück: Mittendrin war er an der Henri-Nannen-Journalistenschule, dann SPIEGEL-ONLINE-Redakteur, außerdem eineinhalb Jahre in Israel und schrieb darüber sein erstes Buch: "Wo samstags immer Sonntag ist - ein deutscher Student in Israel" (unbedingt lesenswert). Vor zwei Wochen hat er seine letzte Prüfung bestanden und darf sich nun "Magister der Geschichtswissenschaften" nennen.

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