In Kooperation mit

Job & Karriere

Jobprotokoll einer Verkäuferin im Einzelhandel "BHs für 70, 80 Euro landen auf dem Boden, breitgelatscht"

Beratung ist ihre Berufung, doch gegen die Wühltischmentalität kommt die Verkäuferin kaum an: Sehen die Kunden Werbung für "20 Prozent auf alles", drehen sie durch.
Rabattaktion in Düsseldorf (Symbolbild)

Rabattaktion in Düsseldorf (Symbolbild)

Foto: Jana Bauch/ dpa

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist in vielen Berufen jede Menge Platz. In der Serie "Das anonyme Job-Protokoll" erzählen Menschen ganz subjektiv, was ihren Job prägt - ob Tierärztin, Staatsanwalt oder Betreuer im Jobcenter.

"Wenn ich komme, herrscht meistens schon Chaos. Egal ob meine Schicht um zehn Uhr beginnt oder erst am Nachmittag: Wenn es Angebote gibt, ist der Tisch zerwühlt, die Kleidung liegt auf dem Boden und die Garderobe ist vermüllt.

Ich arbeite als Verkäuferin einer großen deutschen Warenhauskette. Unsere Kleidung, die Wäsche, die Schuhe, stehen eigentlich für Qualität. Aber mittlerweile haben wir ein Imageproblem. Die Kunden ramschen sich alles zusammen - und verhalten sich unmöglich. Das ist so eine H&M-Mentalität, die jetzt auch in den Kaufhäusern angekommen ist.

Bieten wir zum Beispiel 20 Prozent Rabatt auf Jacken, stürmen die Kunden fast panisch darauf zu. Während die Frau an einem Kleiderständer Mäntel von den Bügeln zieht, brüllt ihr Mann rüber, dass es hier drüben noch bessere gibt. Also schmeißt sie die Kleidung wahllos über die Stange und das Chaos nimmt seinen Lauf.

Im Video: Rabattschlacht - Das Geschäft mit Schnäppchen

SPIEGEL TV

Und dann werden die Kunden aggressiv, wenn sie ihre Größe nicht sofort finden. Sie wollen alles, sofort und jetzt.

In den Umkleidekabinen wird die Ware dann einfach liegengelassen. BHs für 70, 80 Euro, die ich mich kaum traue anzuprobieren, landen auf dem Boden und werden breitgelatscht. Und der nächste Kunde kommt einfach rein und schmeißt sein Zeug dazu, statt mal Bescheid zu sagen.

Wühlt wie die Vandalen, aber nehmt drei Teile mit!

Wir kommen aber ohnehin kaum hinterher. Oft sind wir nur zu zweit auf 980 Quadratmetern. Während meine Kollegin versucht, die Garderobe aufzuräumen, hänge ich Bügel auf, ordne den Wühltisch neu oder stelle Rabattschilder auf. Dabei bin ich eigentlich zur Beratung da.

Manchmal rufe ich ganz nett in den Raum hinein: 'Hallo, meine Damen und Herren, hat jemand einen Wunsch, kann ich Ihnen helfen?', fast wie eine Marktschreierin. Aber meinen Servicegedanken gebe ich auch im Chaos nicht auf. Das ist meine Berufung, das habe ich gelernt. Ich bin dafür da, mit der Kundschaft zu arbeiten, ihr zur Verfügung zu stehen und etwas zu verkaufen. Das ist in mir drin.

Doch an Aktionstagen wie dem Black Friday, verkaufsoffenen Sonntagen oder zum Advent findet selbst bei mir ein Umdenken statt: Wühlt wie die Vandalen, aber nehmt drei Teile mit!

Die Konkurrenz unter den Kollegen wächst

Solche Tage stehst du nur mit einem guten Team durch. Der Ton unter uns Kolleginnen ist eigentlich gut, aber der Druck kommt auch bei uns an. Wir müssen eine Bedienquote einhalten. Die wird an gelben Stickern gemessen, die ich dem Kunden auf die Ware klebe. Mich ärgert das sehr, weil das nicht praktikabel ist: Der Kunde kommt mit seinen anprobierten Hosen ja nicht zu mir zurück. Ich habe meistens ganz viel bedient, aber nicht geklebt.

Fotostrecke

Das anonyme Jobprotokoll: So sieht der Alltag wirklich aus

Unter uns Kollegen führt das natürlich zu Querelen, wenn eine Kollegin nur noch an der Garderobe klebt, statt zu bedienen oder aufzuräumen.

Ich sag immer: Lasst euch nicht auseinanderdividieren. Lasst euch ein dickes Fell wachsen und verliert bloß den Spaß nicht. Aber ich habe auch eine Festanstellung und kann verstehen, wenn die Kollegin mit Zeitvertrag sich Sorgen macht.

Morgens in eine andere Abteilung geordert

Wir sind mittlerweile so wenig Personal, dass wir Verkäuferinnen abteilungsübergreifend arbeiten müssen. Es kann also sein, dass ich morgens reinkomme und meine Chefin schickt mich in die Wäsche. Dabei habe ich das gar nicht gelernt. Wenn eine Kundin merkt, dass du keine Ahnung hast, gerätst du in Stress - und sie kommt vielleicht nicht wieder. Da kommt dann die Wut: Sollen die mich doch einarbeiten. Es wird an den falschen Enden gespart.

Wenn die Geschäfte Mut hätten, könnten sie die Öffnungszeiten wieder ändern. Der Deutsche sitzt ja sowieso um 18 Uhr am Abendbrottisch. Warum wir für die paar Kunden noch zwei Stunden aufhaben, verstehe ich nicht. Licht, Kassierer, Verkäufer, Security - all das könnte man hier sparen.

Den ganzen Tag auf den Beinen

Stattdessen ist der Einzelhandel nur noch in Aktion. Prozente, Prozente, Prozente. Damit macht er sich selbst die Preise kaputt. Die Margen sinken, und die Leidtragenden sind die Beschäftigten. Eine einfache Verkäuferin im sechsten Jahr verdient knapp 2300 Euro brutto, das ist deutlich unter Tarif. Doch auf eine Lohnerhöhung brauchen wir gar nicht mehr zu hoffen.

Dabei ist das wirklich ein anstrengender Job, den man nur in guten Schuhen durchhält. Als Verkäuferin stehst und läufst du den ganzen Tag. Unsere Auszubildenden betteln in den ersten drei Wochen: 'Bitte, kann ich mich hinsetzen?' Doch wir bleiben hart: 'Das musst du lernen!' Ich habe großen Respekt vor allen, die das in Vollzeit durchstehen. Ich kann das nicht und habe nur eine halbe Stelle.

Dazu kommt die Kälte. Viele frieren, weil die Temperatur nach den Bedürfnissen der Kunden eingestellt wird. Die kommen ja mit Schal und Mütze ins Haus.

Nickerchen im Treppenhaus

Für mich ist die Musikbeschallung am schlimmsten. Auf jeder Etage dudelt etwas anderes aus den Boxen. Das ist Psychostress, wenn man permanent etwas hört, was einem nicht gefällt.

In den Pausen ziehe ich mich manchmal ins Treppenhaus zurück. Dort habe ich wirklich Ruhe und halte auf den Stufen ein Nickerchen. Zehn Minuten. Dann sackt mein Körper in sich zusammen, ich schrecke auf und es geht weiter. Abends bin ich trotzdem sehr müde. In der Bahn muss ich aufpassen, dass ich nicht einschlafe.

Trotz alledem mag ich meinen Job noch. Aber ich glaube, der Kunde spürt mittlerweile, dass der Einzelhandel nicht mehr mit Liebe geführt wird. Es geht nur noch um Gewinne. Diese negativen Energien, die sickern von oben von der Geschäftsführung durch auf die Mitarbeiter, die Kunden. Und dann gibt es halt Chaos."

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren