Petition für mehr Elterngeld »Familien können sich schlicht ihren Lebensunterhalt nicht leisten«

Ein weinendes Baby ist für viele Eltern nicht das einzige Problem während der Elternzeit – oft quälen auch finanzielle Sorgen (Symbolfoto).
Foto: Marko Pekic / E+ / Getty ImagesDieser Artikel gehört zum Angebot von SPIEGEL+. Sie können ihn auch ohne Abonnement lesen, weil er Ihnen geschenkt wurde.
Der Start ins Familienleben kann spannend und wunderschön sein. Für viele Menschen bedeutet er jedoch auch: Geldsorgen, Hineinschlittern in tradierte Rollenbilder und die Gefahr von Altersarmut. Eine wichtige Stütze ist das Elterngeld. Doch es funktioniert nicht, wie es soll. Viele Familien wissen nicht, wie sie durch den Monat kommen sollen.
Drei Frauen haben deshalb eine Petition gestartet: Daniela Weckmann, Sandra Runge und Nancy Koch fordern von der Bundesregierung den ersten Inflationsausgleich beim Elterngeld und eine Anpassung des Mindest- und Höchstsatzes. Innerhalb weniger Tage erreichte die Petition auch dank prominenter Unterstützung von Influencerinnen wie Marie Nasemann und ihrem Mann Sebastian Tigges ihr Ziel und muss nun dem Bundestag zur Diskussion vorgelegt werden. Wir haben mit den Initiatorinnen darüber gesprochen, was Eltern wirklich fehlt.
Sandra Runge ist Anwältin und Autorin aus Berlin und Mutter zweier Kinder. Sie setzte sich bereits als Mitbegründerin der »Pro Parents Initiative« mit einer Petition dafür ein, Elternschaft als Diskriminierungsmerkmal ins Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz aufzunehmen.
Daniela Weckmann lebt in Frankfurt am Main, ist ebenfalls Mutter zweier Kinder und arbeitet als Betriebswirtin bei der Deutschen Bahn. Ein Schlüsselmoment brachte sie auf die Idee für die Petition.
Nancy Koch hat einen Sohn und lebt in Berlin. Vor vier Jahren kündigte sie ihren Job in der Wirtschaft und nutzt ihre Expertise seitdem als Selbstständige für Projekte, die ihr am Herzen liegen.
SPIEGEL: In Ihrem Petitionsaufruf auf Instagram beschreiben Sie, wie wenig das Elterngeld 16 Jahre nach seiner Einführung durch die Inflation und gestiegenen Lebenshaltungskosten noch wert ist. Darunter teilen viele Menschen zum Teil sehr berührende Geschichten. Warum ist es inzwischen so schwer, zu Hause zu bleiben und ein Kind zu betreuen?
Daniela Weckmann: Im Winter traf ich an der Kasse eines Discounters eine Mutter mit zwei kleinen Kindern, die verzweifelt versuchte, ihren Einkauf zu bezahlen. Es war mit sämtlichen Karten in ihrem Portemonnaie nicht möglich. Ich bot ihr Hilfe an, daraufhin erzählte sie mir ihre Geschichte. Sie bekam den Mindestsatz Elterngeld von 300 Euro. In der Hochinflation stand sie nun da, ausschließlich Grundnahrungsmittel auf dem Band und nicht mal genug Dispo, um 40 Euro zu bezahlen. Das war für mich der Schlüsselmoment, um mit Sandra und Nancy die Petition zu starten.
Sandra Runge: Das Elterngeld hat nicht nur einen finanziellen Aspekt, sondern ist auch dafür entscheidend, wer die Sorgearbeit für die Kinder übernimmt. Uns schrieb eine Mutter, die im Berechnungszeitraum des Elterngeldes arbeitslos geworden war und hochschwanger keinen neuen Job fand. Dadurch bekam sie sehr wenig Elterngeld, musste aber weiterhin eine Kaltmiete von 1100 Euro zahlen. Eigentlich wollten sie und ihr Partner sich die Kinderbetreuung 50/50 aufteilen – so aber musste der Partner Vollzeit arbeiten.
Rund 1,85 Millionen Frauen und Männer in Deutschland haben im Jahr 2022 Elterngeld bekommen. Knapp Dreiviertel davon waren Frauen.
Wie viel Elterngeld ein Paar erhält, bemisst sich nach dem Nettomonatseinkommen der vergangenen zwölf Monate vor der Geburt des Kindes. Bei Selbstständigen wird das Kalenderjahr vor dem Jahr der Geburt zur Berechnung herangezogen.
Das Elterngeld beträgt zwischen 65 und 100 Prozent des Gehalts, mindestens jedoch 300 maximal 1800 Euro. Ein Beispiel: Haben Sie 2023 ihr erstes Kind bekommen, arbeiten nicht selbstständig, hatten in den zwölf vorigen Monaten keine Verdienstausfälle und verdienen etwa 2500 Euro brutto monatlich, würden Sie rund 1000 Euro Elterngeld im Monat erhalten.
SPIEGEL: Die Petition hat innerhalb weniger Tage bereits die benötigten 50.000 Unterschriften erreicht und wird dem Bundestag zur Diskussion vorgelegt.
Runge: Ja! Ich kann es immer noch nicht richtig glauben. Wir haben damit einen Nerv getroffen.
Ihr Mindestquorum hatte die Petition nach wenigen Tagen erreicht. Bis zum 1. Juni kann man jedoch auf der E-Petitionsseite des Bundestages weiterhin mit einer Unterschrift seine Unterstützung ausdrücken.
SPIEGEL: Was fordern Sie konkret?
Weckmann: Das Elterngeld wird anhand des vorherigen Einkommens berechnet, doch zwei Sätze wurden bei der Einführung 2007 eingefroren: der Mindest- und der Höchstsatz. Die sind jetzt, nach 16 Jahren, gut ein Viertel weniger wert. Wir fordern deshalb einen Inflationsausgleich. Den brauchen wir auch für die 1200-Euro-Grenze. Wer weniger als 1200 Euro verdient, kann bis zu 100 Prozent des vorigen Einkommens bekommen, wer darüber liegt, nur 65 Prozent. Wenn diese Verdienstschwelle eingefroren bleibt, rutschen viele Familien schon durch kleine Gehaltssteigerungen oder die Mindestlohnerhöhung aus dieser Kategorie und haben so am Ende oft weniger als vorher.
Außerdem muss der feste 65-Prozent-Satz angehoben werden. Viele Familien können damit nicht ihre Lebenshaltungskosten decken. Und in Zukunft muss es einen regelmäßigen Inflationsausgleich geben – damit wir nicht in 16 Jahren wieder so einen Trubel veranstalten müssen.
Nancy Koch: Aktuell beträgt der Mindestsatz 300 Euro, mit dem Inflationsausgleich wären es 400 – immer noch weniger als das Bürgergeld. Das betrifft etwa Menschen, die vor dem Elterngeld arbeitslos, im Studium oder der Ausbildung sind oder krank waren. Dieser Mindestsatz muss armutssicher werden!
SPIEGEL: Wie würden Sie das Elterngeld gestalten, wenn Sie alle Freiheiten hätten?
Runge: Das Konstrukt ist noch relativ jung. Es gab zwar über die Jahre hinweg Anpassungen wie das Elterngeld Plus oder die Ausweitung der Möglichkeit, in Teilzeit zu arbeiten. Die Höhe des Elterngeldes wurde jedoch noch nie thematisiert. Es geht hier um die Existenz in einer hochsensiblen Zeit des Lebens. Dabei darf es keine Verliererinnen und Verlierer geben. Es kann nicht sein, dass jemand mit 300 Euro im Monat abgespeist wird und dann im Supermarkt nichts bezahlen kann.
Weckmann: Ich habe manchmal den Eindruck, dass das Elterngeld eine Lohnersatzleistung zweiter Klasse ist. Der Mindestsatz liegt unterhalb des Bürgergeldes, der Höchstsatz unter den Sätzen des Arbeitslosengeldes I. Das Leistungsprinzip ist in dem Elterngeld verankert: Du bekommst nur das, was du dir in den zwölf Monaten zuvor erarbeitet hast. Sämtliche Anfechtungen dagegen wurden vom Bundesverfassungsgericht abgewiesen. Wir sehen im Moment keine politische Mehrheit, dieses System umzustürzen, aber wir möchten mit den Forderungen unserer Petition innerhalb der bestehenden Strukturen schauen, wie wir mehr für alle herausholen können.
SPIEGEL: Ihnen geht es nicht nur um eine Anhebung des Elterngeldes im unteren und mittleren Einkommensbereich, sondern auch um den Höchstbetrag. Aber genau dort ist doch die Not nicht so groß.
Runge: Eine gute Reform muss alle Menschen im Blick haben. Beim Höchstsatz geht es, wie uns viele Eltern berichten, auch um die Frage der Aufteilung von elterlicher Sorge. Insbesondere Männer – die oft besser verdienen als Frauen – wollen häufig keine Elternzeit nehmen und Elterngeld beziehen, weil es ihnen zu wenig Geld ist. 51 Prozent der Väter, die auf Elternzeit verzichtet haben, nennen dafür laut dem »Väterreport« des Familienministeriums aus 2021 finanzielle Gründe.
Koch: Die Familien können sich schlicht ihren Lebensunterhalt nicht leisten, wenn der Mann in Elternzeit geht. Das haben uns sehr viele geschrieben.
Daniela Weckmann
Runge: Finanzielle Leistungen sind entscheidend, um Väter mehr in die Elternzeit einzubinden. Die Zahlen sind erschreckend: Mütter bezogen 2021 laut Statistischem Bundesamt im Schnitt für 14,6 Monate Elterngeld, Väter dagegen nur 3,7 Monate. Seit Jahren hat sich da nichts getan, dabei war die paritätische Aufteilung der Kinderbetreuung einer der Hauptgründe für die Einführung des Elterngeldes. Das wurde immer wieder betont.
Weckmann: Studien zeigen, dass längere Elternzeiten einen nachhaltigeren Effekt darauf haben, wie sich ein Elternteil langfristig an der Kinderbetreuung beteiligt. Die klassischen zwei Vätermonate werden oft genutzt, um gemeinsam in den Urlaub zu fahren oder mal in Ruhe den Keller aufzuräumen. Wenn Väter hingegen über längere Zeit die Alltagsarbeit übernehmen, beteiligen sie sich auch langfristig mehr an den Arbeiten rund um Haushalt und Kinder. Der Höchstsatz ist ein wichtiger Hebel, um die Väter ins Boot zu holen.
Runge: Elternzeit muss für Väter selbstverständlicher werden. In vielen Unternehmen werden Männer noch immer dafür belächelt oder abgestraft, wenn sie eine Weile die Kinderbetreuung übernehmen.
SPIEGEL: Im Koalitionsvertrag der Ampelregierung steht, man wolle »den Basis- und Höchstbetrag beim Elterngeld dynamisieren«.
Runge: Das ist so ein Kaugummibegriff, das kann alles sein. Die Politik sollte sich überlegen, welche Hebel sich zusätzlich zu unseren Forderungen ansetzen lassen. Etwa eine Veränderung der Bemessungszeiträume: Für die Höhe des Elterngeldes ist in der Regel entscheidend, wie viel man in dem Jahr vor der Geburt verdient hat. Aber wer zwei Kinder relativ kurz hintereinander bekommt und dazwischen gar nicht oder in Teilzeit gearbeitet hat, landet mangels entsprechender Einkünfte im Bemessungszeitraum oft bei 300 Euro. Bei Selbstständigen kann es auch passieren, dass ausgerechnet das Bemessungsjahr nicht so erfolgreich war wie andere. Warum wird man dafür abgestraft? Bei der Rente zahlt man doch auch jahrelang verschieden hohe Beiträge ein und bekommt am Ende eine bestimmte Summe, errechnet aus dem Durchschnitt – beim Elterngeld wird hingegen nur auf eine sehr kurze Zeitspanne geschaut. Das ist unfair.
Weckmann: Es bleibt nicht mehr viel Zeit in dieser Legislaturperiode. Das Beispiel der Kindergrundsicherung zeigt, wie schwer es ist, Gelder für Familienleistungen freizuschaufeln. Deswegen wollen wir das Thema auf die Agenda bringen. Es gab in den vergangenen Wochen viele Streiks von Ver.di oder der Bahn, alle fordern Inflationsausgleich für das vergangene Jahr. Beim Elterngeld wurde das jedoch 16 Jahre lang vergessen.
Nancy Koch
SPIEGEL: Tagelang streiken und einfach nicht um die Kinder kümmern ist für Eltern keine Option.
Koch: Wir Eltern haben meist auch gar keine Kraft übrig, um zu kämpfen oder zu demonstrieren – vor allem seit den Pandemiejahren. Es wird so vieles übersehen, was von Eltern geleistet wird.
Weckmann: Es gab in den Siebzigerjahren in Island einen Mütterstreik, ganz unmöglich ist streiken also nicht. Aber es ist traurig, dass wir über solche radikalen Mittel sprechen, nur um mit grundlegenden Forderungen gehört zu werden. Familien wurden während der Pandemie entmündigt. Sie waren der Situation der langen Schul- oder Kitaschließungen ausgeliefert. Vor allem Mütter haben in dieser Zeit viel Vertrauen in die Demokratie verloren. Ich kann das verstehen: Wenn man immer wieder kämpfen muss und permanent vergessen wird – das ist frustrierend.
SPIEGEL: Viele Eltern fühlen sich von der Politik und Gesellschaft ungesehen und alleingelassen.
Koch: In Deutschland hängen wir immer noch sehr dem Leistungsprinzip an. Die Leistung hinter der Sorge für andere – ob Kinder oder andere Pflegebedürftige – ist schwer in Euro messbar. Ich wünsche mir, dass wir zu einer Art »Care-Wirtschaft« gelangen, anstatt des Kapitalismus in seiner jetzigen Form, in dem es immer nach oben gehen muss.
Sandra Runge
Runge: Bei meiner Arbeit als Anwältin stelle ich immer wieder fest: Unsere Gesetze haben die Handschrift von Menschen, die nie in der Verantwortung für Kinder waren. Mir fehlt der ehrliche, bedürfnisorientierte Blick auf die Eltern. Wenn die Politik da näher an der Basis wäre, müsste ich Petitionen und Kampagnen nicht ehrenamtlich abends nach dem Vollzeitjob und der Kinderbetreuung organisieren.
Weckmann: In der Diskussion über den Fachkräftemangel wurden die Mütter plötzlich wiederentdeckt – als Ressourcen, die schnell wieder in den Arbeitsmarkt kommen sollen. Nach dieser Logik soll das Elterngeld lieber gar nicht so attraktiv sein. Dabei sollten wir doch in unserer Gesellschaft den Raum haben, füreinander da zu sein. Die Frage ist deshalb nicht nur: Können wir es bezahlen? Sondern: Wollen wir es nicht den Eltern ermöglichen, sich ohne finanzielle Sorgen um ihre Kinder zu kümmern?