Gleiche Entlohnung für gleiche Arbeit Wir müssen endlich über Geld sprechen

Birte Meier
Foto:Sebastian Pfütze / Penguin Random House
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Birte Meier, Jahrgang 1971, ist Investigativ-Chefreporterin bei RTL News. Davor hatte sie etliche Jahre als Redakteurin für die ZDF-Sendung »Frontal21« gearbeitet und unter anderem den Deutschen Wirtschaftsfilmpreis, den Umweltmedienpreis und den Friedrich-Vogel-Preis für Wirtschaftsjournalismus erhalten. Mit ihrem ehemaligen Arbeitgeber, dem ZDF, führte sie eine arbeitsrechtliche Auseinandersetzung über das Recht auf gleichen Lohn. Das Thema Equal Pay beschäftigte sie auch als Fellow am Thomas-Mann-Haus in Los Angeles und in ihrem neuen Buch.
Drei eng bedruckte Seiten ist der Aufhebungsvertrag lang, den mir das ZDF im Juni 2022 vorlegt. Nie wieder soll ich sagen dürfen, ich sei diskriminiert worden: »Insbesondere verpflichtet sich die Redakteurin, ihre Behauptung, sie habe eine niedrigere Vergütung als männliche Redakteure erhalten, weil sie eine Frau sei, wörtlich oder sinngemäß nicht zu wiederholen«, heißt es da etwas umständlich. Widersetze ich mich, soll ich 5000 Euro zahlen. Jede Woche, wohlgemerkt, zumindest bei fortdauernden Verstößen. Schadensersatzansprüche sollen noch obendrauf kommen.
Für das ZDF hingegen sind keine Vertragsstrafen vorgesehen. Nur unter diesen Bedingungen ist der Sender bereit, mir eine Summe zu zahlen, die mich wenigstens ansatzweise für die jahrelange Unterbezahlung entschädigen würde: 110.000 Euro plus vier Monate Freistellung bietet das ZDF dafür, dass ich schweige. Verlockend viel Geld, auch wenn männliche Kollegen für denselben Job all die Jahre noch mehr verdienten.
Warum also bietet mir der Sender diese Summe? Schadensersatz für Diskriminierung soll es nicht sein – sondern eine Abfindung dafür, dass ich meinen Job aufgebe. Ein Aufhebungsvertrag mit Maulkorb. Zehn Paragrafen beinhaltet das Dokument, dessen Inhalt niemand erfahren soll. Die offizielle Sprachregelung lautet: »Dritten gegenüber werden die Parteien ausschließlich mitteilen, dass sie sich unter wechselseitiger Beibehaltung ihrer Rechtsstandpunkte auf eine einvernehmliche Beendigung des Vertragsverhältnisses gegen Zahlung einer in ihrer Höhe nicht mitzuteilenden Abfindung verständigt haben.« Die Gebührenzahler:innen sollen also noch nicht einmal erfahren dürfen, was es sie gekostet hätte, dass ich mich knebeln lasse und endlich Ruhe gebe.
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Aufhebungsverträge wie dieser sind ein Grund dafür, dass sich rund um Lohndiskriminierung eine Art Schweigekartell gebildet hat. Ein schwarzes Loch, in dem all die Geschichten der Frauen verschwinden, die nicht mehr angehört werden können. Die tückische Dynamik, die eine Beschwerde allzu oft auslöst, kann sich ungehindert im Verborgenen entfalten.
»Ich wurde mundtot gemacht. Ich will meine Stimme zurück!«, sagt eine der Frauen, der der US-amerikanische Filmmogul Harvey Weinstein das Reden verbieten wollte: Die Äußerung stammt aus Maria Schraders Verfilmung der Recherchen der New York Times, die unter dem Titel »She Said« veröffentlicht wurden. Spätestens mit der #MeToo-Debatte sind solche Schweigeverpflichtungen in den USA und in Großbritannien in Misskredit geraten.
Und so verbietet Kalifornien, wie einige andere US-Staaten auch, es Firmen inzwischen, Schweigeklauseln bei Vergleichen von Diskriminierungsverfahren zu verlangen. In Großbritannien gerieten die BBC und der private Fernsehsender Channel 4 in die Kritik, weil sie versuchen, einige Equal-Pay-Beschwerdeführerinnen auf diese Weise zum Schweigen zu bringen. Wer reden will, soll reden dürfen.
Ein Stigma bricht man nicht allein. Und nicht im Verborgenen.
Als Hollywood-Star Jennifer Lawrence nach einem Hackerangriff auf die Produktionsfirma Sony erfährt, wie eklatant viel weniger als ihre männlichen Kollegen sie verdient, ist sie, wie sie 2015 schreibt, geradezu überrascht über ihre erste Reaktion: »Ich war nicht auf Sony wütend – sondern auf mich selbst. Ich habe beim Verhandeln versagt, weil ich zu früh aufgab (…) Ich wollte nicht als ›schwierig‹ gelten oder ›verwöhnt‹. Damals erschien mir das wie eine gute Idee. Bis ich die Gehälter im Internet sah und feststellte, dass ganz sicher kein einziger Mann, mit dem ich arbeitete, sich darüber Gedanken machte, ob er ›schwierig‹ oder ›verwöhnt‹ schien. (…) Damit ist jetzt Schluss. Ich versuche jetzt nicht mehr, einen ›charmanten‹ Weg zu finden, meine Meinung zu sagen und dabei noch liebenswert zu erscheinen. Fuck that!«
Wer sich für weibliche Minderbezahlung interessiert, erfährt die Geschichten der Frauen überall. An der Hotelrezeption im ländlichen Österreich. Beim Seminar für Führungskräfte im Berliner Speckgürtel. Sie werden unter der Hand weitergereicht, in gedämpftem Tonfall, so wie man sich im Büro – etwas peinlich berührt, aber die Notwendigkeit der Frage vor Augen – nach einem Tampon erkundigt. Schon beim Mittagessen, mit Männern und Vorgesetzten am Tisch, ist das Thema wieder tabu.
Ich unterzeichne das Schweigegebot des ZDF nicht und kündige im Juni 2022 ganz regulär. Das Schweigen der Frauen nämlich hat Folgen für alle – auch für die Politik. In wenigen Tagen, am 7. März, ist es wieder so weit: Equal Pay Day. Das Anprangern der großen Ungerechtigkeit gehört bei den Verantwortlichen Jahr für Jahr zum guten Ton. Ansonsten unternimmt die Politik aber herzlich wenig.
Nach wie vor ist die Lohnlücke fast nirgends in Europa so hoch wie hierzulande: 18 Prozent. Ein ordentliches Gesetz, das die Unternehmen in die Pflicht nähme, ist jedoch nicht in Sicht. Die Ampelkoalition konnte sich im vergangenen Dezember noch nicht einmal dazu durchringen, einer neuen EU-Richtlinie für mehr Lohngerechtigkeit zuzustimmen. Stattdessen suchen wir weiter die Schuld bei den Frauen, ihrem vermeintlichen Hang zum schlechter bezahlten Beruf – Friseurin statt Elektroniker – oder ihrem angeblich mangelnden Verhandlungstalent.
»Lohndiskriminierung ist das schmutzige Geheimnis des Gender Pay Gap«, schreibt die ehemalige China-Korrespondentin der BBC in ihrem Buch »Equal«. 2018 schmiss sie ihren Job hin, als sie erfuhr, dass der Korrespondent in Washington, D.C., mindestens 50 Prozent mehr verdiente. Gemeinsam mit ihren Kolleginnen – und Kollegen – startete sie einen öffentlichen Protest. Am Ende gab der Sender klein bei. Erfolgreiche Klagen auf gleichen Lohn gehören in Großbritannien wie auch in den USA längst zum Alltag.
In Deutschland hingegen wehrt sich kaum eine, schon gar nicht öffentlich. Kein Wunder: Das 2017 mit großem Tamtam eingeführte Entgelttransparenzgesetz entpuppt sich in der Praxis als unbrauchbare Absichtserklärung, von der Wirtschaftslobby erfolgreich verwässert. Erschwerend kommt hinzu: Untere Arbeitsgerichte ignorierten bindendes Europarecht lange. Im Ergebnis waren Verfahren besonders mühsam, wenn nicht unmöglich.
Equal Pay Now: Endlich gleiches Gehalt für Frauen und Männer
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20.03.2023 20.23 Uhr
Keine Gewähr
Inzwischen beendete das Bundesarbeitsgericht diese Praxis und machte in drei Grundsatzurteilen deutlich, dass der Gesetzgeber seinen Pflichten bisher nur ungenügend nachgekommen ist.
Damit Frauen aber nicht mehr für ihre niedrigeren Verdienste verantwortlich gemacht werden, braucht es mehr: einen Kulturwandel. Keine Stillschweige-Vereinbarungen. Denn wir müssen endlich reden: Über Geld, und darüber, was alles schieflaufen kann, wenn eine Frau tatsächlich gleichen Lohn einfordert. Nur so haben wir eine Chance, dass der Gesetzgeber die Hürden endlich aus dem Weg räumt. Wir müssen anerkennen, dass viele einfach schlechter bezahlt werden, weil sie Frauen sind. Und dass es eine Selbstverständlichkeit sein sollte, dagegen vorzugehen.
Dieser Text basiert auf Birte Meiers Buch »Equal Pay Now! Endlich gleiches Gehalt für Frauen und Männer«, erschienen am 1. März.