EuGH-Urteil Dürfen jetzt auch Atheisten für die Kirche arbeiten?

Europäischer Gerichtshof in Luxemburg
Foto: Thomas Frey/ dpaDer Europäische Gerichtshof (EuGH) hat an diesem Dienstag entschieden, dass kirchliche Arbeitgeber von Bewerbern nicht in jedem Fall eine Religionszugehörigkeit fordern können. Die Konfession könne nur zur Bedingung gemacht werden, wenn sie für die Tätigkeit "objektiv geboten" sei. Außerdem müsse die Verhältnismäßigkeit gewahrt bleiben. Doch was bedeutet das?
Mit dem Urteil lockert der EuGH die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zum kirchlichen Privileg der Selbstbestimmung und schützt die Arbeitnehmer vor religiöser Diskriminierung. Gerichte dürfen nun im Zweifelsfall überprüfen, ob eine Stellenausschreibung an die Konfession der Bewerber gebunden sei (Az. C-414/16).
Die Grundrechte müssen abgewogen werden
"Der EuGH stellt sich mit dem Urteil gegen das Bundesverfassungsgericht", sagte Samuel Gruber, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Anwaltskanzlei Melchers in Heidelberg dem SPIEGEL. "Die Rechte und Grundrechte des Bewerbers müssen von nun an stärker berücksichtigt werden." Die Regelung im deutschen Gesetz sei bislang zu lasch.
Wenn Kirchen von ihren Bewerbern und Angestellten eine Konfessionszugehörigkeit fordern, dann verstößt dies gegen das Antidiskriminierungsgesetz. In jedem Fall müssen die Grundrechte von beiden Seiten von nun an abgewogen werden. Dabei kommt es immer auf die Tätigkeit an, die der Bewerber auszuführen hat.
Pfarrer haben beispielsweise "verkündungsnahe" Tätigkeiten, sie sprechen zu den Menschen, verkünden etwas. Ärzte oder Krankenpfleger hingegen, führen in erster Linie andere Aufgaben aus. Ob also in Zukunft jemand Kirchenmitglied sein muss, um eine Stelle bei einem kirchlichen Arbeitgeber zu bekommen, müssen die deutschen Gerichte von nun an im Einzelfall prüfen.
Christian Althaus von der Essener Wirtschaftskanzlei Kümmerlein hält das EuGH-Urteil für sehr ausgewogen. Dem SPIEGEL sagte er: "Das Urteil erkennt das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen an - aber nur, insoweit es einen Bezug zur Tätigkeit gibt." Die Kirchen dürfen also nicht mehr frei bestimmen, wen sie einstellen oder nicht. "Wenn die Kirchen etwa einen Gärtner engagieren, dann sollte es egal sein, ob er die gleiche Konfession wie sein Arbeitgeber hat oder ob er zum zweiten Mal verheiratet ist."
Für Buchhalter spielt die Konfession keine Rolle
In Zukunft könnten viele kirchliche Stellen nun mit Menschen besetzt werden, die eine andere Konfession haben als der Arbeitgeber - zum Beispiel auch in der Verwaltung. "Wenn jemand die Lohnabrechnung für Kirchenmitarbeiter macht, spielt die Konfession keine Rolle. Anders sieht es aus, wenn sich jemand um Kirchenaustritte kümmert und vielleicht bei ehemaligen Kirchenmitgliedern anrufen muss, um die Gründe zu erfragen", sagte Althaus.
Auch bei Führungskräften könnte die Konfession eine größere Rolle spielen. Hier könnte es entscheidend sein, ob der Arbeitnehmer die gleichen Werte und Ansichten hat wie sein Arbeitgeber. Grundsätzlich gilt: "Je entfernter die Tätigkeit vom Aufgabenfeld der Kirche ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass die Kirchen Vorgaben machen können."
Althaus vermutet, dass in Zukunft mehr Klagen kommen könnten. "Wer sich bei einer Stellenvergabe benachteiligt fühlt, kann innerhalb von zwei Monaten den Schadensersatzanspruch schriftlich geltend machen."
Doch das Urteil komme keinem Freifahrtschein gleich: Die Gerichte müssten im Einzelfall entscheiden, sie hätten aber vom EuGH Leitplanken bekommen. Einen Konflikt mit dem Grundgesetz sieht Althaus nicht. Die Grundgesetzbestimmungen müssten nicht geändert - sondern mit Blick auf die EU-Vorgaben gelesen werden.
Die Katholische Kirche will nun prüfen, ob sie die Einstellungspraxis verändern muss, so teilte die Deutsche Bischofskonferenz in Bonn mit, sie begrüße die Klarstellung des Gerichts, "dass den staatlichen Gerichten im Regelfall nicht zusteht, über das religiöse Ethos der Religionsgemeinschaft zu befinden". Die Kirche selbst lege ihr Selbstverständnis fest, nicht der Staat oder ein Gericht.