
Schwedische Offenheit: Wer verdient wie viel?
Lohntransparenz in Schweden Mal kurz das Gehalt des Nachbarn checken
Schon vor seinem Umzug nach Schweden redeten alle von dieser Nummer. Mittlerweile weiß Horst-Günther Schmitz, warum. Seit 2005 lebt der Lehrer in Stockholm, an der Deutschen Schule, der Tyska Skolan, unterrichtet er Erdkunde und Englisch. "Alle redeten ständig darüber, dass ich mir sofort eine Personennummer besorgen müsste", erinnert er sich und fängt an zu lachen: "Nach acht Jahren in diesem Land kann ich bestätigen, dass einem in Schweden ohne diese Nummer nicht zu helfen ist."
Tatsächlich hat jeder Schwede eine Personennummer, die sich aus den Geburtsdaten und vier darauf folgenden Ziffern zusammensetzt. Gleich nach der Geburt schmiedet das Finanzamt diese unzertrennliche Einheit aus Mensch und Nummer, und danach gilt: Was auch immer ein Schwede tut - wohnen, kaufen, Auto fahren, Videos leihen, heiraten, sterben - stets wird seine Nummer registriert. Diese Datenflut mündet im Zentralrechner des Finanzamtes.
"Jeder Deutsche denkt natürlich an den großen Bruder", sagt Schmitz: "Aber die Schweden halten ihren Staat eher für so was wie eine kleine Schwester: ungefährlich und hilfsbereit."
Das Finanzamt weiß alles - und sagt auch alles weiter
Der größte Unterschied zwischen den schwedischen und deutschen Datensammlern ist die totale Transparenz: "Skatteverket", das schwedische Finanzamt, weiß nicht nur alles. Es sagt auch fast alles weiter. Jeder kann jede beliebige Information über jedermann bei "Skatteverket" abfragen. Anruf genügt.
Da gibt es zum Beispiel die Steuerauskunft, ein kostenlos nutzbarer Service des Amtes, der präzise Auskünfte gibt über sämtliche steuerpflichtigen Einkünfte der Bürger. Millionenfach wird der beliebte Dienst jährlich genutzt - nicht nur von Unternehmen, die eine Kreditauskunft wünschen, sondern auch von Privatpersonen, einfach so.
Nirgendwo weiß man das besser als bei "Aftonbladet" in Stockholm, Schwedens auflagenstärkster und lautester Zeitung. Das gläserne Redaktionsgebäude ähnelt einem durchsichtigen Flugzeugträger, der im Zentrum der Hauptstadt gestrandet ist. Jahr für Jahr produziert "Aftonbladet" mindestens zwanzig Coverstorys zum Thema Einkommen, sie gehören mit Abstand zu den auflagenstärksten.
"Neue Listen: Ehepaare, die am meisten verdienen - in deiner Nachbarschaft! Namen! Alter! Einkommen!" - titelte das Blatt nach den Weihnachtsfeiertagen, als die Schweden gerade das Geschenkpapier unter den Bäumen weggeräumt hatten. Über die Seiten 30, 32, 34 und 36 zogen sich dreispaltige Listen besserverdienender Ehepaare aus dem Großraum Stockholm.
Ungestört in die Garderobe der anderen gucken
"Ich finde, dass es einen investigativen und aufklärerischen Aspekt gibt", rechtfertigt Camilla Norström, Redaktionschefin des "Aftonbladet", die marktschreierische Schnüffelei. Laut Norström gehören die Schweden nicht nur zur Weltspitze bei Facebook und Twitter. "Wir lieben den totalen Einblick. Wir gehen sogar auf Hausbesichtigungen in der eigenen Straße, wenn wir das Objekt gar nicht kaufen wollen. Wir möchten einfach mal ungestört in die Garderobe der Nachbarn gucken."
Die Berichterstattung kann auch politische Gründe haben: "Wenn wir schreiben, wie viel unsere Politiker nebenher verdienen, und das in Bezug zu ihren Ansichten und ihrem politischen Programm setzen, dann macht das für die Bürger einen Unterschied", sagt die Redaktionschefin. "Genauso kann ich mir vorstellen, dass die vielen Vergleiche zwischen Einkünften von Männern und Frauen auch der Gleichberechtigung dienen." Transparente Einkommensverhältnisse, so die Logik, schärfen das Bewusstsein für Ungerechtigkeiten.
Maximale Transparenz war einer der Grundgedanken des schwedischen Steuerrechts, das in dieser Form seit 1980 gilt. "Medien, aber auch andere gesellschaftliche Interessengruppen sollen überprüfen können, wie Menschen in Schweden eigentlich behandelt werden", sagt Gunnar Svensson, der im Stockholmer Finanzamt als Rechtsexperte für das so genannte Öffentlichkeitsprinzip zuständig ist.
Nur der König bleibt geheim
Dabei ist das Überwachungssystem überraschend simpel: Behörden und Unternehmen müssen für alle ihre Auszahlungen so genannte Kontrollangaben an "Skatteverket" machen. Darin steht, wer wann wie viel an wen gezahlt hat. Die Personennummer ist natürlich immer dabei und sorgt dafür, dass das Finanzamt jede Krone und Öre individuell zuordnen und schließlich auch besteuern kann. "Die eigentliche Einschränkung der Einkommenstransparenz liegt darin, dass nur das vom Finanzamt zur Besteuerung bestimmte Einkommen öffentlich gemacht wird", sagt Svensson.
Nur eine Ausnahme macht "Skatteverket": Bei König Carl Gustav und Königin Silvia. Alle anderen Daten sind offen zugänglich, weswegen Ausreißer auf der Einkommensskala schnell publik werden. Einige stören sich daran: Vorallem Superreiche würden sich darüber beschweren, weiß Svensson. Wer allerdings tatsächlich bedroht oder verfolgt wird, kann eine Sicherheitseinstufung beantragen und seine kompletten Daten anonymisieren lassen.
Eine kurze Anfrage im Finanzamt verrät beispielsweise: Der konservative Premierminister Fredrik Reinfeldt aus dem Stockholmer Vorort Täby, getrennt, drei Kinder, verdient exakt 140.000 Kronen im Monat. Das sind etwa 15.000 Euro und entspricht einer Einkommenssteigerung von 10,7 Prozent in den vergangenen drei Jahren. Das sind gleichzeitig 55 Prozent mehr als sein sozialdemokratischer Vorgänger Göran Persson vor zehn Jahren verdiente.
Der große Transparenzschock kam nach wenigen Monaten
Die völlige Transparenz hilft auch bei der Steuererklärung. "In Schweden haben wir eine Smartphone-App, mit der die Steuererklärung kurzer Zeit zu erledigen ist. Wir arbeiten nach dem Prinzip: Richtigmachen soll leicht sein, Falschmachen schwer", sagt Svensson. So schickt "Skatteverket" schon so gut wie fertig ausgefüllte Steuererklärungen an die Bürger.
Lehrer Horst-Günther Schmitz fand, wie viele andere Einwanderer auch, die große Durchsichtigkeit zunächst beunruhigend. "Kurz nachdem wir unser Haus in einem Vorort von Stockholm bezogen, klingelte unsere neue Nachbarin, eine ältere Dame, um mich für die Nachbarschaftshilfe anzuwerben. Da stand diese nette Frau und wusste alles über mich. Alles!"
Der große Transparenzschock sei allerdings erst nach einigen Monaten gekommen. Sein Auto brauchte neue Wischerblätter, doch als er in dem Laden stand, konnte Schmitz sich nicht mehr an Modell und Jahrgang seines Autos erinnern. "Ich wollte auf den Parkplatz gehen, um nachzugucken", berichtet er. "Nicht nötig", habe der Verkäufer geantwortet, "Sag' mal Deine Personennummer, dann hol ich die Daten eben aus dem Register." Schmitz konnte es kaum glauben: "Ich dachte nur: Für die Wischerblätter?"

KarriereSPIEGEL-Autor Niels Reise lebt und arbeitet seit 16 Jahren in Stockholm.
Gehaltsreport 2013
Der Gehaltsreport ist eine Aktion von "manager magazin" und XING . Es dauert etwa 20 Minuten, die Fragen zu beantworten.
Für Fragen ist eine Mail-Hotline eingerichtet: gehaltsreport@manager-magazin.de
Antworten auf häufige Fragen finden Sie auch in den FAQs.
Auf "KarriereSPIEGEL", dem gemeinsamen Portal von "Spiegel Online" und "manager-magazin.de", finden Sie in den kommenden Wochen zusätzlich zahlreiche Artikel, die sich dem Thema Gehalt aus unterschiedlichen Perspektiven nähern. Darunter Interviews mit Experten, Tipps für Gehaltsverhandlungen oder wissenschaftliche Analysen zur Psychologie des Geldes.