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Dawanda und Etsy: Das Geschäft mit der Handarbeit

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Dawanda-Muttis Wir häkeln uns einen Job

Kaum sind die Kinder im Bett, blühen die Bastlerinnen auf. Sie zeichnen und nähen und schmieden, auch ihr eigenes Glück. Drei Frauen erzählen vom Erfolg mit Selbstmach-Portalen - und warum sie trotz Dawanda und Etsy am Soloauftritt stricken.
Von David Krenz

Die Freunde von Sarah Jolitz, 28, waren fassungslos. "Du verkaufst jetzt bei Dawanda? Da gibt's doch nur Topflappen!" Jolitz hatte immerhin Mode studiert und bei Wolfgang Joop hospitiert. Standesgemäß oder nicht - die Berlinerin wollte endlich entwerfen, nicht länger im Café kellnern oder "Reißverschlüsse zählen", wie sie ihre frühere Stelle als Designassistentin bei einem Outdoor-Label beschreibt.

Auf Dawanda klickte sie ihr eigenes Label zusammen, Kaliber Fashion, und lud im Frühjahr 2012 vier ihrer Rucksackmodelle hoch. Schlanker Schnitt, mit Goldkordel verschnürt, "nicht zu sportiv". 20 ihrer It-Backpacks schlägt sie im Monat über das Portal los. Dazu verkauft sie auf Designmärkten. Dank Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse, 180 Euro Gründerzuschuss und altem Mietvertrag reicht ihr das zum Leben.

Über Dawanda wurden 2013 Waren für mehr als 100 Millionen Euro verkauft. Etsy, das Original aus den USA, knackte gar die Millarden-Dollar-Marke. Dafür müssten Hobbyverkäufer lange stricken. Auf den digitalen Bastelbasaren sind längst Profis am Werk. Dawanda schätzt gar, dass ein Fünftel seiner 230.000 registrierten Verkäufer hauptberuflich mit Handarbeit handele.

Die Portalbetreiber verlangen geringe Provisionen und Gebühren pro Verkauf. Für den Anfang braucht es weder Geld für Ladenmiete noch ein ausgereiftes Geschäftsmodell. Die schreibfreudige Community spielt Handelsberater, macht Produktprototypen mit Verbesserungsvorschlägen marktreif. Das Feedback auf Jolitz' Rucksäcke damals: Verstellbare Träger und Kleinkramfach wären gut. Seither stattet sie damit jedes Modell aus.

"Ob ich damit Geld verdiene, war mir völlig hupe"

Quereinsteiger tasten sich auf den Seiten ans Bastel-Business heran. Frauen führen acht von zehn Dawanda-Shops, die Mehrheit habe Kinder zu Hause, sagt Firmensprecherin Ina Froehner: "Im Onlinehandel finden sie flexiblere Strukturen als im typischen Angestelltenverhältnis. Viele arbeiten abends, wenn die Kinder im Bett sind."

Auch Claudia Pöpsel, 43, machte ihre nächtliche Leidenschaft zum Beruf. Als sie noch als Filmproduzentin arbeitete, verzog sie sich nach stressigen Drehtagen in ihre Bastelecke. Sie gehe mal in ihre "Villa Sorgenfrei", pflegte sie ihrem Mann zu sagen. So nannte sie auch ihre Shops auf Etsy und Dawanda. Sie habe neue Abnehmer für ihren Schmuck finden wollen, sagt Pöpsel, alle Bekannten waren längst eingedeckt. "Ob ich damit Geld verdiene, war mir völlig hupe."

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Schnell entwickelten sich die Kettchen und Medaillons aus Naturmaterialien zum glänzenden Geschäft: 2013, im dritten Jahr, nahm sie mehr als eine Million Euro ein. Pöpsel zählt zu Dawandas Topverdienerinnen. An einem üblichen Tag verkauft sie dort 100 Schmuckstücke, dazu 30 über Etsy und 20 in ihrem Laden nahe der angesagten Torstraße in Berlin-Mitte. In den Hinterzimmern beantworten 16 Mitarbeiter Kunden-E-Mails und pusseln Pusteblumen-Schirmchen in mundgeblasene Glasperlen. "Ohne Dawanda", sagt Pöpsel, "säßen wir hier nicht."

Dennoch werkelt sie am eigenen Onlineshop. "Wenn Dawanda oder Etsy mal von einem Virus lahmgelegt werden oder sonstwie ruckeln sollten, habe ich für alle Fälle lieber einen dritten Server am Start, damit wir dann nicht doof aus der Wäsche schauen."

Wer gefunden werden will, muss zahlen

Aus ganz anderen Motiven entschied sich Petra Radenkovic, 48, zum Soloauftritt. Die frühere Scheidungsanwältin schneidert und verkauft von Wien aus lederne Taschen und Geldbeutel. "Dawanda ist unter uns Verkäuferinnen nicht mehr das, was es einmal war", sagt sie. Da sei einerseits die "Chinaware". Threads wie "Massenartikel auf der Plattform" und "Kontrolliert endlich die angebotenen Artikel" sind heiß diskutiert im Forum des Onlinehändlers.

Andererseits können kleinere Anbietern bei täglich bis zu 10.000 neuen Produkten leicht hinter dem wachsenden Warenwust verschwinden. "Auf Dawanda wird nur noch gefunden, wer teure Logenplätze bucht", sagt Radenkovic. Bezahlte Werbeanzeigen - ein Platz auf der Startseite, eine Erwähnung im Newsletter - sind wichtige Einnahmequellen der Do-it-yourself-Portale.

Im Oktober ging Radenkovics eigener Verkaufskanal online. Programmieren, Bloggen, Suchmaschinenoptimierung, das sei viel Arbeit, lohne sich aber. Binnen drei Monaten habe sie über ihren Shop Elfenklang 10.000 Euro eingesammelt - "mehr als bei Dawanda im ganzen Jahr".

Typische Geschichte, heißt es bei der Berliner Gründerinnenzentrale, einer Anlaufstelle für Frauen auf dem Weg in die Selbstständigkeit. "Unsere Kundinnen nutzen die Plattformen als Einstieg, um zu testen, ob ihre Sachen überhaupt nachgefragt werden", sagt Projektassistentin Ulla Schweitzer. Im nächsten Schritt verkauften viele auf Kunsthandwerkermärkten oder im eigenen Onlineshop.

Jung-Designerin Sarah Jolitz lässt ihre Rucksäcke bereits von einer Fachkraft in der Nachbarschaft nähen und hat neulich eine Kooperation mit einem Webhoster unterzeichnet. Für ein Viertel der Einnahmen baut und füttert der Webshop und Social-Media-Kanal. Dann müsse sie sich nicht mehr um diesen "ganzen Onlinekram" kümmern, sagt sie, sondern nur doch die Produktion überwachen. Und an neuen Entwürfen arbeiten: "Genau das, was ich eigentlich machen will."

KarriereSPIEGEL-Autor David Krenz (Jahrgang 1984) ist Absolvent der Zeitenspiegel-Reportageschule und lebt als freier Journalist in Berlin.

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