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Förderung vom Staat: Gründer gegen Arbeitsvermittler

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Existenzgründung Lotterie für Fördergelder

Seit gut einem halben Jahr gelten neue Regeln für den Gründungszuschuss. Der Antrag ist seither zum Lotteriespiel verkommen, Abwimmeln ist vielen Ämtern wichtiger als Helfen. Nur wenn sich Existenzgründer extrem gut vorbereiten, haben sie Chancen auf Förderung.
Von Eva-Maria Hommel

Agnes Rottland, 44, ist überzeugt von ihrer Geschäftsidee: Sie will junge Menschen für klassische Musik begeistern, mit Konzerten im Freien oder Sängern, die sich unters Publikum mischen. 13 Jahre lang hat sie als Kulturmanagerin in der Kölner Philharmonie gearbeitet, jetzt will sie sich selbständig machen. Für den Einstieg ist sie auf den Gründungszuschuss der Arbeitsagentur angewiesen, doch der ist gar nicht mehr so leicht zu bekommen.

Rottland muss im Arbeitsamt dreimal um den Antrag bitten und bekommt schließlich einen Fragebogen in die Hand gedrückt. "Wie eine Prüfung in der Schule" hat sich das angefühlt, sagt sie. Der Arbeitsvermittler verlangte sogar Beweise dafür, dass sie keine offene Stelle in der Umgebung finden kann.

Früher bekam den Gründungszuschuss fast jeder, seit Januar entscheiden die Arbeitsagenturen einzeln darüber. Den Zuschuss bekommt nur, wer auf dem Arbeitsmarkt nicht vermittelbar ist, einen Arbeitslosengeld-Anspruch von 150 Tagen hat, ein tragfähiges Konzept für die Unternehmensgründung vorlegen kann und selbst nicht über das nötige Kapital verfügt.

Experten halten den Gründungszuschuss für eines der erfolgreichsten arbeitsmarktpolitischen Instrumente. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit kommt zu dem Ergebnis, dass viele Selbständige, die mit dem Gründungszuschuss gefördert wurden, sogar ein höheres Nettoeinkommen erwirtschaften als der Durchschnitt der Erwerbstätigen.

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Zehn Erfolgsgeschichten: Gut gegründet

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Dennoch hat Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) die Mittel stark gekürzt: 2010 waren es noch fast 1,9 Milliarden Euro, 2012 soll es eine Milliarde weniger sein. Bundesweit ist die Zahl der Geförderten schon gesunken: Im März 2011 waren es noch 132.000, ein Jahr später nur noch 107.000.

Andreas Lutz, Existenzgründer-Berater, gibt der Sparpolitik die Schuld: "Die Agenturen verhindern, dass die Leute überhaupt Anträge stellen." Eine 57-Jährige, die sich als Coach selbständig machen wollte, habe in der Arbeitsagentur gesagt bekommen, sie sei noch vermittelbar. "Vor kurzem hat man Leuten in diesem Alter noch das Gegenteil erzählt", sagt Lutz.

Bloß nicht abschrecken lassen

Manche Antragsteller bekommen auch zu hören, bestimmte Berufe seien ganz vom Fördergeld ausgeschlossen. Das ist aber nicht rechtens: "Wir müssen immer den Einzelfall anschauen", sagt Uwe Herrberger von der Arbeitsagentur in Annaberg-Buchholz. "In unserer Region werden händeringend Pflegekräfte gesucht. Trotzdem kann eine Mutter mit Kindern nicht in Schichten arbeiten. Wenn sie sich mit einem mobilen Pflegedienst selbstständig machen will, werden wir sie wahrscheinlich unterstützen."

Nicht abschrecken lassen heißt also die Devise. Manchmal gefällt den Agentur-Mitarbeitern die neue Politik offenbar selbst nicht. "Meine Beraterin hat gesagt, sie würde mich gerne unterstützen, aber sie müsse mir sagen, dass die Chancen schlecht seien", berichtet Susanne Jahn, 52, aus München. Die Tierärztin will sich mit einer Hausbesuchs-Praxis selbständig machen.

Das größte Problem ist für viele die Unsicherheit. Oft kommt die Zusage zum Zuschuss erst nach der Gründung. Berater Andreas Lutz befürchtet, dass sich deswegen viele gar nicht selbständig machen, oder ihre Firma nur im Nebenerwerb betreiben. Dennoch gebe es keinen Grund zur Panik: "Ein gut vorbereiteter Antrag hat weiterhin gute Chancen."

Schon der erste Besuch zählt

Sein Tipp: Sich möglichst früh beraten lassen. Denn schon die Eingliederungsvereinbarung mit der Arbeitsagentur stelle wichtige Weichen: "Wenn der Vermittler die Selbständigkeit nicht als Ziel aufschreibt, darf man dafür keine Zeit aufbringen." Ein sicheres Auftreten und ein guter Businessplan seien wichtiger denn je. Vor allem aber müsse der Gründer auf seinem Recht bestehen, einen Antrag zu stellen: "Viele Arbeitsagenturen wollen das verhindern, um sich Klagen zu ersparen."

Wer sich den Zuschuss erkämpft hat, muss sich auf Neuerungen einstellen: Die erste Phase, in der die Empfänger ihr Arbeitslosengeld I plus 300 Euro bekommen, wurde von neun auf sechs Monate verkürzt. Phase 2, in der ihnen nur noch die 300 Euro zustehen, wurde von sechs auf neun Monate verlängert. Gertrud Hansel, die Existenzgründer im Raum Augsburg berät, findet das gut: "Dadurch werden die Leute schneller gründen. Bisher haben viele monatelang gebraucht, um in die Gänge zu kommen."

Eins steht jetzt schon fest: Es wird riskanter, sich bei der Gründung allein auf den Zuschuss zu verlassen. Das Problem ist nur, dass viele keine andere Wahl haben, so wie Tierärztin Susanne Jahn. Sie will sich aber nicht abschütteln lassen: "Ich weiß, dass ich das kann. Und ich kämpfe mich da durch."

Gründungszuschuss - die wichtigsten Fragen und Antworten

Wer kann einen Gründungszuschuss bekommen?

Wer arbeitslos gemeldet ist und bei der Gründung einen Anspruch auf Arbeitslosengeld I von mindestens 150 Tagen hat, kommt für den Zuschuss in Frage. Bei einem Gesamtanspruch von einem Jahr muss man sich also spätestens nach sieben Monaten selbständig machen. Arbeitslosengeld-II-Empfänger können Einstiegsgeld beantragen.

Wie viel Geld gibt es?

Förderphase I dauert sechs Monate: Die Selbständigen bekommen ihr Arbeitslosengeld I weiter, plus 300 Euro pro Monat als Pauschale für die soziale Absicherung. Auf Antrag können sie in Phase II neun Monate lang weiter unterstützt werden, allerdings nur noch mit 300 Euro. Dafür müssen sie die Agentur überzeugen, dass sich ihre Geschäftserwartungen weitgehend bestätigt haben und eine rege Geschäftstätigkeit nachweisen.

Bleibt mein Anspruch auf Arbeitslosengeld bestehen?

Nein. Jeder Tag, an dem man Gründungszuschuss bekommt, wird vom Arbeitslosengeld-Anspruch abgezogen.

Bis wann muss ich die Mittel beantragen?

Den Antrag muss man stellen, bevor man die selbständige Tätigkeit aufnimmt. Berater empfehlen, das Geld möglichst früh zu beantragen.

Welche Unterlagen muss ich bei der Arbeitsagentur vorlegen?

Die Vermittler verlangen eine Stellungnahme einer fachkundigen Stelle zur Eignung des Gründers. Die bekommt man zum Beispiel von Kammern, Fachverbänden oder Banken. Grundlage sind in der Regel ein Businessplan, ein Kapitalbedarfs- und Finanzierungsplan, eine Umsatz- und Rentabilitätsvorschau, Lebenslauf und Zeugnisse.

Ab wann bekomme ich Geld?

Der Zuschuss wird ab dem Tag der Gründung ausgezahlt.

Kann ich auch gefördert werden, wenn ich mein Unternehmen nebenberuflich betreiben will?

Nein, den Gründungszuschuss bekommt nur, wer seinen Betrieb hauptberuflich führt, mit einer Arbeitszeit von mehr als 15 Stunden pro Woche.

Bekomme ich den Gründungszuschuss, wenn ich gerade eine geförderte Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) hinter mir habe?

Ja, aber nur, wenn die Selbständigkeit direkt an die ABM anschließt.

Ich war schon einmal selbstständig und möchte jetzt wieder ein Unternehmen gründen. Kann ich den Gründungszuschuss ein zweites Mal bekommen?

Ja, wenn seit dem Ende der letzten Förderung 24 Monate vergangen sind.

Ich möchte gemeinsam mit einem Partner ein Unternehmen gründen. Kann ich dafür den Gründungszuschuss bekommen?

Ja. Das Geld kann erhalten, wer gleichberechtigter Partner ist und das unternehmerische Risiko mitträgt.

Ich möchte mir von einem Coach helfen lassen. Bekomme ich dafür Fördergeld?

Wer den Gründungszuschuss bekommt, kann bis zu 90 Prozent der Kosten für das Gründercoaching Deutschland erstattet bekommen. Das Geld kommt aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF).

Mein Verdienst reicht nicht zum Leben. Kann ich zusätzlich zum Gründungszuschuss aufstockendes Arbeitslosengeld II bekommen?

Grundsätzlich ja. Bei der Berechnung wird allerdings jedes Einkommen berücksichtigt.

Muss ich auf den Gründungszuschuss Steuern zahlen?

Nein, nur auf das Einkommen aus der selbständigen Arbeit.

Eva-Maria Simon (Jahrgang 1984) ist freie Journalistin (www.weitwinkel-reporter.de). Sie schreibt vor allem über Arbeit und Soziales.

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