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Heimatlose Freischaffende Wo soll ich bloß arbeiten?

Frei arbeiten ist oft einsam. Wer es leid ist, seine Projekte am Küchentisch zu erledigen, geht ins Café, in die Bibliothek, ins Beta-Haus - oder gründet eine Bürogemeinschaft. Aber welches Angebot passt zum persönlichen Arbeitsstil? Margarete Hucht machte den Selbstversuch.

In meinem Erwerbsleben gibt es ein kleines Geheimnis: Mein Arbeitsplatz ist mein Küchentisch. Nein, dort koche ich nicht. Ich bin Freelancer in der Medienbranche. Morgens mit dem ersten Kaffee sitze ich am Rechner, dann ackere ich mich durch den Tag. Wenn ich eine Pause brauche, lese ich Zeitung, stopfe schnell die Waschmaschine voll oder räume meiner Tochter hinterher.

Meine Auftraggeber interessiert nicht, wo ich hocke. Die wenigsten kennen mich ohnehin persönlich. Sie melden sich per Mail, manchmal am Telefon - und das ist dann schon intim.

Ich mag meinen Arbeitsplatz, denn er stellt keine Ansprüche. Nicht an mein Outfit, nicht an meine Laune - nicht mal duschen muss ich. Und eigentlich hatte ich gedacht, dass ich ewig so weitermachen würde. Doch dann traf mich der Satz einer Kollegin ins Mark. Das Zuhause-Arbeiten sei nichts anderes als "eine moderne Version des Hausfrauendaseins", meint sie. Das lässt mich nicht mehr los. Irgendwie hat sie Recht.

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Foto: Corbis

Andere Freelancer haben die Heimarbeit längst hinter sich gelassen und gehen in ihr eigenes Büro, ich weiß das. Das kostet natürlich Geld - Miete, aber auch wieder nicht so viel. Wenn man sich mit anderen zusammenschließt, kann man schon ab 150 Euro im Monat ein Plätzchen finden. In großen Städten gibt es eine rege Fluktuation in bereits bestehenden Bürogemeinschaften. Angebote finden Interessierte im Internet - zum Beispiel unter Dockboerse.com . Oder man hört sich mal um, am besten in der eigenen Branche.

Bürogemeinschaften haben Pluspunkte. Dort gibt es Putzfrauen, manchmal auch Putzmänner - die Kaffeetasse kann man am Abend einfach stehen lassen. Drucker, Faxgerät, Telefon, Internet oder sogar Fachzeitschriften sind meist schon vorhanden. Die Kosten werden geteilt.

Soziale Kontrolle inklusive

Doch so ein Büroplatz ist ein sozialer Ort. Duschen sollte man sicherheitshalber. Das Ganze hat etwas von einer festen Beziehung. Es gibt Spielregeln, Erwartungen und Ansprüche aneinander. Nicht selten müssen neue Mieter Bewerbungsverfahren wie bei Wohngemeinschaften durchlaufen: Dann wird vorgefühlt, ob man a) nett ist, b) spannende Kunden mitbringt und c) wie es um die eigenen Arbeitsgewohnheiten steht.

Im Gegenzug kauft man sich eine sehr spezielle Form der sozialen Kontrolle. Viele Freiberufler empfinden genau die als extrem hilfreich. "Ich mag keine direkte Konkurrenz - die finde ich immer sehr anstrengend", sagt Katrin, eine Wirtschaftsjournalistin, die mit einer Kollegin Tisch und Arbeitszeit teilt. In ihrem Büro gebe es aber "so eine Art heimlichen Wettbewerb", der sie sehr stimuliere. Sie schiebt die Dinge nicht mehr auf, sie schafft viel mehr. Das spürt sie im Portemonnaie - positiv.

Hasso, der schon seit einem guten Jahrzehnt mit einer Truppe von neun Leuten seine Arbeitstage verbringt, sagt sogar: "Seit ich mich hier eingemietet habe, verdiene ich fünfmal so viel". Ich bin baff! Hasso ist Reisereporter und schreibt Bücher. Er hat seinen Arbeitstisch in Krisenzeiten gesucht und gefunden. Damals musste er viel akquirieren, brauchte unbedingt neue Jobs. Die Entscheidung fiel ihm angesichts der Extrakosten nicht leicht.

Das Umfeld, das er sich suchte, erwies sich jedoch als goldrichtig. "Wir verstehen uns alle sehr gut", erklärt er, "schieben uns auch schon mal gegenseitig Aufträge zu. Die Kunden wissen, dass wir ein Team sind, und überlassen uns auch größere Projekte".

W-Lan-Vagabunden im Café

Ich beneide meine Kollegen, die so viel mutiger und fleißiger sind als ich. Aber vielleicht bluffen die ja auch nur! Ich gehe erst mal ins Café. Es ist Mittagszeit, der Laden proppenvoll. Tassen klappern, Musik bubbert, Gewusel. Zum Glück habe ich noch eine ruhige Ecke gefunden.

Am Nachbartisch warten zwei junge Männer auf ihren Salat. Sie arbeiten offenbar beim Film. Sechs Monate hat der eine am Stück malocht. Nun hat er Angst, in der Klapse zu enden... - das Gespräch schwirrt einfach so an mein Ohr. Mütter löffeln ihrem Nachwuchs Brei rein. Ein stummer Tischnachbar setzt sich neben mich. Und schreibt am Laptop, wie ich.

Normalerweise arbeite er in der Bibliothek, sagt er, als ich ihn kurz anspreche. Aber heute sei es ihm da zu ruhig. Mein Handy klingelt. Es ist ein Kunde. Er will über unseren Vertrag sprechen, Höhe des Honorars, Verwertungsrechte und so weiter. Dafür ist dies hier wirklich nicht der richtige Ort... - doch ich will ihn nicht abwürgen, regele das Ganze beim Milchcafé und ignoriere, wie alle anderen auch, einfach alle anderen.

Der Kuchen ist lecker. Und ich schaffe mehr, als ich gedacht hätte. Aber mal ganz ehrlich - ich kann doch nicht jeden Morgen um 10 Uhr in der Kneipe auftauchen und mein Tagwerk erledigen! Allein inmitten fremder Menschen, als wäre ich eine einsame Autistin. Nein, das behagt mir nicht.

Für meinen Durchhänger, den ich oft in der Mittagszeit habe, merke ich mir das Café aber mal. Ich denke an eine befreundete Fotografin, die viel durch Osteuropa reist. Ihre Schreibtischarbeit erledigt sie am liebsten in den Internetcafés von Sofia, behauptet sie. Sie sei am effektivsten, wenn um sie herum mindestens zehn Jungs gleichzeitig an den Videospielen herumballern. Verrückt.

Schreibtisch-McDonalds mit Mehrwert - wo die Piraten ihre Konzeptpapiere schreiben

Zurück am Küchentisch recherchiere ich nach weiteren Arbeitsgelegenheiten und stoße auf die Seite coworking.de . In meiner unmittelbaren Nachbarschaft schießen offenbar die Co-Working-Spaces aus dem Boden -Fabriketagen mit Tischen und W-Lan, in denen sich die digitale Bohème tageweise für kleines Geld, meist so um die zwölf Euro, einmietet und ihre Brötchen verdient.

Wie es aussieht, arbeitet niemand außer mir in den Berliner Innenstadt-Kiezen allein. Hoch überm Alexanderplatz im 14. Stock gibt es sogar einen Co-Working-Anbieter, der vor allem Journalisten, Texter und PR-Leute anspricht. Das wäre vielleicht was.

"Berlin ist die Hauptstadt des Co-Working in Deutschland", erfahre ich, als ich mich ein wenig umhöre. Mehr Mietarbeitsplätze für Freelancer gebe es nur noch in New York oder Los Angeles. Und der Prototyp des Co-Working liegt nur ein paar Straßenzüge von meiner Wohnung entfernt. Es ist das Betahaus.

Der eine trägt Anzug, der andere einen rosa Pulli

Ich kenne es aus dem Fernsehen. Denn das Betahaus ist mittlerweile ein echter Medienliebling - zig Artikel, überall. "Warum eigentlich?", frage ich mich, als ich die ehemalige Seifenfabrik in der Kreuzberger Prinzessinnenstraße betrete.

Ich stehe mitten in einem großen Café, das zugleich Eingangshalle ist. Es wirkt ein bisschen improvisiert, Jazz-Musik liegt in der Luft. Hier hocken sie, die jungen Nerds mit ihren dicken Heiner-Müller-Brillen, und schauen zwei Stunden lang nicht vom Rechner hoch. Dezent geschminkte Damen, Typ iPhone-Nutzerin, trifft man auch. Im Kostüm mit Seidentuch konferieren sie mit geschäftig wirkenden Herren, von denen einer Anzug trägt und der andere einen knalligen rosa Pulli. Es wird telefoniert, gearbeitet, gequatscht.

Die eigentliche Arbeitswelt öffnet sich in den oberen Etagen. Dort finden rund 180 Freelancer Platz. "Mittlerweile kommt rund ein Drittel der Betahaus-Worker aus der Start-up-Szene", erklärt mir Mitgründerin Madeleine von Mohl. Sie nutzen das Betahaus in der Gründungsphase als Firmensitz und profitieren dabei vom Know-how der flexibel-festen Belegschaft. "Gut ein Drittel der Nutzer sind Programmierer oder kommen aus der Web- und IT-Szene", erzählt von Mohl. "Knapp ein weiteres Drittel sind Journalisten und Drehbuchautoren, der Rest verteilt sich auf alle möglichen Professionen."

Pädagogische Puzzlespiele und Konzeptpapiere für die Piratenpartei

Das Betahaus ist eines der größten Häuser dieser Art weltweit. Wenngleich es mit der einfachen Ausstattung, den schlichten Tischen, ohne Telefon, aber mit W-Lan, ein bisschen wie ein Schreibtisch-McDonalds daher kommt, hat es doch ein besonderes Markenzeichen: Es ist Treffpunkt einer Community.

Rund 200 Stammgäste habe das Haus, sagt von Mohl. Fast alle seien überzeugte Unternehmer, oft auch allein als Ich-AG. Wer sich hier einmietet, ist meist auf Allianzen aus, sucht Partner, Kollegen, Mitstreiter. Sogar große Unternehmen haben mittlerweile ein Auge auf den "Space" und seine Ableger in Hamburg oder Köln geworfen. Sie schicken - wie der Handelskonzern Otto - testweise Teams dorthin, damit die etwas kreativen Wind um die Nase bekommen.

Donnerstags gibt es im Berliner Betahaus eine Kennlernrunde für Neulinge und alte Hasen. Ich bin Gast und komme mit Bertram ins Gespräch, der zuvor bei einer Hotline gearbeitet hat und hofft, hier "irgendwelche Aufträge" zu bekommen. Außerdem ist er gerade in die Piratenpartei eingetreten. Vielleicht wird er sich einen Schreibtisch mieten, um Papiere über Lohndumping und Lobbyismus zu erarbeiten.

Andreas ist ein ganz anderes Kaliber. Er hat in St. Gallen Wirtschaft studiert und als Führungskraft in einem Medienkonzern gearbeitet. In seinem neuen Leben verwirklicht er seinen Traum: Unternehmer sein. Er hat einen Verlag für pädagogische Puzzlespiele . Sein jüngstes Produkt ist ein Puzzle mit viel Wissenswertem über deutschen Wein.

Gemeinschaftsbüro mit Nähmaschinen

Andreas sagt, er sei unter anderem deshalb im Betahaus, damit seine Mitarbeiter in einem größeren Arbeitsumfeld mit mehr Kollegen zusammen sind. Außerdem motiviert ihn die Atmosphäre. "Man merkt das richtig. So nach 16 Uhr, legen alle, die dann noch da sind, noch mal richtig los, um den Tag zu einem guten Abschluss zu bringen."

Ich hocke mich noch ein bisschen ins Café, das man auch ohne Mitgliedschaft nutzen kann. Der Arroganz-Faktor hier ist gering, fast jeder ist ansprechbar. Die Atmosphäre ist locker, aber bienenfleißig arbeitsam. Ich werde wiederkommen.

Um die Ecke schaue ich noch bei Thilo vorbei. Er ist Software-Unternehmer und bietet in seinem Büro rund 15 Plätze für Co-Worker an (www.co-up.de) an. Der "Space" liegt in der fünften Etage eines Fabrikgebäudes - direkt am Kottbusser Tor. "Wir sind so etwas wie der Techie-Space", sagt Thilo. Die Entwicklerszene organisiert Treffen in den Räumen, Besuch kommt aus aller Welt. Thilo gehört zu den Co-Workern der ersten Stunde und berichtet, dass sich das Angebot in Berlin zunehmend spezialisiere. Neuerdings gebe es sogar ein Gemeinschaftsbüro mit Nähmaschinen  für Modedesigner, sagt er und grinst.

Die Bibliothek - Fluchtort für Schreibtischtäter

Gegen Abend suche ich noch einen anderen, geradezu altmodischen Arbeitsort auf: die Bibliothek. Allerdings ist auch hier die Zeit nicht stehen geblieben: Nach einer kurzen Registrierung bin ich im öffentlichen W-Lan-Netz und kann jetzt arbeiten oder irgendwelchen Unfug treiben.

In der Amerika-Gedenk-Bibliothek ist noch viel los. Es werden Vokabeln gepaukt oder Essays über neue Musik verfasst. Manche der Großstadtwesen schauen auch einfach nur mit Kopfhörer einen Kinofilm auf ihrem mitgebrachten Laptop.

Die Plätze zwischen den Bücherreihen an den großen Fenstern sind als Fluchtort für Schreibtischtäter offenbar beliebt. Der Aufenthalt kostet nichts, man lässt sich gegenseitig in Ruhe - doch einsam ist es nicht. So klebe ich an meinem Stuhl, erledige, was zu tun ist. Dann surfe ich nach ein Paar Winterstiefeln.

Wie im Café ist man hier völlig anonym. Nur wie der Kaffeeautomat in der windigen Eingangshalle funktioniert, finde ich nicht so schnell heraus. Ich glaube, man muss seine eigene Tasse mitbringen.

Als die Einrichtung schließt, hat die Nacht fast begonnen. Ich klappe meinen Rechner zu und mache mich auf den Weg. Der Tapetenwechsel hat mir gut getan. Zu Hause werde ich mich nicht an den Küchentisch setzen, sondern einfach in den Sessel plumpsen. Gearbeitet habe ich heute genug.

KarriereSPIEGEL-Autorin Margarete Hucht (Jahrgang 1968) ist freie Journalistin in Berlin.

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