In Kooperation mit

Job & Karriere

Bernd Slaghuis

Tipps vom Karrierecoach Hilfe, ich mag nicht mehr Chef sein!

Bernd Slaghuis
Ein Gastbeitrag von Bernd Slaghuis
Jörg leitet ein großes Team. Doch eigentlich würde er sich viel lieber wieder wie seine Mitarbeiter fachlich in ein Thema einfuchsen. Als Chef zurück ins Team: Ist die Karriere damit ruiniert?
Jörg möchte lieber Teil des Teams sein als der Chef.

Jörg möchte lieber Teil des Teams sein als der Chef.

nadia_bormotova / Getty Images

Jörg, 45 Jahre, fragt: »Ich habe in den letzten Jahren große Teams geführt, doch mir ist in der Krise bewusst geworden, dass mich diese Rolle nicht mehr erfüllt. Ich möchte lieber wieder fachlich tiefer an Themen arbeiten und als Kollege Teil eines Teams sein. Mein bester Freund ist selbst auch Manager und sagt, dass ich mir so einen Rückschritt nicht erlauben dürfe. Gehe ich zurück ins Glied, sei meine Karriere am Ende. Doch weitermachen wie bisher, das funktioniert für mich nicht. Wie soll ich mich entscheiden?«

Zum Autor

Bernd Slaghuis ist Karrierecoach und hat seit 2011 in seinem Kölner Büro  mehr als tausend Angestellte und Führungskräfte bei ihren nächsten Schritten im Beruf begleitet. Er betreibt den Karriere-Blog »Perspektivwechsel«  und ist Autor des Buchs »Besser arbeiten«. Haben Sie eine Frage an den Coach? Dann schreiben Sie eine E-Mail an karriere.leserpost@spiegel.de – Stichwort Bernd Slaghuis 

Lieber Jörg,

die Coronakrise hat den Blick vieler Menschen auf das, was ihnen im Leben und im Beruf wichtig ist, verändert. In der Karriereberatung erlebe ich seit Sommer letzten Jahres einen deutlichen Anstieg von Anliegen zur beruflichen Neuorientierung. Sinn erleben und die Identifikation mit einem Beruf sind stärker in den Vordergrund gerückt. Aufstieg, Status oder Geld hingegen haben für viele an Bedeutung abgenommen. Oft sind es bisher karrieregetriebene Angestellte und Führungskräfte, denen auch durch die Homeoffice-Situation und mehr Zeit mit ihrer Familie bewusst geworden ist, was ihnen im Leben Kraft gibt und lange Zeit gefehlt hat.

Was nach einem Luxusproblem klingen mag, ist jedoch keine Frage von Alter, Geschlecht, Bildungsniveau, Position oder Einkommen. Solche Gedanken haben auch Mitarbeitende im Fachbereich, in der Produktion oder Vertriebler im Außendienst. Die Krise wirkt wie ein Brennglas und intensiviert das Bewusstsein vieler in ihren Jobs Frustrierter, dass ein Weiter-so nicht länger funktioniert. Dies jetzt zu erkennen und gezielt Lösungen für Neues zu entwickeln ist gesund und richtig. In den meisten Fällen ist es nicht gleich morgen die Kündigung, sondern vielmehr das Wissen, einen guten Plan für eine bessere berufliche Zukunft zu besitzen.

Karriere ist persönliche Ansichtssache

Karriere ist heute so viel mehr als nur hierarchischer Aufstieg und steigendes Einkommen . Ich definiere Karriere als eine berufliche Entwicklung, die zu den persönlichen Werten, Stärken und Zielen eines Menschen in seiner aktuellen Lebenssituation passt. So kann auch der Schritt zurück auf der Karriereleiter eine individuell gute Entwicklung sein.

Verändert sich unser Leben, etwa durch die Geburt eines Kindes, schwere Krankheiten oder sogar Todesfälle im Umfeld, dann verändert dies auch unser eigenes Wertegerüst. Es wäre ungesund und damit irrational, nicht auch die berufliche Entwicklung hieran anzupassen: zur Seite in eine andere Position oder Branche, als Führungskraft nach unten zurück in ein Team oder von einer Selbstständigkeit wieder in ein festes Angestelltenverhältnis. Karriere als berufliche Entwicklung darf nicht länger nur eine gesellschaftliche Norm widerspiegeln, sondern sollte die persönliche Entscheidung eines Menschen sein.

Unser Leben ist zu wertvoll für Lebenslauf-Hygiene

Sie haben die Sorge, dass dieser vermeintliche Rückschritt Ihrer weiteren Entwicklung im Beruf schadet. Dieser Meinung ist jedenfalls Ihr guter Freund und warnt Sie. Ja, vermutlich werden Sie in der Rolle als Jobwechsler und Bewerber von einigen Personalern noch schräg angesehen und gefragt werden, warum Sie diesen Schritt gehen möchten. Es kann sein, dass Sie für eine niedrigere Zielposition als überqualifiziert abgestempelt werden oder sich Leser Ihrer Bewerbung fragen, ob Sie nicht mehr leistungsfähig sind. Andere werden Ihre Entscheidung als reflektiert und Zeichen von Stärke bewerten.

Aus meiner Arbeit mit Downshiftern weiß ich: Wer selbst echte Klarheit über seine Werte und Ziele besitzt und diesen Schritt selbst nicht als Rückschritt, sondern als gesund und konsequent für sich bewertet, der kann diese Klarheit ganz ohne Rechtfertigung in Anschreiben und Gesprächen auch gegenüber neuen Arbeitgebern schaffen. Sprechen Sie offen und ehrlich über Ihre Entscheidung und alles das, was Ihnen in Zukunft im Beruf wichtig ist. Wer es nicht versteht, der wird nicht der passende Arbeitgeber für Sie sein.

Es ist Ihre Entscheidung, ob Sie einer gesellschaftlichen Norm entsprechen wollen, die Zähne zusammenbeißen und weiter einen Weg gehen, von dem Sie heute wissen, dass er Ihnen auf Dauer nicht guttun wird – oder ob Sie sich als Chef Ihres eigenen Lebens entscheiden, etwas zu verändern. Unser Leben ist zu wertvoll für fremdbestimmte, gesellschaftliche Lebenslauf-Hygiene. Karriere ist jener berufliche Weg, der Sie gesund in eine gute Zukunft führt.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren