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Papierloses Büro Kein Blatt, nirgends

Gähnende Leere auf allen Schreibtischen: Die niederländische IT-Firma Decos verzichtet komplett auf Papier. Nun musste auch noch das Toilettenpapier dran glauben. Funktioniert das? Ein Besuch.

Einen Briefkasten gibt es zwar noch - gebraucht wird er aber fast nicht mehr. "Einmal im Jahr schickt das Finanzamt noch einen Brief", erzählt Paul Veger. "Das geht nicht anders." Die andere Post kommt digital zu Decos, Vegers IT-Firma in einem Industriegebiet von Noordwijk, zwischen Amsterdam und Den Haag. Es ist eines der wenigen Unternehmen der Welt, das vollständig papierlos arbeitet.

Die Büroräume gleichen einem Möbelhaus. Das Chaos von Verwaltungen, das Rascheln von Papier oder das Rauschen von Druckern ist verschwunden. In den hellen Räumen klacken nur die Tasten von Computern.

Alle Dokumente werden digital bearbeitet, gespeichert und archiviert. Auf den Schreibtischen liegen keine Notizzettel. Im ganzen Gebäude gibt es keinen Stift mehr, geschrieben wird digital. In Besprechungen machen Mitarbeiter Notizen auf dem Tablet oder Smartphone. Unterschrieben wird digital. Nicht einmal die Arbeitsverträge werden noch ausgedruckt.

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Fotostrecke: Bloß keinen Druck!

Foto: Benjamin Dürr

99 Prozent seien bereits erreicht, sagt der Geschäftsführer. Vor Kurzem wurde selbst die Toilette ausgetauscht. Es gibt kein Toilettenpapier mehr. Stattdessen wird, wie in Japan üblich, automatisch mit Wasser gespült und gereinigt.

Papierlos mit Sendungsbewusstsein

Paul Veger hat Decos Ende der Achtzigerjahre gegründet. Seit 2011 arbeiten die Mitarbeiter ohne Papier. Das passt zum Geschäft: Software zur Verwaltung von Dokumenten. "Wir wollten zeigen, dass man heutzutage alles digital verwalten kann", sagt Veger. Daraus sei die Idee entstanden, selbst den ersten Schritt zu machen und zu zeigen, dass es keines Papiers mehr bedürfe.

Am Anfang habe man noch diskutiert, welche Ausnahmen man zulasse, erzählt Veger. Am Ende hat sich das Team darauf geeinigt, konsequent zu sein und auch andere vom Konzept zu überzeugen.

Bis auf den Brief des Finanzamts hat Decos alles Gedruckte abbestellt. Man arbeitet mit einer Rentenversicherung und einer Bank zusammen, die einen vollständig digitalen Service anbieten. Entsprechend werden auch Lieferanten und Geschäftspartner ausgewählt. Wer per Post einen Brief oder eine Rechnung schreibt, wird gebeten, sie digital zu verschicken.

Selbst den Steuerprüfern des Finanzamts sagte Veger, sie sollten im Gebäude von Decos kein Papier verwenden. "Am ersten Tag wussten sie noch nicht, wie sie das machen sollen", erzählt er. "Am Ende der Woche waren sie begeistert, wie einfach es geht."

Nie mehr aufräumen

Daten und Dokumente werden in der Cloud abgespeichert, auf Servern. Die Mitarbeiter können auch von Zuhause oder unterwegs arbeiten. Im Büro gibt es keine feste Sitzordnung. Jeder kann sich mit seinem Laptop einen Platz suchen. Kein Papier bedeutet auch keine Stifte: "Man muss den Schreibtisch nicht mehr aufräumen, denn es gibt nicht mehr viel zum Aufräumen."

Der einzige Nachteil sei die Gefahr eines Datenverlusts, sagt Veger. Das Risiko sei allerdings auch nicht größer als bei ausgedruckten Dokumenten. Veger vergleicht die Situation mit der Luftfahrt: "Man weiß, dass es beim Fliegen ein kleines Risiko gibt, und man akzeptiert es." Nirgendwo und bei keiner Technik gebe es volle Sicherheit. "In anderen Bereichen wird das Minimal-Risiko toleriert - nur bei Computerspeichern wird auf einmal erwartet, dass es hundertprozentig sicher ist."

Für Geschäftsführer Veger überwiegen die Vorteile: Sein Unternehmen spart Geld, weil es keine Drucker, kein Papier und keine Umschläge mehr kaufen muss. Viel größer sei die Ersparnis noch durch die höhere Effizienz, erklärt er. Papierlos zu arbeiten spare vor allem viel Zeit. Man könne Dokumente viel einfacher weiterleiten und austauschen; man finde sie schneller und könne sie besser be- und verarbeiten.

Hatschi! - Ausnahme!

Vor allem schont ein papierloses Büro die Wälder: "Wir sparen jährlich einen Viertel Baum pro Mitarbeiter", sagt Veger. 65 Mitarbeiter beschäftigt Decos in den Niederlanden. Pro Jahr macht das 16 Bäume, rechnet er vor. "Über die Jahre ist das allein in unserem Unternehmen schon ein halber Wald."

Eine Ausnahme gibt es aber doch: Papiertaschentücher bei Schnupfen sind weiterhin erlaubt. Mitarbeiterin Marcia van Kampen gibt zu, immer noch ein paar in der Tasche zu haben. Dagegen wurden Küchentücher aus Papier durch Textiltücher ersetzt.

Paul Vegers nächste Idee: weniger Erdöl und Erdgas. Das Gebäude funktioniert bereits vollständig elektrisch, ohne Erdgas-Anschluss oder Ölheizung. Auch sechs der Firmenwagen wurden durch Elektro-Autos ersetzt. "Ab dem 1. Januar soll es keine anderen Fahrzeuge mehr geben."

Benjamin Dürr (Jahrgang 1988) ist Korrespondent und Auslandsreporter. Er berichtet für SPIEGEL ONLINE unter anderem aus den Niederlanden und regelmäßig aus Afrika.

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