Neues Gesetz in den Niederlanden Ich will Heimarbeit - du darfst

Neues Gesetz in den Niederlanden: Glücklicher im Home Office?
Foto: CorbisLinda Voortman spricht von einem "wohl einmaligen Schritt für Arbeitnehmer". In den Niederlanden hat die grüne Parlamentsabgeordnete dafür gesorgt, dass Angestellte das Recht auf einen Arbeitsplatz zu Hause bekommen. Am Dienstag stimmte die Erste Kammer des Parlaments dem Gesetzentwurf zu. Im Juli tritt die Regelung in Kraft.
Tatsächlich dürfte es kein anderes Land geben, in dem Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch auf ein Homeoffice haben. Natürlich müssen auch Niederländer, wie bisher, einen Antrag bei ihrem Chef stellen, wenn sie einen Teil ihres Jobs von zu Hause aus erledigen wollen. Und natürlich kann ein Arbeitgeber das weiterhin ablehnen. Mit der Neuregelung liegt dann aber die Beweislast beim Arbeitgeber.
"Arbeitgeber müssen eine Absage begründen und dafür schwerwiegende Dienst- oder Betriebsinteressen anführen", erklärt Voortman. Konkret: Sie müssen beweisen, dass ihr Betrieb mit "Heimarbeitern" in die Knie gehen würde. Welche Interessen dabei überhaupt geltend gemacht werden können, steht im Gesetz. Der Text lässt drei mögliche Argumente zu: Dort, wo Heimarbeit zu schweren Sicherheitsrisiken führt, zu unlösbaren Problemen in der Dienstplanung oder zu untragbaren finanziellen Schäden, können Arbeitgeber einen Antrag ablehnen.

Homeoffice - so funktioniert's: Zehn Regeln für Arbeitnehmer
"In bestimmten Fällen liegt das auf der Hand, weil nicht jeder von zu Hause aus arbeiten kann", sagt Voortman. Eine Putzfrau zum Beispiel müsse an ihrem Arbeitsplatz erscheinen, auch der Antrag eines Türstehers oder Busfahrers würde wohl abgewiesen. Wenn Arbeitgeber aber keine glaubwürdige Begründung liefern, können Angestellte dagegen vorgehen.
Ein Recht auf Heimarbeit stärke die Position von Arbeitnehmern, sagt Parlamentarierin Voortman. "Es ist gleichzeitig ein Recht auf einen Ausgleich zwischen Arbeit und Privatleben."
Der Gesetzentwurf wurde von Grünen und Christdemokraten eingebracht und bekam in beiden Parlamentskammern eine so große parteiübergreifende Zustimmung, wie sie in den vergangenen Jahren selten geworden ist in den Niederlanden. Der Text wurde als kleiner Teil einer groß angelegten Reform des Pflegesystems verkauft: Der Staat zieht sich im Pflegesektor zurück, flexiblere Arbeitsmöglichkeiten sollen Angehörige dazu bringen, sich um pflegebedürftige Eltern oder Nachbarn zu kümmern.
Außerhalb des Parlaments stößt die neue Gesetzgebung dagegen auf wenig Begeisterung. Die Arbeitgebervereinigung VNO-NCW findet das Gesetz überflüssig. Arbeitnehmer hätten bereits die Möglichkeit zur Telearbeit. Außerdem seien solche Absprachen eine Angelegenheit zwischen Chef und Angestellten, für die es Arbeits- oder Tarifverträge gebe. Im "Financieele Dagblad" spricht die Organisation von "einem Ärgernis" .
Wie viele Arbeitnehmer von der Gesetzesänderung profitieren, ist unklar. Das Umweltministerium veröffentlichte im August eine Untersuchung über Telearbeit . Darin ging es um die Frage, ob flexiblere Arbeitszeiten Staus zu den Stoßzeiten vermindern könnten. Dem Bericht zufolge steigt die Zahl der Menschen mit Homeoffice, wenn auch langsamer als noch vor einigen Jahren.
Zwischen 2008 und 2012 nahm der Anteil der "Heimarbeiter" von 27 auf 32 Prozent zu. Er liegt damit deutlich höher als in anderen europäischen Ländern. Auch in Großbritannien steigt die Zahl seit Jahren , mit einem Anteil von 14 Prozent allerdings auf einem völlig anderen Niveau.
Der Anteil der permanenten Heimarbeiter sei in den Niederlanden nicht überdurchschnittlich, sagt Ton Wilthagen, der sich an der Universität von Tilburg mit der Flexibilisierung des Arbeitsmarkts in Europa beschäftigt. "Wir sind relativ stark bei der gelegentlichen Heimarbeit." Das liege unter anderem an einer guten Verfügbarkeit von Breitbandinternet und einer flexiblen Unternehmenskultur.
In Deutschland dagegen nimmt die Zahl der Arbeitnehmer, die zu Hause arbeiten, ab. Der Anteil liegt zurzeit bei zwölf Prozent. Manche erklären das mit einem Anwesenheitswahn, der in deutschen Betrieben herrscht.
Die Niederlande bewegen sich in die entgegengesetzte Richtung. Bisher seien auch dort die Wünsche von Angestellten oft an der Angst ihrer Chefs vor Veränderung gescheitert, sagt Nick van der Meulen von der Rotterdam School of Management. Die Befürchtungen - zum Beispiel, dass Arbeitnehmer zu Hause weniger arbeiten würden - seien unbegründet, sagte er der Fernsehsendung "Een Vandaag" . "Wir merken, dass Leute zu Hause genauso produktiv sind und manchmal sogar noch mehr arbeiten, um ihre Produktivität zu beweisen."

Benjamin Dürr (Jahrgang 1988) ist Korrespondent und Auslandsreporter. Er berichtet für SPIEGEL ONLINE unter anderem aus den Niederlanden und regelmäßig aus Afrika.