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Vor- und Nachteile des Homeoffice Sex am Arbeitsplatz!
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Noch im selben Moment, als ich mich auf den Quickie mit meiner direkten Büronachbarin einließ, wusste ich schon: Das hat Konsequenzen. Gar nicht so sehr wegen der alten Arbeitsplatzweisheit »Don't fuck the office«, laut der es eben immer schiefgeht, beruflich wie privat, wenn man mit Kolleginnen oder Kollegen nicht nur Gedanken austauscht. Hier war es eher so was wie ein Aufgeben, die Kapitulation vor dem monatelangen Bemühen, wirklich alle Regeln zum vernünftigen Arbeiten im Homeoffice anzuwenden, um nicht verrückt zu werden. Als hätte ich es nicht besser gewusst – oder gewollt? Und gerade ich hätte es besser wissen müssen.
Denn was das Arbeiten im Homeoffice angeht, war ich eigentlich ein Pionier. Als ich 1998 als erster Onlinereporter Deutschlands nach Berlin geschickt wurde, um SPIEGEL ONLINE zu vertreten und bekannt zu machen, war es mir verwehrt, ein Bürozimmer in der Berliner Vertretung des Print-SPIEGEL zu beziehen. Die Kluft zwischen Digital und Print war damals noch tiefer als der Marianengraben. Also wurde das historisch erste Berliner Büro von SPIEGEL ONLINE ein Hinterzimmer in meiner Wohnung in Berlin-Friedrichshain mit Blick auf die Müllcontainer im Innenhof. Ich stöpselte meinen Computer an ein knisterndes Modem und klebte ein selbst gebasteltes Logo an meinen Briefkasten, fertig war die Pionierwerkstatt.

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Da ich alleine wohnte, wurde das Einwählgeräusch des Modems so was wie mein Pulsmesser, der Beweis für Leben und die Verbindung zur Zentrale im Nordwesten: Hamburg, könnt ihr mich hören? Was sich zunächst ziemlich cool anfühlte, weil ich mir einredete, dass ja auch Bill Gates mal in einer Garage angefangen hatte, und viele klassische Medien über den nerdigen Onlinepionier mit seinem Homeoffice, Fahrrad und Laptop im Rucksack berichteten, wurde aber schnell ein psychisches Problem.
Notizblöcke neben dem Klo und Kugelschreiber im Zahnputzbecher
Ich war zwar viel unterwegs, aber ich kam gefühlt nie mehr nach Hause. Denn zu Hause wartete immer auch: das Büro. Morgens sang meine Lieblingsband The Police »Sending Out an SOS«, abends »So Lonely«, dazwischen »Too Much Information« und am Wochenende »The Bed's Too Big Without You«. Ich hatte mir zwar ein Arbeitszimmer mit abschließbarer Tür eingerichtet, aber dieses Homeoffice-Gefühl fraß sich schleichend durch die ganze Wohnung, wie ein WG-Besucher, über den man sich anfangs freut, bis man kapiert, dass der einfach nicht mehr gehen will und de facto ungefragt einzieht, den Kühlschrank leerfuttert und das Fernsehprogramm bestimmt (doch, man schaute noch pünktlich um 20 Uhr Tagesschau und so, damals, linear). Konferieren, also Selbstgespräche, in der Küche, auf dem Lesesofa stapelweise Zeitungen statt Bücher, ich fand Notizblöcke neben dem Klo und Kugelschreiber im Zahnputzbecher, Verlängerungskabel schlängelten sich bis ins Schlafzimmer und wanden sich ums Bett.
Zeit und Raum definierten sich anders: Wenn aus dem Hof das Echo eines Stöhnen heraufschallte, war es Mittwoch, 13 Uhr, weil da die Nachbarin jedes Mal außerehelichen Besuch empfing; kam die Müllabfuhr, war es Freitag, klingelte morgens das Festnetztelefon, war es acht Uhr, und die Redaktion wollte wissen, was ich heute wieder Spannendes zu berichten hätte; klingelte es spät abends, war es 23 Uhr, und der Chefredakteur hatte in den Tagesthemen noch eine Idee aufgeschnappt, die er mir »nur mal schnell zurufen« wollte. Wir wurden eins, mein Homeoffice und ich, eine Schicksalsgemeinschaft. Die Masse gewann Macht über mich. Onlinejournalismus kannte ohnehin im Prinzip keinen Redaktionsschluss, aber Onlinejournalismus von der eigenen Wohnung aus bedeutete: You are wired 24/7/365. Und selbst wenn man nicht immer verfügbar sein musste, wie mir immer wieder versichert wurde, fühlte es sich doch immer so an.
Dazu kam, ich war ja outgesourced, Arbeitnehmerinteressen konnte man ohnehin erst ab sechs Mitarbeitern organisieren, der einzige Betriebsrat, bei dem ich mich hätte beschweren können, war ich selbst, meine Betriebspsychologin war die Kellnerin in der Kneipe nebenan, ich lästerte im Bad mit meinem Spiegelbild über die zunehmende Disziplinlosigkeit im Büro. Was, fragte ich das andere Ich im Spiegel, machen wir denn, wenn nun der Kanzler vorfährt für ein Exklusivgespräch in unserem Office, schnell noch die roten Socken von der Leine reißen? Je kleiner die Bürowelt, so schien es, umso größer der Wahn.
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Büros sind auch Appellhöfe
Nach einem Jahr wurde ich befreit aus meinem Homeoffice. Wir waren so schnell so erfolgreich, dass unsere Ständige Vertretung in Berlin auf fünf Mitarbeiter aufgestockt wurde (natürlich noch nicht mehr als fünf: siehe Betriebsratsbedingungen oben...). In der Dependance des Print-SPIEGEL wies man uns widerwillig einige schlecht beleuchtete und belüftete Räume im Untergeschoss zu. Selbst der Raum, in dem die Kollegen ihren Tischkicker parkten, war größer. Aber egal: Ich war wieder unter Menschen, Kollegen, mit Launen, Gerüchen, und, huch, anderen Meinungen. Großartig. Ich hätte schon damals ein Sachbuch schreiben sollen: »Zehn goldene Regeln fürs Überleben im Homeoffice«. Wäre heute Gold wert.
Aber der Trend ging in den nächsten zwei Jahrzehnten in eine ganz andere Richtung: Großraumbüros nach amerikanischem Vorbild wurden architektonischer Ausdruck des neoliberalen Kurses, Einzelbüros und ihre Lage galten als Statussymbole, als Gegenbewegung im Windschatten der Start-up- und Kreativitätsbranche kamen dann die Co-Working-Spaces und Bürogemeinschaften hinzu. Aber Homeoffice? Das war sowohl dem Gesetzgeber als auch den Chefs suspekt. Wie soll man denn da das Personal führen (respektive: kontrollieren)? Wie soll man sich wichtig fühlen als Abteilungsleiter, wenn man die nicht sehen und täglich durchzählen kann, die zur Abteilung gehören? Büros sind auch Appellhöfe.
Dabei wäre eine andere Heimarbeit als Nähen, Mangeln oder Kugelschreiberzusammenbauen schon vor 20 Jahren ein probates Mittel gewesen, um zum Beispiel die Vereinbarkeit von Beruf und Familie progressiv voranzutreiben, zum Nutzen vor allem vieler Eltern, die stattdessen ganz zu Hause blieben oder bleiben mussten und oft Anschluss an Arbeitswelt, Einkommen, Rente und Unabhängigkeit verloren. Den Mehrwert von Homeoffice-Arbeit haben wir unter großen Schmerzen erlernt. Dass es einer Pandemie bedurfte, um einem ganzen Land einen Modernisierungsschub sondergleichen in puncto Digitalisierung und Neuorganisation zu verpassen, hat fast ironische Züge.
Wer kommt für Zusatzkosten auf wie Energie, Material, Möbel?
Uns zu Hause hatte meine jahrzehntealte Homeoffice-Erfahrung auch erst mal nur bedingt geholfen. Zwar war uns von Anfang an klar, dass es ohne Plan und Zuständigkeiten und Absprachen nicht funktionieren kann. Aber die Ausgangssituation war eine ganz andere: War ich einst eher einsam im Homeoffice, so waren wir nun als kinderreiche Familie mit zwei berufstätigen Erwachsenen eher zu eng und zu viel zusammen. Kümmerte ich mich tagsüber um die schulpflichtigen Kinder und meine Frau sich um die Kitakinder, dann blieben nur die Abende und Nächte zum Arbeiten. Das geht auf Dauer an die Substanz.
Ressourcen wie (ruhiger) Raum und Zeit waren umkämpft, dann natürlich mit der unterschwelligen, fiesen Frage verbunden: Wessen Aufgabe ist gerade wichtiger? Die Wut auf versagende Systeme wuchs, und mangels Ventil blieb die negative Energie dann im eigenen System Familie. Was dann hilft? Humor – und der Blick nach vorn, der Versuch, das Ganze als ein Training für Nach-Pandemie-Zeiten zu betrachten.
Das Leiden unter der Gleichzeitigkeit von Homeschool, Homekita und Homeoffice ist vielfach beschrieben und soll hier nicht wiederholt, sondern erwähnt werden, weil es dennoch etwas Lehrreiches hat auch für Nicht-Pandemie-Zeiten: Coaching für eine achtsame Organisation von Heimarbeit ist sehr sinnvoll. Denn wir betreten im Grunde immer noch Neuland, und auch aus Extremfällen wie der Pandemie kann man Erkenntnisse für eine modernere Normalität nach der Ausnahmezeit gewinnen: Nicht die aufgewendete Zeit entscheidet über die Qualität von Arbeit, sondern das Ergebnis. Arbeitsschutz-, Rechts- und Versicherungsfragen sind weiterhin oft ungeklärte, weite Felder, genauso wie die Frage: Wer kommt für Zusatzkosten auf wie Energie, Material, Möbel?
Zunächst mal müssen sich schlicht Arbeitgeber und -nehmer einig sein. Eltern, die die Zeit für den Arbeitsweg und das Mittagessen unter Kollegen einsparen, können genauso lange arbeiten oder so produktiv sein wie andere und dennoch am Nachmittag den Nachwuchs aus der Kita holen. Win-win. Für das innere Gleichgewicht und auch um Lagerkoller zu vermeiden, sind Mischmodelle am effektivsten: also weder reine Homeoffice- noch pure Präsenzarbeit. Oder hängen sonst bald Fotos von vermissten Kollegen an der Pinnwand im Homeoffice, so wie man häufig Kinderbilder auf Schreibtischen in der Firma sieht? Dann stellt sich auch die Frage nach dem Büroflirt und dem Quickie mit der Kollegin ganz neu. Ist Geschlechtsverkehr mit der eigenen Partnerin im Homeoffice per definitionem dann Sexarbeit? Oder Sex am Arbeitsplatz? Finden wir es heraus!
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