Kommentar zu Homosexualität im Management Das Ende des Regenbogens

Rein statistisch sind zwischen drei und zehn Prozent der Menschen homosexuell. Macht bei einer Gruppe von 190 Leuten sechs bis 19 Schwule oder Lesben. Die Anzahl der Dax-Vorstände beträgt: 190. Davon offen homosexuell: Null.
Ist das Gedankenexperiment falsch? Nein. Natürlich sind nicht nur Heteros ganz oben in der deutschen Wirtschaft angekommen. Sondern auch solche, die nur so tun. Ein Outing traut sich keiner. Auch der frühere Telekom-Vorstand Thomas Sattelberger hatte bis zum Ende seiner Managerkarriere gewartet, bevor er sich im September 2014 als schwul outete. In einem SPIEGEL-Interview sagte er jetzt: "Sie müssen immer damit rechnen, dass diese Information irgendwann gegen Sie verwendet wird." (Lesen Sie hier die ganze Geschichte im neuen SPIEGEL.)
Sattelberger spricht eine Wahrheit aus, die viele nicht hören wollen. Denn offiziell schmücken sich etliche Unternehmen mit Programmen zum "Diversity Management". Konzernlenker, Personalchefs und Headhunter betonen, dass der Vielfalt die Zukunft gehört, dass sie authentische Menschen mit Persönlichkeit, Ecken und Kanten suchen. Sie unterstützen sogar firmeninterne LGBT-Netzwerke (für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transsexuelle) mit klingenden Namen wie Glam (McKinsey), Rainbow Net (Deutsche Post), dbPride (Deutsche Bank). Doch das war es dann auch - der Regenbogen reicht nicht bis in die Topetagen der deutschen Wirtschaft. Dort befürchten homosexuelle Manager Getuschel und Ausgrenzung.
Karrieren auf dem Fundament eines Doppellebens
In Deutschlands Vorständen herrscht ein seit den Sechzigerjahren kaum verändertes Rollenmodell. Der Unternehmenslenker hat männlich, weiß, von mittlerem Alter zu sein, mit hohem Testosteronspiegel und entzückender Familie. Denn je weiter oben, desto wichtiger ist die Zugehörigkeit zum Rudel. Leistung wird vorausgesetzt, die letzten Meter macht das Netzwerk. Wer zu einem Firmenessen statt der wohl frisierten Gattin den Lebenspartner mitbringt, kann sich sicher sein, nicht nur an diesem Abend zum Thema zu werden.
Führungskräfte rekrutieren nach dem Ähnlichkeitsprinzip, ob bewusst oder unbewusst. So fördert der große Hartmut den kleinen Hartmut - und nicht die Birgit oder den schwulen René. Und schließlich herrschen weiterhin massive Vorurteile gegenüber Homosexuellen: Gerade in ländlicheren Regionen und technischen Branchen wird immer noch gewitzelt, diskriminiert, die Autorität untergraben, werden Klischees bemüht. Keiner möchte die Tucke vom Dienst sein.
Erst 1994 wurde der sogenannte Schwulen-Paragraf §175 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Wer jetzt an der Macht ist, begann seine Karriere zu einer Zeit, als homosexuelle Handlungen unter Strafe standen. Kein Wunder, dass die Mauern im Kopf erst langsam bröckeln. Und dass viele, die ihre Karriere auf einem Doppelleben aufbauten, nun nicht auf einmal sagen: Leute, übrigens, ich bin schwul und habe euch 30 Jahre lang was vorgemacht.
Für nachhaltigen Wandel braucht es Rollenmodelle. Die Generation an Führungskräften, die jetzt empor wächst, braucht Vorbilder, die ihnen zeigen, dass Vielfalt gelebt wird statt nur gelobt. Dass weiter oben sehr verschiedene Menschen arbeiten, Männer, Frauen, Homosexuelle, Deutsche, Ausländer, Junge, Alte, Menschen mit den verschiedensten Behinderungen. Menschen wie sie selbst auch. Und dass diese Karriere machen und akzeptiert werden, so wie sie sind.
Solange Homosexualität ein Tabu bleibt im Topmanagement, ist Diversity nicht ernsthaft gewollt - sie wirkt nur so. Gäbe es an den Konzernspitzen echte Toleranz, müssten Schwule und Lesben sich nicht länger verstecken.

Helene Endres ist Redakteurin beim manager magazin. Für das Ressort KarriereSPIEGEL und das Magazin SPIEGEL JOB hat sie mehrere Texte über Karrierewege von Homosexuellen geschrieben.