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Homosexuelle im Job: Ausgrenzen lassen wir uns nicht

Foto: Fredrik von Erichsen/ dpa

Homosexuelle Netzwerke Guten Tag, ich bin anders

Sie sind talentiert und ehrgeizig. Sie schließen sich zusammen, kämpfen für Anerkennung und gleiche Rechte. Eine Menge Spaß haben sie auch und dazu beneidenswerte Kontakte: Homosexuelle sind bei vielen Arbeitgebern hochbegehrt.

Seit seiner Heirat trägt Torsten von Beyme-Wittenbecher einen silbernen Ehering an der rechten Hand und einen Doppelnamen auf der Visitenkarte. Es gab Sonderurlaub zur Hochzeit, eine Glückwunschkarte des Vorgesetzten, und er nutzte das bei IBM übliche Angebot für frischvermählte Paare, den Arbeitsort an den gemeinsamen Wohnsitz zu verlegen - "also zogen wir von Mainz nach Hamburg".

Der 34-jährige IBM-Manager sitzt in einem schlichten Konferenzraum, der Pullover in ähnlich abgetöntem Blau wie seine Augen und der Teppich, und weil er bei der Besprechung nichts vergessen will, malt er sich kleine Mindmaps. Dann erzählt Beyme-Wittenbecher von seinem Mann, welches Erweckungserlebnis 2004 eine Schwulen- und Lesbenkonferenz von IBM in London für ihn war und warum er anschließend bei IBM Deutschland ein offenes Homosexuellen-Netzwerk aufbauen wollte. Alles mit Unterstützung der Firma.

Inzwischen gibt es das IBM-Netzwerk Eagle (Employee Alliance for Gay, Lesbian, Bisexual, and Transgender Empowerment) auch in Deutschland, rund 70 Frauen und Männer sind aktiv dabei, weltweit sind es 1200. Und Beyme-Wittenbecher muss nicht, wie zu Beginn seiner Karriere, auf dem Hamburger IBM-Parkplatz auf den Fahrer des Polos mit der Regenbogenflagge warten, um zu wissen, wer denn der andere Schwule ist im Hause.

Rotary-Club, Selbsthilfegruppe, Partnerschaftsbörse in einem

Unternehmen, vor allem die großen angelsächsischen Konzerne, fördern mittlerweile die Vernetzung ihrer homosexuellen Mitarbeiter. Die Allianzen heißen, neben Eagle, Glam (McKinsey), HomoSAPiens (SAP) oder dbPride (Deutsche Bank), RainbowNet (Deutsche Post DHL) oder Arco (Commerzbank). Sie kooperieren mit freien Netzwerken wie dem Völklinger Kreis (Schwule Führungskräfte) oder den Wirtschaftsweibern, dem Pendant für erfolgreiche Lesben. Sie sind Rotary-Club und Selbsthilfegruppe in einem, ein bisschen Partnerschaftsbörse ist manchmal auch dabei.

Die Zusammenschlüsse agieren meist diskret, nicht alle Mitglieder sind geoutet. Somit wissen selbst die Kollegen oft nicht, wer sich hier verbündet - schließlich ist Schwulsein außerhalb der Kreativbranche noch immer ein Tabu.

Einige offen homosexuell lebende Mitglieder dienen als Botschafter und Ansprechpartner für Neumitglieder, stellen sich und ihr Netzwerk im Intranet oder auf der Pinnwand der Unternehmen vor. Anschließend gilt: In ist, wer drin ist, und so erregen die perfekt vernetzten Regenbogen-Freimaurer bisweilen sogar den Neid der Heteros.

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Jobmesse für Homosexuelle: Kannst ruhig fragen, ob ich schwul bin

Foto: Daniel Kastner

Um Glam bei McKinsey, das vielleicht mächtigste Homonetz, ranken sich die schönsten Gerüchte. Die meisten erzählen Heteros mit leicht gesenkter Stimme: Es soll opulente Reisen auf Firmenkosten geben, wo nur Lesben und Schwule mitdürfen, jeder darf hier jeden ansprechen, das Ganze sei der "reinste Karriereturbo". Und wahnsinnig gut würden sie auch noch alle aussehen.

Fakt ist: Glam wurde 1994 gegründet, operiert international, Mitglieder sind aktive Mackies genauso wie Alumni. Und da gefühlt jede zweite Führungskraft irgendwann einmal bei McKinsey diente, sind Kontakte in nahezu jede Firma oder Organisation nur einen Blick ins geschützte Glam-Forum entfernt.

Flaggschiff der Firma - und dennoch diskret

"Bei Glam sind Menschen, die sich alle mal damit beschäftigt haben, ob und, wenn ja, bei wem in ihrem Leben sie sich outen. Diese Phase der Identitätsfindung haben alle durchgemacht - das verbindet", sagt Ralph Breuer, 30, Glam-Projektleiter in Köln. "Gleichzeitig ist der Umgang besonders hierarchiefrei. Der Erfahrungsaustausch geschieht auf Augenhöhe, egal ob langjähriger Direktor oder Junior."

Höhepunkt ist das jährliche Wochenendtreffen aller homosexuellen McKinseys. Man verabredet sich irgendwo auf der Welt - zuletzt Anfang des Jahres in London, natürlich mit "Spouse", dem geschlechts- und bindungsstatusneutralen Wort für die bessere Hälfte.

Tagsüber werden in Workshops Strategien entwickelt, wie sich neue homosexuelle Mitarbeiter für das Netzwerk gewinnen lassen, abends lernt man sich kennen und feiert. Und, ja, so erzählt man sich, Jobs würden vergeben, aber es sei kein reines Arbeitstreffen, es gehe auch um Privates.

Die Firma zahlt, die Mitglieder aus Russland oder dem Mittleren Osten werden besonders diskret eingeladen. Schließlich taugt dort allein der Verdacht der Homosexualität zum Karrierekiller. Die Glam-Aktivisten achten darauf, dass ihre Mitgliedschaft nicht bei Google auftaucht.

Ewige Zurückhaltung belastet Kopf und Gemüt

Den Netzwerkern geht es nicht nur um die Karriere: Sie betreiben auch Öffentlichkeitsarbeit. Ein oft gehörtes Argument, dem es zu begegnen gilt: Sexualität habe am Arbeitsplatz nichts verloren. "Es geht hier um sexuelle Identität, das ist was anderes", sagt Torsten von Beyme-Wittenbecher. "Jeder will doch vom Wochenende erzählen dürfen - wo er war, mit wem. Und sich nicht den Kopf zerbrechen müssen, was er denn nun sagt oder nicht." Die ewige Zurückhaltung gehe auf Kopf und Gemüt, meint der IBM-Manager.

Er und seine Kollegen haben inzwischen viel erreicht. Der schwule Ehemann bekommt die gleichen finanziellen Vorteile wie eine Ehefrau, ist auf Ausflügen genauso gern gesehen wie bei repräsentativen Terminen - internationale Firmen wie McKinsey oder IBM haben längst die Fakten geschaffen, über die deutsche, französische oder amerikanische Politiker gerade anfangen zu diskutieren.

Und die Lesben? Ines Etzler, 47, freut sich, wenn ihr heterosexueller Chef sie aufs Berliner Motzstraßenfest begleitet, als Auftakt zum Hochamt der schwul-lesbischen Bewegung: dem Christopher Street Day. Etzner ist Firmenkundenbetreuerin bei der Deutschen Bank in Berlin, war mal hetero. Sie hat mit dbPride, dem Netzwerk für lesbische, schwule, bi- und transsexuelle Mitarbeiter der Deutschen Bank, die "Jahre der Basisarbeit" schon hinter sich; die Gleichstellung sei mittlerweile "in der Bank verankert und völlig normal".

Etzner steht beim homosexuellen Straßenfest am Stand von dbPride "für ein vorurteilsfreies Miteinander" ein, die Regenbogenfahnen flattern. Na ja, und wenn sie so das Vertrauen lesbischer Neukundinnen gewinnt, hat niemand in der Bank was dagegen.

"Gemischte Teams können den unterschiedlichen Kundenanforderungen besser gerecht werden und sind aus unserer Sicht auch erfolgreicher", so Kerstin Pramberger, Diversity-Chefin für Deutschland bei der Deutschen Bank.

"Schwule sind die besseren Frauen"

Der Homosexuelle als Mitarbeiter ist durchaus begehrt. Nicht nur, weil der Fachkräftemangel schmerzt - Diversity, Vielfalt also, ist auch ein Erfolgsgarant. Unternehmen mit Vorständen, die nicht nur aus weißen Männern über vierzig aus den Industrienationen bestehen, erwirtschaften eine um 53 Prozent höhere Eigenkapitalrendite, hat eine McKinsey-Studie ergeben - bunte Belegschaften sind innovativer.

In den USA wetteifern Unternehmen um die besten Plätze im jährlichen "Corporate Equality Index" - der zeichnet sie aus als Arbeitgeber, der offen ist für die Regenbogenfront. Hier lässt sich ablesen, dass die Drogeriekette Walgreens dem schwulen Gatten die Krankenversicherung zahlt, und Supermarkt Wal-Mart nicht.

Einen weiteren Grund für die Beliebtheit schwuler Mitarbeiter nennt niemand offen: Sie sind die pflegeleichteste Minderheit. Einer, der nicht genannt werden will, sagt: "Schwule sind die besseren Frauen. Gebildet, engagiert, kreativ, demütig, gut gekleidet - und das alles ohne Kinder!"

Aus SPIEGEL JOB 1/2013

Der Text über homosexuelle Netzwerke ist ein Beitrag aus dem Magazin SPIEGEL JOB mit Beiträgen aus der Berufswelt - für Einsteiger, Aufsteiger, Aussteiger. Weitere Themen sind zum Beispiel: Die Sinn- und Glückssucher der Generation Y. Gripsgewinnler - Karrierefaktor Intelligenz. Geschichten vom Gelingen und Scheitern. Wie junge Deutsche ihr Glück in Hollywood versuchen. Und noch viel mehr. Schauen Sie doch mal rein.Heft bei Amazon: SPIEGEL JOB 1/2013 

Für die Firmen lohnt sich die Investition in ein Homosexuellen-Netzwerk, weil es produktive Arbeitskräfte zu ausgesprochen loyalen Mitarbeitern macht. "Ich habe den Luxus, in einer Normalität leben zu können, die es in anderen Firmen so nicht gibt", sagt Beyme-Wittenbecher über IBM. "Ich bekomme regelmäßig Angebote, aber ich möchte in einer Firma arbeiten, in der ich mich auch wohl fühlen kann."

Längst ist die Vermittlung schwuler und lesbischer Mitarbeiter ein Geschäftsmodell. Bei der Karrieremesse Sticks & Stones wird in Berlin vor allem um Homosexuelle geworben und ein bisschen auch um Heteros, "die einen offenen Arbeitgeber schätzen", sagt Stuart Cameron, 33, der die Messe vor drei Jahren gegründet hat; damals hieß sie noch Milk. Cameron hatte genug davon, nie zu wissen, wie sehr man sich in welcher Firma verstecken muss. "Ich will, dass Unternehmen sich outen, nicht die Mitarbeiter."

Die Messe ist ein Erfolg: McKinsey präsentiert sich, Ikea; große Anwaltskanzleien wie Freshfields sind auch dabei. Es gibt Speeddating mit Arbeitgebern, die Karriereberatung heißt "Therapiestunde", und für Bewerbungsfotos lautet das Motto: "Leider geil". Die jüngste Messe war vor einer Woche, es kamen 3000 Besucher und 62 Aussteller.

Doch Deutschland ist nicht nur Glam und Pride und Rock'n'Roll mit Regenbogenfahnen.

"Ein Outing wäre meine offene Flanke"

Die Hälfte aller Homosexuellen hat sich am Arbeitsplatz nicht geoutet, so die Studie "Out im Office" des Psychologen Dominic Frohn; zumindest war das vor fünf Jahren so, als Frohn die Untersuchung veröffentlichte. Die Männer wollen nicht "der schwule Lehrer" sein oder "die Kollegin" genannt werden. Sie haben Angst vor Getuschel und Ausgrenzung.

Wer sich im sozialen Netzwerk Xing für die Gruppe "gayBC out for success" anmeldet, kann das auf seinem Profil verbergen - auch wenn gayBC mit 3800 Mitgliedern und über 40 Diskussionsforen einer der größten Xing-Zusammenschlüsse ist. "Hier können sich die Mitglieder auf allen Ebenen auch weit über Business-Themen hinaus angstfrei austauschen, ohne dass jemand geoutet wird", sagt Sophie Ruhlig, Moderatorin der Gruppe. Viele Mitglieder arbeiten eben nicht bei IBM oder der Deutschen Bank, sondern beim Mittelständler auf der Schwäbischen Alb.

"Im kleinen Betrieb auf dem Land ist es schwieriger als in der Großstadt, offen schwul zu leben", sagt Ralf Schaab, 48, Gründer von GayFarmer, dem Netzwerk von Schwulen und Lesben in grünen Berufen. Hier sind etwa 400 Mitglieder organisiert, vom 17-jährigen Gärtner bis zum 84-jährigen Bauern. Schaab gründete das Netzwerk als eine Art Selbsthilfegruppe. Allein auf weiter hessischer Flur fragte sich der promovierte Agrarökonom und Obstbauer, wo denn Gleichgesinnte steckten, mit denen er sich austauschen kann.

"Unsere ältesten Mitglieder haben Zeiten erlebt, wo Schwule verfolgt wurden, sind seit Jahrzehnten heteroverheiratet und werden sich wahrscheinlich nie outen", erzählt Schaab. "Für sie ist der Beruf die Brücke. Die reden bei unseren Stammtischen dann über Pflanzen und Tierzucht, da kennen sie sich aus - und stellen dann doch noch ein paar Fragen zum Schwulsein."

Bauer sucht Mann

Ähnlich tabu wie eine Regenbogenflagge am Traktor ist Homosexualität am anderen Ende deutscher Karrieren, an der Spitze, im oberen Management. Die Quote bekennender Schwuler unter Dax-Vorständen ist noch geringer als die Frauen- oder Ausländerquote. Ein Top-Manager sagt: "Je weiter hoch Sie kommen, desto dünner wird die Luft. Sie müssen der Norm entsprechen, und die heißt: weißer, heterosexueller Mann. Mich zu outen, würde mir eine offene Flanke geben, und die kann sich an der Spitze keiner leisten."

Leute wie er organisieren sich im Völklinger Kreis, dem Netzwerk schwuler Fach- und Führungskräfte. Hier treffen sich geoutete wie auch verdeckt lebende Schwule, für viele ist der Verein der geschützte Raum, den sie zur Vorbereitung eines Outing brauchen. Hier finden sie Genossen - und professionelle Unterstützung. Besonders beliebt: der Workshop "100% Ich - meine sexuelle Identität im Arbeitskontext".

Bernd Schachtsiek, 63, der Vorsitzende des Vereins, verbreitet Selbstbewusstsein. Er ist groß, seine Stimme laut, er hat Karriere gemacht, viel Geld verdient - und in einem späten Outing aus der perfekten Hetero-Familienidylle heraus viel durchgemacht. Für ihn ist klar: "Wir wollen nicht nur Respekt, sondern Wertschätzung. Wenn ein Arbeitgeber Schwule nicht anerkennt, sollen sie lieber wechseln, als sich zu verleugnen." Schachtsiek ist zum Vorbild geworden für viele, weil er lebt, was er predigt: Schwul sein und Karriere, das geht! Es kommt nie so schlimm, wie man befürchtet. Und die besten Schwulenwitze erzählt immer noch ein Schwuler.

Das Pendant für Frauen sind die Wirtschaftsweiber, gut 200 Mitglieder republikweit. "Egal wo ich bin, ich habe immer einen Kontakt in der Stadt", sagt die Engel-&-Völkers-Maklerin Tina Fröhlich, 37, aus Köln. Wenn Fröhlich in der Öffentlichkeit ihre Freundin küsst und skeptische Blicke spürt, lacht sie freundlich zurück. "Ich habe nie Ablehnung erfahren, vielleicht auch, weil ich selbstverständlich mit meiner Homosexualität umgehe. Dazu bin ich gern klassisch weiblich, was bei vielen Menschen nicht zum Bild der lesbischen Frau passt." Einmal, erzählt sie, wollte man sie aus einer Lesbendisco prügeln. "Weil sie dachten, ich sei hetero und wolle nur glotzen."

Helene Endres ist Redakteurin beim manager magazin.

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