Hutmacherin Reine Kopfsache
Im Berliner Atelier von Soraya Hein liegt in jeder freien Ecke ein Hut. Kleine, die aussehen wie umgedrehte Teetellerchen, in Giftgrün und zartem Rosa; große mit Leopardenflecken oder Blumenranken. Hutschachteln türmen sich auf dem Boden, zwischen der Plattensammlung stapeln sich Kisten mit Filz. Wo nichts mehr liegen kann, stehen Modellköpfe herum. Ihre starren Augen schauen auf Soraya Hein, die Modistin.
Sie sitzt an ihrem Schreibtisch, ohne Hut, aber mit champagnerfarbenen Tüllrock und schwarz gemusterter Strumpfhose, und zieht ein Stück schwarzen Filz aus einem Karton. Früher fertigten Modistinnen nur Damenhüte an, doch Hein ist nicht auf weibliche Kundschaft festgelegt. "Die Hüte, die ich herstelle, sind weicher als die festen Männerhüte. Manche Männer mögen das lieber und bestellen bei mir", sagt sie.
Vor fünf Jahren machte Hein sich selbständig. "Feines Hutwerk" heißt ihr Laden in Berlin, mit teils verwegenen, aber oft auch alltagstauglichen Modellen. Die 31-Jährige arbeitet freiberuflich, ihr Atelier ist in ihrer Wohnung. Auf dem Schreibtisch steht allerlei Krimskrams: Stecknadeln, Fingerhüte und ein altes Gerät - der Hutdämpfer.

Modistin Soraya Hein: Ein Hut für den Zauberer
Er erinnert an einen Teekessel und funktioniert auch so ähnlich. Statt der Herdplatte erhitzen Heizstäbe das Gehäuse. Hein kippt kaltes Wasser durch eine Öffnung, es zischt, Dampf quillt hervor. Über den Hutdämpfer stülpt sie den Filz. Der Wasserdampf macht ihn weich und geschmeidig, nur so kann er weiterverarbeitet werden.
Ein Hut zum Dirndl
Bevor der Filz kalt wird, zieht Hein ihn über eine Hutform aus Holz. Das erfordert Geschicklichkeit und Kraft. "Man muss aufpassen, dass man nicht zu fest zieht, sonst reißt der Filz", sagt die Modistin und bügelt geduldig die Falten heraus. Ihre Finger sind inzwischen tiefschwarz, der Filz färbt ab. Der Hut muss einige Stunden trocken. Später wird Hein ihn noch zurechtschneiden, bürsten und "garnieren", also dekorieren.
Die Existenzgründerin arbeitet bis zu zwei Wochen lang an besonders aufwendigen Kreationen. Privatkunden sind eher selten, die beste Kundin bestelle zweimal im Jahr. "Vor kurzem wollte sie einen Hut fürs Oktoberfest, passend zu ihrem Dirndl", sagt Hein. Sie arbeitet vor allem mit Fotografen zusammen oder fertigt Kopfschmuck an für Theater und Film. Die Kontakte dazu knüpft sie über Freunde und Bekannte.
Eigentlich wollte Hein Puppenmacherin werden. Doch in der 8. Klasse musste schnell ein Schulpraktikum her. Weil sie sich schon immer für handwerkliche Berufe interessierte, bewarb sie sich bei einem alteingesessenen Hutmacherbetrieb in Dessau, ihrer Heimatstadt.
Kopfschmuck für Opern und Filme
Nach dem Praktikum war ihr klar: Mit Stroh und Filz werkeln, das ist ihr Traumberuf. Sie hatte Glück und bekam im selben Betrieb eine Lehrstelle. "Ich war die erste Auszubildende nach der Wende", sagt sie stolz. Modistin ist ein seltener Beruf, Heins Ausbildungsbetrieb gibt es heute nicht mehr.
Vor ihrer Selbständigkeit hat Hein zwei Jahre lang in einem Opernhaus gearbeitet. Stolz ist sie auf ihr letztes Filmprojekt: Sie hat bei der Verfilmung von "Hänsel und Gretel" mitgearbeitet. "Da waren wir ein richtiges Team aus Modisten." Neben Hüten stellte Hein am Filmset auch Masken her. Den größten Hut allerdings bekam der Zauberer. "Wir haben ewig daran gearbeitet", sagt sie.
Die Modisten am Filmset hätten dann doch kurz den Atem anhalten - als nämlich der Zauberer vergaß, dass er einen Hut auf hat, und damit gegen die Türkante lief. "Zum Glück ging nichts kaputt, das wäre schade um die Arbeit gewesen", so Hein.
Von den Masken und den phantasievollen Kostümen im Film hat Hein sich inspirieren lassen. Gerade arbeitet sie an einem Hut, an dessen Vorderseite ein kleines Rehgeweih steckt.

KarriereSPIEGEL-Autorin Mirjam Schmitt (Jahrgang 1983) ist Volontärin an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin.