
Ingenieure: Helden des Aufschwungs
Ingenieure Helden im Karohemd
Noch einmal fragt die Moderatorin, ob sich Bauleiter und Projektplaner auch wirklich freuen über diesen großen Tag. Eifriges Nicken unter gelben Helmen. Nur: Die Lage wird dadurch nicht besser. Der Durchbruch des Weinbergtunnels, der künftig den Bahnhof Oerlikon mit dem Züricher Hauptbahnhof verbindet, lässt auf sich warten. Wo längst ein dickes Loch sein sollte, prangt höhnisch eine makellose Betonwand, und das Bündnerfleisch auf den Kanapees biegt sich langsam nach oben.
Nur Oliver Boiger, 47, ist ganz ruhig. Erstens kann er jetzt eh nichts tun, er hat schon seine Leute nach unten zu "Heidi" geschickt, der Tunnelbohrmaschine. Ein stählernes Monstrum, fast zwölf Meter im Durchmesser, bewaffnet mit einem knapp 200 Tonnen schweren Schneiderad aus streng geheimen Metalllegierungen, das sich mit bis zu 20 Metern pro Tag selbst durch härtesten Fels mampft wie Pacman durchs Labyrinth.
Zweitens ist das Ruhebewahren Teil von Boigers Berufsethos, vielleicht der wichtigste. Der Ingenieur arbeitet als Bereichsleiter Field Services beim Tunnelbauer Herrenknecht, direkt unter der Geschäftsleitung. Personal, Ersatzteile, Budgetkalkulation, Überwachung der Arbeiten vor Ort - alles, was nach dem eigentlichen Bau der Bohrmaschinen in Schwanau passiert, ist Boigers Job.
60 Millionen Euro Umsatz macht sein Bereich, die Fäden von mehr als zwei Dutzend Projekten rund um den Globus laufen bei ihm zusammen. Schon klingelt wieder sein Blackberry, es gibt Probleme in der Türkei. "Wenn ich mich bei jeder Schwierigkeit aufregen würde, wäre ich in der Position falsch", sagt Boiger im gemütlichen Badener Zungenschlag, ruckelt an der kantigen Brille und steckt das Handy zurück ins karierte Jackett.
Effizient, pragmatisch, zurückhaltend - Ingenieure wie Boiger sind die stillen Helden der Moderne. Ob es um die Wirtschafts- und Innovationskraft des Standorts D geht oder um die großen Herausforderungen der Menschheit wie Mobilität, Ressourcen und Klimawandel: Ohne die anwendungsorientierten Herren und Damen, die für einen guten Bohnenkaffee jeden Latte macchiato stehen lassen und bevorzugt im Casual Look, mit Kuli in der Hemdtasche, auftreten, läuft gar nichts.
In ihrem Drang, Neugier und Unzufriedenheit mit dem Status quo zu verbinden, sind sie "die Motoren des menschlichen Miteinanders", schreibt der ehemalige ThyssenKrupp-Chef Ekkehard Schulz in seinem Buch "55 Gründe, Ingenieur zu werden". Daniel Düsentrieb, MacGyver, Montgomery "Beam me up" Scotty - Ingenieure lösen anderer Leute Probleme, und sie haben Spaß dabei.
"Ingenieur ist ein klassischer Aufsteigerberuf"
Es haftet den Problemlösern nur ein kleines Problem an: Es gibt zu wenige. 76.400 Ingenieurstellen im Land seien derzeit unbesetzt, sagt die Interessenvertretung, der Verein Deutscher Ingenieure (VDI); nur 20.400 Ingenieure seien demnach arbeitslos. Jede nicht besetzte Stelle kostet die Volkswirtschaft rund 200.000 Euro im Jahr - macht in Summe 14 Milliarden Euro. "Wenn wir jetzt stehen bleiben, holen wir nie wieder auf", warnt VDI-Direktor Willi Fuchs.
Doch was Wirtschaftsstrategen und Industriekapitäne lamentieren lässt, zaubert am anderen Ende künftigen Ingenieuren ein gelassenes Lächeln ins Gesicht: Für Einsteiger und Young Professionals sind die Berufsaussichten günstig wie lange nicht. Die Arbeitslosenquote von Ingenieuren dümpelt bei vernachlässigbaren 2,4 Prozent; besonders die Fachkräfte für Maschinenbau, Elektrotechnik und Fahrzeugbau sind extrem knapp. "Aus Bewerbern sind Umworbene geworden, und das quer durch die Branchen und in allen Regionen", sagt VDI-Mann Fuchs.
Neben ordentlichen Einstiegsgehältern, abwechslungsreichen Projekten und Auslandseinsätzen winken den Tüftlern hervorragende Entwicklungschancen: Zahlreiche Vorstände und Dax-CEOs wie Martin Winterkorn (VW), Dieter Zetsche (Daimler) und Wolfgang Reitzle (Linde) sind Ingenieure; ebenso jeder fünfte Unternehmensberater im Land. "Ingenieur ist ein klassischer Aufsteigerberuf", sagt Jens Hohensee von der Personalberatung Kienbaum.
"Wenn ich etwas falsch mache, sagt's mir bitte"
Doch wo wird am besten gezahlt, wo am effizientesten gefördert? Welche Branchen bieten die spannendsten Aufgaben? Und vor allem: Warum greifen so wenige nach dem Traumjob, dessen Mythos gerade eine Renaissance erlebt?
Um 12.20 Uhr ist es in Zürich schließlich geschafft, an diesem großen Tag Ende 2010. Während die geladenen Gäste enttäuscht am Mittagstisch sitzen, stürzt die Mauer mit standesgemäßem Rrruummms ein. "Ein bewachter Topf kocht eben nicht über", sagt Boiger lapidar. Der gelernte Kfz-Mechaniker, zweiter Bildungsweg, FH Offenburg, stieg 1992 als Projektingenieur bei Herrenknecht ein, damals ein Bonsai-Betrieb mit 300 Mitarbeitern.
Heute sind es zehnmal so viele, und mit dem Wachstum stieg Boiger auf. Wie viele Ingenieure grübelt er aber lieber über der Technik als über Karrierepfaden. "Ich geb' mein Bestes, alles andere ergibt sich." Für das Kaufmännische hat er Kurse besucht, Führen schaute er sich von seinen Chefs ab, und ansonsten setzt er auf Offenheit. "Wenn ich etwas falsch mache, sagt's mir bitte", lautet die wichtigste Anweisung an seine Leute.
Erwartung an Ingenieure: Sie sollen das Unmögliche wahr werden lassen
Ereifern kann sich Boiger nur, wenn es um seine gigantischen Löcher geht. Der Weinbergtunnel etwa, dessen Ende jetzt frisch durchbrochen hinter einer unscheinbaren weißen Tür direkt am Hauptbahnhof liegt. 20 Meter unter Straßenniveau, Stahlträger dick wie drei Bodybuilder-Oberschenkel, tiefes Brummen der Wasserpumpen, und über allem ein grauweißer Schweizer Winterhimmel. "Alle reden vom Gotthard", sagt Boiger verschnupft und stapft über tischtennisplattengroße Betonbrocken, "aber technisch ist das hier auch extrem herausfordernd."
Über dem Gotthard-Tunnel steht zwei Kilometer dick der unbewohnte Berg. In Zürich mussten Fundamente und Leitungen umgangen, das Flüsschen Limmat unterbohrt und das nachdrängende Grundwasser mit der speziellen Mixschildtechnik in Schach gehalten werden - während nur wenige Meter weiter oben täglich 340.000 Reisende den Hauptbahnhof passieren. Drei Jahre seit Baubeginn, 1,3 Millionen Tonnen Ausbruchmaterial kilometerlang unterirdisch abtransportiert, keine ernsten Missgeschicke. "Das war Maßarbeit und Pionierleistung", gestattet sich Boiger einen flüchtigen Abstecher ins eitle Fach.
Von Ingenieuren erwartet die Welt einfach, dass sie das Unmögliche real werden lassen. "Deshalb werden oft Spezialisten für immer engere Bereiche gesucht, was den Mangel wieder verstärkt", sagt Christian Richter von der Personalberatung Select if, die sich auf die Tüftler spezialisiert hat. Der Nachfrageüberhang spiegelt sich in den Gehältern. Zwar sank das Einstiegsgehalt krisenbedingt um etwa ein Prozent auf knapp 41.000 Euro - doch der Lohn variiert stark nach Firmengröße, Fachrichtung und Branche.
Gehaltsskala nach oben offen
Vor allem Energie, Chemie/ Pharma sowie Fahrzeugbau zahlen Spitzengehälter. Kommt eine Promotion oder ein MBA dazu, kann leicht die 60.000er-Marke erreicht werden. "Generell werden wir in den nächsten Jahren einen deutlichen Anstieg der Gehälter sehen", prophezeit VDI-Direktor Fuchs. Doch schon jetzt ist die finanzielle Entwicklung parallel zum Aufstieg mehr als verlockend: Ein Abteilungsleiter kann in großen Unternehmen zwischen 70.000 und 120.000 Euro verdienen, ein Bereichsleiter schon mal bis zu 200.000 Euro. Darüber, auf Geschäftsführer- und Vorstandsebene, ist die Skala ohnehin nach oben offen.
So weit dürften die wenigsten Besucher auf der Aachener Bonding denken, Deutschlands größter Absolventenmesse für Ingenieure. Doch die mehr als 15.000 Besucher kennen ihren Marktwert genau. Drei Tage lang präsentieren sich hier fast 280 Firmen; Microsoft, ThyssenKrupp, Audi, Siemens, Daimler, alles, was Rang und Namen hat, sogar der Bundesnachrichtendienst ist vertreten.
"Es ist die größte Bonding, die es je gab", sagen die Veranstalter und Studenten der RWTH Aachen, Ruth Cremer und Sebastian Stracke, "wir konnten gar nicht allen interessierten Firmen zusagen." Wie komfortabel die Lage ist, hat Cremer in diesem Jahr am eigenen Leib erfahren: Binnen kürzester Zeit interessierten sich fast zehn Firmen für sie, "dabei studiere ich eigentlich Mathematik".
Mit dem Shuttle-Schiff auf die Bohrinsel
Immer massiver drängen die Unternehmen, präsentieren sich an Unis und Fachhochschulen, rangeln um die Vergabe von Master-Arbeiten und Praktikumsplätzen, ersinnen Förderprogramme, um nur ja die begehrten Technikstudenten möglichst früh zu binden. Auch die nachlassende Konjunktur der vergangenen Wochen hat daran bislang nichts geändert.
Manche Disziplinen sind so spezialisiert, dass die interessierten Firmen jeden Studenten persönlich kennen und vom ersten Semester an ins Visier nehmen. "Petroleum Engineering" ist so ein Fach, es wird im deutschsprachigen Raum überhaupt nur an drei Hochschulen angeboten, und Thomas Flemming (33) ist einer der glücklichen Absolventen. Der gebürtige Österreicher hat sich auch der Jobchancen wegen für den Technikberuf entschieden, nach seinem Abschluss 2006 ging er zur RWE/Dea. "Ich wollte zu einem Unternehmen, das noch eigene Bohranlagen betreibt."
Als Planungsingenieur ist Flemming verantwortlich für die komplette Konzeption von Bohrungen auf Deutschlands einziger Ölbohrinsel, der "Mittelplate" in der Nordsee. Viel kann er vom Hamburger Büro aus erledigen, aber für einige Tage im Monat bringt ihn das Shuttle-Schiff von Cuxhaven aus auf die Insel. In Sichtweite von Friedrichskoog auf einer Sandbank am Rand des sensiblen Wattenmeers und über einem eher kleinen Ölfeld gelegen, wurde "Mittelplate" lange als Randaktivität belächelt.
Das ist vorbei, denn nirgends mehr sprudelt das Öl noch so wie früher, und Naturschutz ist jetzt sogar in Turkmenistan angesagt. "Gerade die strengen Umweltauflagen und der technische Aufwand, der nötig ist, um wirtschaftlich fördern zu können, machen die Insel zum Zukunftsmodell", sagt Flemming.
"Karohemd und Samenstau, ich studier Maschinenbau
Dafür braucht man dringend Ingenieure. Vorbereitung der Bohrung, Wahl von Spülung und Meißel, Budgetplanung - alles Flemmings Aufgaben. "Meine Bohrungen betreue ich auch operativ", sagt der drahtige Jungingenieur und klettert behände die zahllosen Stufen hoch zum Turm, wo Gestänge um Gestänge eingeführt wird, bis in 3000 Meter Tiefe. Über dem Meer kreisen die Möwen, manchmal schwimmen Seehunde neugierig in den kleinen Inselhafen, über dem an Weihnachten ein Tannenbaum aufgestellt wird, während drinnen auf zahllosen Monitoren die Parameter zu Bohrgeschwindigkeit, Druck und Drehmoment in Echtzeit flimmern.
"A 7b" heißt die Bohrung, die Flemming gerade vorbereitet. "A 7a" ist die Hauptbohrung, von der wie ein Ast eine zweite Bohrung abzweigt. "Das spart Zeit und Geld, weil man nicht jedes Mal neu ansetzen muss", erklärt Flemming. Diese "Multilateral-Bohrungen" sind in Deutschland neu. Hier auf "Mittelplate" wurde die Technologie 2010 erstmals eingesetzt, und bei RWE/Dea ist man stolz auf die neue Waffe im Kampf um mehr Effizienz.
Flemming, der für den Job im hohen Norden das Mountainbiking aufgab und stattdessen Segeln lernte, freut sich, dass er buchstäblich an der Speerspitze der Innovation arbeiten kann. "Ich wollte keinen reinen Bürojob, sondern vor Ort sehen, wie das, was ich am Schreibtisch errechnet habe, funktioniert." Die harte Praxisschule hat Methode; viele obere Führungskräfte bei RWE/Dea bis hinauf zum CEO haben einst als Bohringenieur begonnen.
"Was heut in Lüften schwebt, in Grüften gräbt und stampft und dampft"
Gerade in technikgetriebenen Branchen genießen Ingenieure auf den Führungsetagen großen Respekt. Das hat natürlich mit Fachwissen zu tun - aber auch mit dem Mythos einer deutschen Institution, die vergangenes Jahr ihren 111. Geburtstag feierte: dem Diplomingenieur.
In der Gründerzeit legten Männer wie Carl von Linde, Robert Bosch oder Konrad Zuse den Grundstein dafür; seither ist der "Dipl. Ing." eine Markenmacht wie Mercedes oder "made in Germany". "Was heut sich regt mit hunderttausend Rädern, in Lüften schwebt, in Grüften gräbt und stampft und dampft und glüht - das alles schafft und noch viel mehr der Ingenieur", heißt es schon im "Ingenieurslied" von 1871.
Selbst Luxusartikel wie das "Ingenieur"-Modell der Schweizer Edeluhrenschmiede IWC setzen bis heute auf die Faszination höchsten technischen Anspruchs: Dass der Tausende Euro teure Zeitmesser gegen Magnetfelder beinahe perfekt abgeschirmt ist, dürften die wenigsten Kunden im Alltag benötigen. Doch es zählt das Statement: der Nimbus des technisch Mach- und Wünschbaren, das Flair riesiger frei schwingender Brücken, raketenschneller Autos und anderer Wunder, die nie zuvor ein Mensch gesehen hat - bis sie ein Ingenieur ersann. Entsprechend ausgeprägt ist das Selbstbewusstsein der Technikerkaste.
Außerhalb der Wirtschaft allerdings ist das Bild vom Ingenieur bestenfalls ramponiert, eher noch: kaum vorhanden. "Wir gelten als verschroben und langweilig", klagt Ingenieur und Ex-ThyssenKrupp-Chef Ekkehard Schulz. Und jammert über "die flotten Denker mit den langen Haaren, die von den Mädchen umschwärmt wurden", obwohl sie "nicht einmal wussten, was eine Loschmidt-Konstante ist".
Anspruchsvolles, aber praxisfernes Studium
So paart sich ein generelles Desinteresse an Technik mit spöttischen Versen à la "Karohemd und Samenstau, ja, ich studier Maschinenbau" zu einer fatalen Mixtur, die manch klugen Kopf von den technischen Fakultäten abschreckt.
Doch wer den Mangel zu einem Imageproblem kleinredet, macht es sich zu einfach, denn viele Ursachen sind hausgemacht. Etwa das äußerst anspruchsvolle und zu Anfang eher praxisferne Studium, das regelmäßig Rekordabbrecherzahlen von 35 Prozent produziert. Viele Hochschulen, wie etwa die Aachener Vorzeigeinstitution RWTH (Abbruchquote: rund 50 Prozent), vertreten ein elitäres Selbstbild, das für die Bedürfnisse der Wirtschaft lange taub war. "Es kann nun mal nicht jeder eine forschungsorientierte Wissenschaftlerausbildung wie die an der RWTH erfolgreich bestehen", sagt Rektor Ernst Schmachtenberg.
Andere Kollegen sind da weiter: Die TU Darmstadt etwa setzt auf intensive Auswahlgespräche, interdisziplinäre Elemente und Praxisbezug gleich in den ersten Semestern, etwa mit Projekten wie dem Bau eines Grills für tausend Würstchen. "Wer sieht, wie sich die Theorie in der Wirklichkeit bewährt, dem fällt es leichter, sich durch die Mathematik und die Physik zu kämpfen", sagt Präsident Hans Jürgen Prömel. Der Aufwand lohnt: Im Maschinenbau ist die Abbruchquote bereits deutlich gesunken.
Auch die Unternehmen sind am Mangel nicht unschuldig. Viele Ingenieure klagen über die Flut fachfremder Aufgaben wie Dienstreisen organisieren und Arbeitsabläufe kontrollieren, die Zeit für die eigentliche Forschung rauben. Kein Wunder, dass immer mehr in andere Tätigkeiten abwandern - oder sich gleich selbstständig machen: Die Auftragslage ist rosig, und kein Vorgesetzter nervt. Zählte das Statistische Bundesamt vor 16 Jahren noch 117.000 freiberufliche Ingenieure, waren es 2008 schon 161.000.
Sicher, die Aufstiegschancen in Konzernen sind bestens - aber nur, wenn man bereit ist, auch Führungsverantwortung zu übernehmen. Wer nur tüfteln will, stößt schnell an Grenzen, vor allem finanziell. "Die Fachkarriere wurde vernachlässigt und war viel zu lange nicht mehr als ein Lippenbekenntnis", sagt VDI-Direktor Fuchs. "Erst seit zwei, drei Jahren betreiben einige Unternehmen ernsthaft die Gleichwertigkeit mit der Führungskarriere."
Technik contra Geschäftssinn: "Da blutet mir manchmal das Herz"
Michael Steiner, 46, dagegen, der schon als Jugendlicher gern Mopeds zerlegte und wieder zusammenbaute, war früh klar, dass er sein Händchen für Prozesse irgendwann auch in größeren Zusammenhängen beweisen würde.
Nach Abitur (Leistungskurse: Mathe und Physik), Maschinenbaustudium und Promotion an der TU München begann er 1995 als Trainee bei Daimler und übernahm nach knapp zwei Jahren die Fachgebietsleitung Produktkonzepte für Nischenfahrzeuge. Schon bald kam die erste Führungsposition als Leiter Produktcontrolling der A-Klasse. Angst vor der neuen Rolle hatte Steiner nicht, "aber ich war überrascht, wie sehr man nicht mehr allein für seinen Erfolg verantwortlich ist und wie wesentlich die Motivation der Mitarbeiter ist".
Im Jahr 2002 wechselte Steiner zu Porsche. Der Sportwagenbauer suchte jemanden für die Entwicklung einer neuen Modellreihe. "Ein komplett neues Konzept zu entwickeln war für mich als Ingenieur einfach zu verlockend." Mit Ende 30 führte Steiner 170 Leute und stand vor der Herausforderung, Schnelligkeit und Komfort zu einem stimmigen Ganzen zu verbinden. Heraus kam der Panamera, Steiners Baby.
Seit 2005 fungiert er als dessen Baureihenleiter. In seiner Funktion gleich unter dem Vorstand trägt er die komplette unternehmerische Verantwortung für Technik, Projektsteuerung, Budget- und Zielerreichung. "Da blutet mir manchmal das Herz, wenn ich abwägen muss zwischen der technisch schönsten und der kaufmännisch sinnvollsten Lösung."
"Die Kommunikation kommt im Studium oft zu kurz"
Das Vorurteil, viele Ingenieure seien beim Wechsel von der Fach- in die Führungsrolle überfordert, hat Steiner also gründlich widerlegt. Für wichtiger als abstraktes Wissen über Soft Skills und Managementtheorien hält er dabei geistige Flexibilität, Offenheit für neue Chancen und den Mut, die eigene Arbeit auch an Geschäftszahlen messen zu lassen. "Mancher Ingenieur macht den Fehler, seine Karriere zu linear nach oben zu planen."
Denn anders als eine Flugbahn etwa sind Marktentwicklungen oder soziale Prozesse im Team keine exakte Wissenschaft. "Vor allem die Kommunikation, das Arbeiten in der Gruppe, kommt im Studium oft zu kurz", sagt Steiner. Deshalb bietet Porsche jungen Talenten (und nicht nur Ingenieuren) Förderprogramme, die in einer Kooperation mit der European Business School in Oestrich-Winkel sowie bereichsübergreifenden Projekten und Auslandseinsätzen den Horizont weiten sollen - und stellte im Frühjahr 100 zusätzliche Ingenieure für die Fahrzeugentwicklung im Forschungszentrum Weissach ein.
Große Konzerne haben wenigstens eine beträchtliche Zugkraft, die den Ingenieurmangel abfedert. Eng wird es im Mittelstand. Thomas Sattelberger, Telekom-Personalvorstand und Vorsitzender der "MINT"-Initiative, die mehr junge Menschen für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik begeistern will, sieht denn auch nach der Investition von hundert Millionen Euro für Werbung und Kommunikation als Ergebnis "Licht und Schatten".
Angst vor der Rückkehr der "Ingenieurschwemme"
Die Zahl der Studienanfänger in den MINT-Fächern habe man in den vergangenen Jahren um 40 Prozent steigern können; in den Ingenieurwissenschaften betrug der Zuwachs in den populären Disziplinen 2009 gegenüber 2008 zwischen 7 und 18 Prozent. "In vielen Köpfen ist aber noch immer die Angst vor dem Wort ,Ingenieurschwemme' aus den 90ern".
Und gerade die hoch angesehenen TUs verzettelten sich im Kampf um die Wiedereinführung ihres geliebten "Dipl. Ing.", anstatt ihre Curricula zu entschlacken. "Die renommierten TUs schielen beim Geld nach den USA und bei den Titeln nach Österreich", sagt Sattelberger. So bleibe der Ingenieurmangel ein "strukturelles Problem", gerade was den Frauenanteil angeht, gibt es bisher kaum Erfreuliches zu vermelden.
Bisweilen klappt es aber auch ohne Werbung. Stephanie Muth (27) hatte nach ihrem Abschluss in Karlsruhe als Maschinenbauingenieurin mehrere Angebote großer Unternehmen - und entschied sich für BASF: "Ich wollte gern in der Region bleiben." Muth, rote Haare, blaugrüne Augen, mag das Handfeste und Bodenständige an ihrem Fach; seit Februar 2008 ist sie in der Werkstofftechnik und Anlagenüberwachung tätig. Sie berechnet das Verhalten von Bauteilen unter Druck und extremen Temperaturen oder analysiert die Ursachen in Schadensfällen.
Ein Projekt dauert meist nur wenige Wochen, Muth pendelt zwischen ihrem Arbeitsplatz und den Anlagen vor Ort. "Ich mag das Vielseitige, kein Auftrag ist wie der andere."
Mehr als die Liebe zum Rhein-Neckar-Gebiet
Über ihre künftige Karriere hat die Ingenieurin bisher wenig nachgedacht; gut möglich aber, dass Muth demnächst in den Genuss eines der neuen Förderprogramme kommt, die BASF speziell für Ingenieure entwickelt. Ein internationales Traineeprogramm Technik gibt es schon; andere sollen folgen. "Personalentwicklung für Ingenieure steht jetzt für uns absolut im Fokus", sagt Joerg Leuninger, der Recruiting-Leiter für Europa.
Die BASF hat erkannt: Wenn die Firmen nicht attraktiver werden, nützen ihnen auch steigende Studienanfängerzahlen wenig. Leuninger hat deshalb noch etwas geändert: "Wir richten das Recruiting europäisch aus." In einem "European Talent Pool" werden Studenten zu Veranstaltungen eingeladen, der Konzern kommuniziert über Twitter und Facebook und organisiert in virtuellen Karrieremessen Chats mit Experten.
Alles, um mehr begehrte Problemlöser nach Ludwigshafen zu locken. Schließlich ist kein Verlass darauf, dass die Liebe zum Rhein-Neckar-Gebiet bei allen Ingenieuren so groß ist wie bei Stephanie Muth.