Insolvente Firma Muss ich auf mein Gehalt verzichten?

Firmenpleite: Der Letzte macht das Licht aus
Foto: CorbisAus heiterem Himmel kommt eine Insolvenz fast nie. Sie bahnt sich über Monate oder Jahre an. Die Lage eines Unternehmens verschlechtert sich schleichend oder jäh, Aufträge brechen weg, vielleicht trifft das Management katastrophale Fehlentscheidungen. Oft müssen die Mitarbeiter Einschnitte und Sparrunden hinnehmen, es kommt zu ersten Entlassungen - alles Alarmsignale.
Bleibt ein Arbeitgeber seit Monaten das Gehalt schuldig, sollten Mitarbeiter unbedingt hellhörig werden, denn das deutet meist auf eine Zahlungsunfähigkeit hin. Wenn eine Firma ihre Rechnungen nicht mehr begleichen kann, wird das Insolvenzverfahren eröffnet. In Deutschland geschah das im Jahr 2014 fast 24.000 Mal, mit wirtschaftlichen Schäden von 26 Milliarden Euro.
Für die Mitarbeiter ist die Pleite ein Schock. Sie bangen nicht nur um ihre berufliche Existenz, sie müssen jetzt auch um Urlaubsentgelt kämpfen, unbezahlte Überstunden und vor allem um noch ausstehenden Lohn. Das Risiko ist hoch. Denn Lohnforderungen, die bereits vor Eröffnung eines Insolvenzverfahrens bestanden, werden zur sogenannten Insolvenztabelle angemeldet. Arbeitnehmer werden somit zu Insolvenzgläubigern und sind weder besser- noch schlechtergestellt als andere Gläubiger, wie etwa Lieferanten oder Kunden des Unternehmens.
Insolvenz - nicht immer das Aus
Meist erhält jeder Gläubiger nur noch einen Bruchteil seiner Forderungen. Und erst nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens müssen auch Gehälter aus der Insolvenzmasse beglichen werden. Im Klartext: Ist noch Geld in der Firmenkasse, können Mitarbeiter auf ihr Gehalt hoffen. Ist nichts mehr da, gehen Mitarbeiter leer aus. Dann bleibt nur der Gang zur Arbeitsagentur.
Im Pleite-Fall tritt ein Insolvenzverwalter an die Stelle des Arbeitgebers und übernimmt mehrere Aufgaben: Er prüft, wie sich die Ansprüche der Gläubiger befriedigen lassen. Er versucht, das Unternehmen zu sanieren, es ganz oder teilweise zu retten - auch durch Verkauf von Betriebsteilen, Grundstücken oder Maschinen. Er sucht Investoren, um die Produktion fortführen und möglichst viele Arbeitsplätze erhalten zu können.
Und was wird aus dem Arbeitsplatz?
Durch eine Firmenpleite endet ein Arbeitsverhältnis keineswegs automatisch, sondern muss vom Insolvenzverwalter gekündigt werden. Einzuhalten hat er eine Kündigungsfrist von maximal drei Monaten. Sehen Gesetze, Tarif- oder Arbeitsverträge längere Fristen vor, werden sie verkürzt. Dagegen gelten kürzere Kündigungsfristen auch im Insolvenzverfahren.
Im Prinzip greifen bei Insolvenz die normalen Regeln etwa nach dem Kündigungsschutzgesetz , allerdings erleichtert und beschleunigt, weil meist Eile geboten ist. So lässt sich die übliche Sozialauswahl nach Betriebszugehörigkeit, Alter und Unterhaltsverpflichtungen lediglich auf grobe Fehler überprüfen, wenn Insolvenzverwalter und Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste vereinbaren. Außerdem kann der Insolvenzverwalter eine "ausgewogene Personalstruktur" schaffen.
Arbeitnehmer können natürlich selbst kündigen, auch fristlos etwa aufgrund offener Lohnforderungen. Wer das plant, sollte den Arbeitgeber vorab zur Gehaltszahlung aufgefordert haben (schriftlich mit Fristangabe), auf mindestens ein ausstehendes Monatsgehalt warten und möglichst bereits ein Anschlussarbeitsverhältnis haben.

Kündigungsgründe: Hier werden Sie gefeuert
Zahlt ein insolventer Arbeitgeber den vereinbarten Lohn nicht, hat der Arbeitnehmer ein Zurückbehaltungsrecht seiner Arbeitsleistung. Kurz: kein Geld, keine Arbeit. Stellt der Arbeitgeber Mitarbeiter frei, erhalten sie unter Umständen Arbeitslosengeld. Wer bereits seit Monaten aufs Gehalt wartet, kann ordentlich oder auch fristlos kündigen, ohne dass ihn dann bei der Arbeitsagentur eine Sperrzeit von drei Monaten trifft.
Arbeitslosengeld und Insolvenzgeld
In diesen Fällen zahlt die Arbeitsagentur aber zunächst kein Arbeitslosengeld, sondern ein Insolvenzgeld; auch Vorschüsse sind möglich. Die Voraussetzungen: Das Insolvenzverfahren wurde eröffnet, es wurde mangels Masse abgewiesen oder die Betriebstätigkeit eingestellt; zudem hat der Mitarbeiter Insolvenzgeld beantragt.
Dabei deckt das Insolvenzgeld die letzten drei Monatsgehälter vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens ab. Anschließend können Mitarbeiter Arbeitslosengeld beantragen. Neben dem vollen Nettogehalt umfasst das Insolvenzgeld auch anfallende Jahressonderzahlungen.
Wichtig: Man muss den Antrag innerhalb von zwei Monaten nach dem Insolvenzereignis stellen. Manchmal kann ein Mitarbeiter nichts dafür, dass er den genauen Zeitpunkt nicht kannte. Dann kann eine Nachfrist von weiteren zwei Monaten greifen - aber verlassen sollten sich Arbeitnehmer darauf nicht, sonst riskieren sie ihren Anspruch.
Wichtige Urteile und ihre Folgen
Der Arbeitgeber einer Einkäuferin im Versandhandel ging in die Insolvenz. 2010 erhielt sie die Kündigung wegen Betriebsstilllegung, während sie sich in Elternzeit befand. Nach der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist wäre das Arbeitsverhältnis erst später beendet worden. Die Mitarbeiterin konnte sich und ihre Kinder nicht länger beitragsfrei krankenversichern, weil der Insolvenzverwalter die Kündigungsfrist verkürzte. Das Bundesarbeitsgericht entschied: Die Höchstgrenze von drei Monaten ist bindend, die Klage blieb erfolglos (Urteil vom 27. Februar 2014, Aktenzeichen 6 AZR 301/12 ).
Arbeitsrechtdatenbank: Von Abmahnung bis Zeugnis
Bewerbungen: Woran erkennt man Diskriminierung?
Bewerbungen: Was passiert bei Lügen im Lebenslauf?
Vorstellungsgespräch: Müssen Frauen es sagen, wenn sie schwanger sind?
Arbeitsvertrag: Was darf nicht, was muss drinstehen?
Ausbildungsbeginn: Worauf müssen Azubis beim Start achten?
Ausbildungsvertrag: Auf welche Inhalte kommt es beim Start an?
Ein Produktionsmitarbeiter war 51 Jahre alt und entsprach damit genau dem Durchschnittsalter der Belegschaft, als 2011 über seinen Arbeitgeber das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Bei einer Massenentlassung erhielt er eine betriebsbedingte Kündigung und wehrte sich, weil er die Sozialauswahl für willkürlich und grob fehlerhaft hielt; ältere Mitarbeiter würden benachteiligt. Der Insolvenzverwalter hatte Altersgruppen gebildet, um eine ausgewogene Altersstruktur zu schaffen. Eine Verjüngung sei betrieblich dringend erforderlich gewesen und habe den Firmenverkauf erst möglich gemacht.
Das Bundesarbeitsgericht urteilte, die Bildung von Altersgruppen verletze das Verbot von Altersdiskriminierung nicht, wenn sie dem legitimen Ziel einer Unternehmenssanierung diene. Das BAG verwies die Sache allerdings zur erneuten Verhandlung an das Landesarbeitsgericht Nürnberg, das die Sozialauswahl überprüfen sollte (Urteil vom 19. Dezember 2013, Aktenzeichen 6 AZR 790/12 )
Das rät Ina Koplin, Fachanwältin für Arbeitsrecht
Ist ein Unternehmen zahlungsunfähig und kommt es zum Insolvenzverfahren, haben Mitarbeiter meist offene Gehaltsansprüche. Dabei sind Mitarbeiter vor der Insolvenzeröffnung sogenannte Insolvenzgläubiger und danach Massegläubiger. Wer seinen Anspruch geltend machen möchte, muss sich an den Insolvenzverwalter wenden. Da Mitarbeiter aber oft nur einen Teil des ihnen zustehenden Geldes erhalten, sollten sie sich parallel beim Arbeitsamt melden.