Arbeit eines Strafrichters "Ich hatte zwei Jahre schlechte Laune"

Arbeitsplatz eines Richters: "Es gibt nicht in jedem Fall Gerechtigkeit"
Foto: THOMAS KIENZLE/ ASSOCIATED PRESSKarriereSPIEGEL: Herr Pragst, wenn Sie in einer Kneipe sitzen und erzählen, dass Sie Richter sind, wie reagieren die Leute?
Pragst: Ich sitze gar nicht so oft in der Kneipe.
KarriereSPIEGEL: Dann eben im Café oder im Theater.
Pragst: Es gibt immer noch eine hohe Achtung vor dem Beruf. Gleichzeitig sind die Leute fasziniert von Geschichten über Streit, vom Blick über den Gartenzaun. Menschen mögen Fragen nach Richtig und Falsch - und dass jemand am Ende eine Entscheidung trifft.
KarriereSPIEGEL: Welche Klischees begegnen Ihnen?
Pragst: Bei einem Richter denken die Menschen oft an einen alten erfahrenen Mann, so wie sie es aus amerikanischen Spielfilmen kennen. Sie sind überrascht, wenn da jemand mit Anfang 30 sitzt. Und die Leute glauben, der Job wird ziemlich gut bezahlt.
KarriereSPIEGEL: Etwa nicht?
Pragst: Sagen wir mal so: Richter ist kein Beruf, in dem man es sich ohne Probleme leisten kann, dass die Frau mit zwei Kindern zu Hause bleibt. Jedenfalls hier in Berlin. Gute Leute können als Anwalt weitaus besser verdienen.
KarriereSPIEGEL: Warum sollte man überhaupt Richter werden?
Pragst: Man kann seine eigenen Entscheidungen treffen und muss sich von niemandem etwas sagen lassen. Die richterliche Unabhängigkeit wird in Deutschland sehr ernst genommen.
KarriereSPIEGEL: Was qualifiziert jemanden für diesen Beruf?
Pragst: Als Richter sollte man nach außen ruhig auftreten und sorgfältig abwägen können. Man muss auch akzeptieren, dass es nicht in jedem Fall Gerechtigkeit gibt. Die Wahrheit ist: Es gibt Fehlurteile, Unschuldige werden verurteilt, anderen ist nichts nachzuweisen. Oft werden die Schwierigkeiten in diesem Beruf nicht gesehen. Deshalb sage ich immer: Überlegt es euch genau.

Jura? Ohne mich: Verkrachte Juristen und andere Studienabbrecher
KarriereSPIEGEL: Jurastudenten sind meist sehr strebsam. Manche finden, dass sie die Nase zu tief in die Schönfelder-Gesetzessammlung stecken und nicht viel mitbekommen vom Leben außerhalb der Uni. Stimmt's?
Pragst: Ethische Grundlagen kommen in der Ausbildung leider nicht vor. Ich würde es besser finden, wenn mehr Lebensrealität in das Studium kommt. Schließlich ist man auf Menschenkenntnis und einen realistischen Blick auf die Welt angewiesen. Und man muss Nicht-Juristen etwas vermitteln können. Wenn man seine Zeit nur im Hörsaal verbringt, fehlt etwas.
KarriereSPIEGEL: Bevor Sie ein Jurastudium begannen, haben Sie Sport studiert, waren Croupier, Bankkaufmann und Immobilienmakler...
Pragst: ...und es war keine vergeudete Zeit. Dort habe ich viel für meinen Beruf und den Umgang mit Menschen gelernt. Ich will, dass die Leute auch bei einer Verurteilung denken: Das war eine schlechte Entscheidung für mich, aber der Richter war in Ordnung.
KarriereSPIEGEL: Sie haben als Staatsanwalt und Strafrichter in Berlin gearbeitet, sind inzwischen aber zum Zivilgericht gewechselt. Warum?
Pragst: Strafrecht ist eine andere Welt. Am Sonntag "Tatort" zu schauen ist das eine, aber wenn man das jeden Tag hat, ist es anders. Es gibt wohl kaum einen Beruf, wo man so viel Schlechtes sieht. Man kommt dazu, nicht mehr an das Gute zu glauben. Wenn Sie erleben, dass eine alte Frau überfallen wird und nun nicht mehr ruhig schläft, dann werden Sie sauer. Diese Arbeit hat mich verändert. Ich hatte zwei Jahre schlechte Laune.
KarriereSPIEGEL: Jetzt arbeiten Sie am Amtsgericht Lichtenberg als Zivilrichter. Wo ist der Unterschied?
Pragst: Bei einer strafrechtlichen Verfolgung geht es um die mögliche Bestrafung des Täters. Im Zivilrecht bin ich wie ein Schiedsrichter, der ein Problem zu lösen versucht. Das kann etwa ein Disput zwischen einem Vermieter und einem langjährigen Mieter sein. Man muss viel erklären und Menschen beraten, die oft ohne Anwalt kommen. Ich versuche eine Einigung zu erzielen, mit der beide Seiten zufrieden sind. Wenn das nicht klappt, muss ich trotzdem ein Urteil fällen.
KarriereSPIEGEL: Wie kommen Sie zu einem Urteil?
Pragst: Jeden Fall nehme ich mit nach Hause. Dort bin ich ungestört und kann in Ruhe die Akten studieren. Inzwischen braucht man dafür keine Bibliothek mehr. Urteile und Kommentare gibt es im Internet. Wenn die Verhandlung beginnt, habe ich meist schon einen Lösungsvorschlag im Kopf. Dann überlege ich noch mal: Finde ich das gerecht? Manchmal ist das nicht so, dann schaue ich, ob ich den Fall auch anderes auslegen kann.
KarriereSPIEGEL: Haben Sie schon Fehler gemacht?
Pragst: Dieser Beruf verlangt ständig Entscheidungen, mir ist klar, dass es auch anders gesehen werden kann. Wenn Sie bei einem Fall fünf Kollegen fragen, haben Sie drei verschiedene Urteile. Im Strafrecht stehen Sie vor einem vermeintlichen Vergewaltiger und müssen entscheiden, ob er frei bleibt oder nicht. Der eine Zeuge sagt so, der andere so. Niemand kann Ihnen da helfen. Letztlich müssen Sie Mut haben. Und Sie müssen Ruhe bewahren, wenn jemand schreit: Das ist ungerecht!
KarriereSPIEGEL: Sind Sie inzwischen desillusioniert, oder hat Ihr Respekt vor dem Richteramt zugenommen?
Pragst: Ich habe noch immer hohe Achtung vor der Justiz. Es gibt umfangreiche Regeln, denen man gerecht werden muss. Aber wir haben ein sehr hohes Niveau in Deutschland. Und obwohl Anwälte oft mehr verdienen, bekommen wir noch immer die besten Leute. Sie dürfen also vor Gericht das Allerbeste erwarten.
KarriereSPIEGEL: Neigen Sie privat denn eher zum Risiko, oder sind Sie dort auch so abgeklärt?
Pragst: Außerhalb der Arbeit habe ich eigentlich keine Lust, mich noch mit meinem Vermieter oder wegen eines Strafzettels zu streiten. Ich gehe Stress möglichst aus dem Weg. In der Familie bin ich auch eher ausgeglichen. Außerdem läuft es dort anders: Zu Hause habe ich nicht immer das letzte Wort.
Das Interview führte Jonas Leppin
