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Neues Bewerbungstrainings-Tool Hey Google, bin ich eine gute Kandidatin?

Google hat ein neues Werkzeug im Angebot: Man kann mit einer künstlichen Intelligenz im »Interview warmup« Vorstellungsgespräche trainieren. Ein Selbsttest.
Hm, was erzähl ich denn jetzt? Erst mal üben

Hm, was erzähl ich denn jetzt? Erst mal üben

Foto: Justin Paget / Getty Images

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Meine größte Schwäche?

Natürlich meine Bescheidenheit.

Oder stopp: Vielleicht ist es doch mein Perfektionismus.

Und in fünf Jahren sehe ich mich genau da, wo jetzt Sie sitzen, hahaha, kleiner Scherz.

Aber im Ernst: Wie bereitet man sich optimal auf Vorstellungsgespräche vor?

Google stellt seit wenigen Tagen ein neues Tool zur Verfügung: »Interview warmup« heißt es und soll es Bewerbenden ermöglichen, Gesprächsführung zu trainieren. Mit einer künstlichen Intelligenz (KI). Das möchte ich ausprobieren.

Leider gibt es das Warm-up nur auf Englisch, was aber andererseits eine gute Möglichkeit ist, zwei Trainingsfliegen mit einer Übungsklappe zu schlagen.

Google lässt mir die Wahl zwischen sechs Karriereoptionen : Data Analytics, E-Commerce, IT-Support, Project Management, UX Design – und General, wahrscheinlich für Leute wie mich, für deren bevorzugte Einstellung IT-Unternehmen schon ziemlich verzweifelt sein müssten. Fünf Fragen erwarten mich.

Der Bot, der die Stimme eines ernsthaften jungen Mannes hat, will als Erstes wissen, warum ausgerechnet ich mich für einen »good fit« für den Job halte? Moment, ich weiß ja noch nicht mal, wofür ich mich hier bewerbe. Wie soll ich diese Frage ernst nehmen?

»Ich bin halt ein Genie«, antworte ich deshalb auf Englisch. Artig bedankt sich der Bot für diesen wertvollen Einblick in meine Persönlichkeit.

Zweite Frage: Ich soll erzählen, wie ich trotz widriger Umstände mal richtig was geschafft habe.

»Ich hab einen Apfelkuchen gebacken, obwohl zwei Kleinkinder um mich herumtobten«, fällt mir ein, und lahm schiebe ich noch nach: »Der ist echt lecker geworden.«

In dem Stil geht es weiter: Wann habe ich mir ein Ziel gesetzt und es erreicht? »Heute Morgen. Ich wollte aufstehen. Das war hart, aber ich habe es hingekriegt.« Ich gebe noch an, dass ich überhaupt alles schaffe, was ich mir vornehme, und aus Fehlern nichts gelernt habe, weil ich bisher noch keine gemacht habe. Aber das könnte ich ja jetzt im neuen Job versuchen.

Ich bin heute Morgen aufgestanden, bravo

Nun kann ich die Fragen und Antworten als Texttranskription in der Übersicht betrachten und mir anzeigen lassen, wo ich welche Erwartungen bedient habe: Habe ich konkrete Beispiele genannt? Über Resultate gesprochen? Neue Gesprächsthemen gesetzt? Fachliche Bereiche abgesteckt? Interessengebiete und »lessons learned« erwähnt?

Dass ich ein Genie bin – geschenkt, das findet der Bot ebenso herzlich uninteressant (»no talking points detected«) wie meine Backkünste. Allerdings findet der Apfelkuchen lobende Erwähnung, weil er so schön konkret ist – und auch, dass ich es geschafft habe, aufzustehen, ist positiv unterlegt: immerhin ein Resultat eigener Anstrengung.

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Ich versuche es gleich noch einmal, diesmal entscheide ich mich für eine Karriere im IT-Support. Ich haue der KI die übelsten Vorurteile um die Ohren: Meine bevorzugte Arbeitsweise? In einer Höhle. Allein. Der Pizzabote darf aber kommen. Was ich von meinem nächsten Job erwarte? »Money for nothing and chicks for free.« Der Bot quittiert das mit »Got it. Thanks for sharing.«

In der Analyse wird auch untersucht, ob man bestimmte Wörter besonders häufig verwendet – das müsse aber nicht zwangsläufig schlecht sein, wird erläutert. Konkrete Angaben mag die KI. Bei meinem Dire-Straits-Zitat sieht sie abermals keine »talking points« – so kommen wir nicht ins Gespräch. »Lessons learned« gibt es für mein Bekenntnis, mich wie ein Idiot gefühlt zu haben, als ich einen Rechner reparieren wollte.

Gute Übung, schlechte Idee

Mir ist schon klar, dass es wohlfeil ist, sich über absurde Dialoge mit Bots lustig zu machen. Fairerweise muss man sagen: Gerade wenn man keine englische Muttersprachlerin ist, ist die Dialogübung gar nicht so schlecht. Auch die Einladung, die eigenen Antworten zu überarbeiten, neu zu formulieren, darauf zu achten, welche Inhalte man wo einflechten kann, kann man als sinnvolles Angebot nutzen und versuchen, mal etwas von sich zu erzählen. Man kann sich auch alle gut 40 Fragen zum jeweiligen Arbeitsfeld anzeigen lassen und selbst wählen, mit welcher man sich beschäftigen möchte – oder nur die technischen, die situativen und die Background-Fragen auswählen.

Allerdings, und das ist ein großes Allerdings, reproduziert die Art des Trainings genau das, was im Arbeitsleben oft schrecklich schiefläuft. Ob jemand sich fachlich eignet, das kann eine KI ganz gut herausfiltern, wenn man sie schlau entwickelt. Aber ein noch so gutes Fragen-Set ist dann sinnlos, wenn dahinter kein echtes Interesse steht – oder es gar gilt, Bewerber in kommunikative Fallen zu locken.

Es lässt tief blicken, dass im Netz jede Mengen Anleitungen kursieren, wie man Googles Einstellungsprozess meistern kann, der als besonders anspruchsvoll gilt. Auf der eigenen Karriereseite der Firma  findet sich die Empfehlung, sich mit fünf Fragen auseinanderzusetzen:

  • Was haben Sie gelernt, das alles, was danach kam, einfacher gemacht hat?

  • Haben Sie mehr Erfolge durch individuelle Anstrengung oder durch Teamarbeit erreicht?

  • Was mögen Sie lieber: Probleme lösen oder die Diskussion weiterbringen?

  • Was war der befriedigendste Job, den Sie je hatten, und warum?

  • Beschreiben Sie das beste Team, mit dem Sie je gearbeitet haben. Was war so außergewöhnlich daran?

Das sind alles gute Fragen. Die Leute bei Google sind ja auch nicht blöd. Es lohnt sich, sich damit auseinanderzusetzen, sei es allein oder im Dialog – und auch die Übungsfragen des »Interview warmup«-Tools sind interessant. Aber alle Fragen sind sinnlos, wenn reines Kalkül dahintersteckt.

Es ist nicht leicht, das ungute Gefühl zu lokalisieren, das die KI hervorruft. Ich glaube, es liegt am ehesten daran, dass die smarte Datenanalyse der Antworten eine Selbstoptimierung fördert, die einen nicht zu einem besseren Kollegen machen würde. Sie ist eine Art Windkanal, der eine Karriere-taugliche Stromlinienform als erstrebenswertes Resultat generiert. Am Ende sitzen sich dann zwei Bots gegenüber, die einander optimierte Fragen und Antworten liefern.

Ich würde mir lieber von der Person, die mich einstellen will, einen Kaffee anbieten lassen und in ein echtes Gespräch kommen, getragen von gegenseitigem, offenem Interesse. Ich würde ihr erklären, warum ich im Arbeitsleben lieber Tee möchte, und ja, dieses feinsinnige französisch-deutsche Wortspiel ist Absicht.

Aber das hätte eine KI nie erkannt, weil sie keinen Humor hat.

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