
Tipps von der Karriereberaterin Meine Kollegen verzetteln sich in Rechthabereien


Sybille, 42 Jahre, Architektin, fragt: »Meine Kollegen streiten ständig darum, wer recht hat, das nervt nicht nur kolossal, sondern sorgt für ein ungesundes Konkurrenzverhalten, das die Arbeitsprozesse massiv stört. Die Führungskräfte meinen aber, es sei alles in bester Ordnung und Konkurrenzdenken wäre ein guter Antrieb. Unfassbar, dass erwachsene und (eigentlich) intelligente Fachleute tagesfüllend versuchen, ihr Gegenüber ins Unrecht zu setzen. Ich will mich nicht hereinziehen lassen. Doch ich würde Ihre Antwort sehr gern mit meinen Kollegen teilen, um hier für Ruhe zu sorgen!«
Stephanie Huber arbeitet als Mediatorin mit dem Schwerpunkt Wirtschaftsmediation und Konfliktmanagement, seit sie 2013 ihr Unternehmen verkauft hat – und dabei die Erfahrung machte, dass es Situationen gibt, in denen Worte nicht reichen, um vom Gegenüber verstanden zu werden. Dadurch angespornt fand sie ihre Berufung, Menschen aus Konflikten und Krisen zu führen.
Liebe Sybille,
eine kluge Entscheidung, dass Sie sich nicht einmischen möchten und eine gute Idee, Ihren Kollegen mit diesem Beitrag zu antworten. Auch für Führungskräfte sind solche Situationen undankbar, weil sich unter Umständen eine der Parteien bestätigt fühlt, die andere sich jedoch als ungerecht behandelt empfindet.
Bevor wir klären, wie man mit einem Rechthaber umgehen, widmen wir uns der Frage, was Recht und Unrecht tatsächlich sind.
Die Ampel ist rot oder grün, ist objektiv. Jedoch bereits die Frage, bei welcher Farbe darüber gefahren wurde, ist meist eine subjektive Wahrnehmung. Sie wird heutzutage nicht mehr dem bloßen Auge, sondern modernen Blitzern überlassen, die akkurat den wirklichen Status quo bestimmen und damit objektiv sind.
Fragen Sie hingegen fünf Fußgänger, bei welcher Farbe der Autofahrer über die Ampel gefahren ist, wenn diese gerade von Grün auf Rot umschaltet, werden Sie vielleicht unterschiedliche Meinungen hören. Und es kann eine Diskussion über Recht und Unrecht entbrennen. Wenn Sie wissen, dass der Fahrer des blauen Autos bereits mehrfach den Führerschein abgeben musste, weil er viel zu aggressiv unterwegs war, werden Sie ihn eher als Verkehrsrowdy betrachten. Wüssten Sie hingegen, der Herr in dem blauen Auto ist der gesetzestreueste Mensch, den man sich nur vorstellen kann, dann könnte auch diese Vorinformation Ihre Sichtweise beeinflussen.
Wie oft glauben wir, unsere subjektive Sichtweise sei ultimativ richtig und behaupten felsenfest im Recht zu sein? Wie oft beharren wir starr auf unserer Meinung und sind sogar bereit, das Gegenüber ins Unrecht zu setzen? Warum streiten sich Menschen über unterschiedliche Meinungen und Sichtweisen? Vielleicht, weil es subjektive Ansätze gibt? Sollten wir – anstatt über solche »unklärbaren« Dinge zu streiten – nicht einfach lernen zu akzeptieren, dass es unterschiedliche Meinungen gibt?
Die wenigsten Dinge sind als objektiv zu betrachten
Die meist sinnlose Diskussion über Recht und Unrecht kann unendlich geführt werden, außer eine der Parteien gibt nach. »Du hast recht und ich habe meine Ruhe!« Wer kennt ihn nicht, den Spruch, der in aller Regel von einem süffisanten Lächeln begleitet wird.
Es ist schon was dran: Wenn wir nicht auf unserem Recht beharren, dann bekommen im Gegenzug unsere Ruhe. Dennoch taugt der Ansatz nicht dafür, einen Konflikt über Recht oder Unrecht zu vermeiden, sondern schafft auf beiden Seiten eine ungute Stimmung. Es ist anzunehmen, dass sich daraus ein schwelender Konflikt entwickelt, der offenbleibt wie ein Schnürsenkel. Wir wissen um das Risiko von offenen Schnürsenkeln beim Laufen: Irgendwann werden wir darüber stolpern.
Warum streiten wir tatsächlich über ambivalente Meinungen?
Eine Variante ist, dass das Gegenüber unseren Gerechtigkeitssinn und unsere Werte verletzt und wir uns verteidigen. Oder die eigene Meinung irrtümlich als objektiv betrachtet wird.
Hinter jedem Konflikt steckt ein unerfülltes Bedürfnis oder Interesse. Und diese äußern sich über Gefühle. Würde jeder Mensch für seine eigenen Gefühle Verantwortung übernehmen, anstatt andere für das eigene Leid verantwortlich zu machen, wäre die Frage um Recht und Unrecht beendet.
Wie wir versuchen, recht zu bekommen
In aller Regel werden wort- und trickreich Argumente aufgeführt, Daten und Fakten zitiert, doch eben nur jene, die die eigene Meinung unterstreichen. Wie oft haben Sie in solch einem Fall Ihrem Gegenüber aufmerksam zugehört und danach zugegeben, dass er im Recht ist und Sie im Unrecht waren? Und wie oft haben Sie sich gedacht, er kann sich seine ganze wortreiche Ausführung sparen, weil Sie sowieso nicht bereit waren zuzuhören? Bei einem Streit über Recht oder Unrecht gibt es einfache Fragen, die man sich selbst stellen sollte, anstatt sich einen Schlagabtausch zu liefern:
• Was hat das mit mir zu tun?
• Was ist das Ziel dieses Konfliktes?
• Worum geht es wirklich?
Wie oft werfen wir dem Gegenüber vor, er würde auf seinem Recht beharren und merken dabei überhaupt nicht, dass wir genau dasselbe tun – sonst gäbe es schließlich keinen Gegenpart. Was ist so schwer daran, sich einfach darauf zu einigen, in dieser Angelegenheit unterschiedlicher Meinung zu sein – und es auch sein dürfen, jedenfalls dann, wenn es sich nicht um wichtige Themen oder Fragen handelt. Weil leider viel zu oft die wertvolle Lebenszeit dafür vergeudet wird, sich über subjektive Meinungen zu streiten.
Wenn Sie es mit einem notorischen Besserwisser zu tun haben und es leid sind, seine Belehrungen über sich ergehen zu lassen, hilft ein einfacher Trick: Respektvoll ignorieren. »Ach, so ist das? Ja, könnte so sein…« – Hören Sie respektvoll zu und wenn es die Situation zulässt, zeigen Sie dem Rechthaber, dass Sie kein Interesse an seiner Meinung haben.
Liebe Sybille, leider merken die Beteiligten oftmals nicht, dass sie einen unnützen Streit führen, vor allem dann, wenn diese Art der Auseinandersetzung längst zur Alltagsroutine geworden ist. Probieren Sie doch einmal diese einfache Idee aus: Schneiden Sie eine Ampel aus. Jedes Mal, wenn Ihre Kollegen wieder anfangen, sich darüber zu streiten, wer recht hat, halten Sie die Ampel hoch. Das macht die Kollegen auf ihr Verhalten aufmerksam. Vielleicht zeigen Sie ihnen auch die rote Ampel, die ihnen mitteilen soll: Diese Diskussion ist sinnlos. Eine grüne Ampel könnte heißen: Lasst uns gemeinsam über dieses wichtige Thema sprechen, anstatt einen unstrukturierten Schlagabtausch zu liefern, bei dem niemand zuhört. Machen Sie die grüne Ampel zu einer Teamaufgabe, so kann der Konflikt das Team konstruktiv zusammenschweißen. Viel Erfolg und alles Gute!