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Journalisten als Gründer: Geld vom Schwarm

Foto: Tinka und Frank Dietz

Journalisten werden Gründer "Ich will doch nur arbeiten, ihr Penner!"

Die Medienbranche ächzt und bröckelt, Redaktionen werden geschlossen, Festangestellte gekündigt. Deshalb definieren viele Journalisten ihren Job neu. Sie finanzieren Recherchen mit Hilfe des Internets oder werden kurzerhand selbst Medienmogule.

Sie schauen den ganzen Tag auf Lastenschiffe, Kräne und bunt gestapelte Frachtcontainer. Denis Dilba und Georg Dahm haben gerade ihr neues Büro an der Elbe in Hamburg bezogen. Die nächste Bushaltestelle: Kreuzfahrtterminal. Die beiden Journalisten sind gelandet. Seit neuestem steht in ihrer E-Mail-Signatur "Medienmogul".

Die Journalisten haben sich als Unternehmer neu erfunden. Sie bauen gerade ihr eigenes digitales Wissenschaftsmagazin auf, das über eine App gelesen werden soll. Der anspielungsreiche Name: "Substanz" .

Die beiden repräsentieren damit ein Umdenken, das sich unter Journalisten breit macht. In den vergangenen 18 Monaten gab die Nachrichtenagentur DAPD auf; der Verlag Gruner + Jahr macht mehrere Zeitschriften dicht und kündigte auf einen Schlag mehr als 300 Redakteuren; die "Frankfurter Rundschau" ging pleite. Und das sind nur die großen Namen.

Seit dieser Pleitewelle versuchen viele Medienleute, ihren Job neu zu definieren. Die einen kehren der Branche ganz den Rücken, die anderen starten ihr eigenes Medienunternehmen. Und machen sich mit der gleichen Ernsthaftigkeit, mit der Verlage nach neuen Erlösmodellen für ihre Produkte fahnden, Gedanken über Finanzierungsstrategien.

Nicht noch mal sechs Monate Herzblut verschwenden

So wie Dilba und Dahm. Der eine ist Mitte 30, der andere Anfang 40, zusammen haben sie im Laufe eines Vierteljahres drei Medienpleiten erlebt. Zuerst wurde die "Financial Times Deutschland" eingestellt, für die beide arbeiteten, dann folgte das Aus beim Wissenschaftsmagazin "New Scientist", bei dem beide Ressortleiter waren. Der deutsche "New Scientist" war ein Projekt der SPIEGEL Gruppe, die auch SPIEGEL ONLINE und manager magazin produziert.

Dahm erinnert sich, dass er erst mal frustriert rief: "Ich will doch nur arbeiten, ihr Penner!" Er hatte genug. "Der Glaube an die Branche war weg." Er hatte mehrere Jobangebote, sogar als Chefredakteur, aber merkte dann: "Ich kann nicht noch einmal sechs Monate Herzblut in ein Projekt stecken und dann macht mir wieder jemand den Laden zu." Nach zwei Stunden Spaziergang rief er seinen Kollegen Dilba an: Sie würden einfach zusammen etwas Neues aufziehen. Allein, selbständig. Dann folgte das Übliche: Businessplan, Gründercoaching, Bankkredit - und ihre Crowdfunding-Seite, auf der sie um Finanziers werben.

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Selbständig in den Medien: Freie Journalisten als Niedriglöhner

Foto: SPIEGEL ONLINE

Dass Crowdfunding auch für Journalisten eine Finanzierungsvariante und zugleich Werbung fürs neue Produkt ist, ist symptomatisch für den Wandel der neuen Unternehmerjournalisten. Der Berliner Sebastian Esser hat im Januar 2013 eine Plattform gegründet, die nur für journalistische Ideen gedacht ist. Seine Bilanz nach einem Jahr "Krautreporter ": "Bevor wir angefangen haben, war diese Art der Finanzierung für Journalisten kaum eine Option. Jetzt ist es auf einmal für viele eine realistische Variante."

Eine Festanstellung würde er sich gut überlegen, sagt er. Drei neue Projekte gehen im Schnitt pro Monat online. Von einem Boom wolle er zwar nicht sprechen, sagt Esser. Aber als Freier sei man heute in einer besseren Ausgangsposition angesichts der nebligen Zukunft. Eine Journalismuskarriere zu beginnen und zu glauben, es laufe einfach weiter wie bisher, hält er für naiv. Das wäre, sagt er, "als würde man heute eine Ausbildung in einer Videothek anfangen".

Anders gesagt: Die Verantwortung liegt in der Hand der Freien, es hilft nicht, darauf zu warten, dass die Branche von Verlagen oder Sendern gerettet wird. "Über die Zukunft des Journalismus wird immer nur gequatscht", sagt Esser, "mittels Crowdfunding kann man die Sache selbst in die Hand nehmen."

Törtchen von der Wirtschaftsjournalistin

Auch die Journalistenschulen haben verstanden. Jörg Sadrozinski, Leiter der Deutschen Journalistenschule (DJS) in München, sagt: "Die Absolventen sind angstfreier als noch vor ein paar Jahren. Sie sagen: Wir haben genug von der Schwarzmalerei." Sie seien durchaus realistischer geworden, wüssten, was sie erwartet. Etwa 70 Prozent seiner Abgänger arbeiten erst mal frei, erzählt Sadrozinski, die Schule reagiere darauf: "Wir haben vor anderthalb Jahren unter anderem Workshops zu Selbstmarketing mit ins Programm genommen." Der Fokus bleibe das klassische journalistische Handwerk: "Es macht schließlich keinen Sinn, alles über Bord zu werfen und nur noch Programmierer auszubilden."

Aber es gibt auch die, die ihren Glauben an die Branche komplett verloren haben. Da ist die Hörfunkredakteurin, die nun in Suppen macht, die Wirtschaftsjournalistin, die nun Törtchen verschickt. Oder der Hamburger Michalis Pantelouris, der für große Magazine schrieb und seit einem halben Jahr für einen Olivenölhändler arbeitet. "Mir geht es super. Noch viel besser als ich es erwartet hätte", erzählt er. Anders als ehemalige Kollegen, die in dieser Lebensphase eher gelangweilt seien, fühle er sich manchmal fast ein wenig überfordert. "Man ist plötzlich Berufsanfänger", sagt Pantelouris. "Nach 15 Jahren habe ich zum ersten Mal das Gefühl, ich bin in meinem Job nicht sonderlich gut. Da lernt man Demut."

Ob es Unternehmerjournalisten sind oder Journalisten, die Unternehmer jenseits der Medien werden: Allesamt sind sie Anfänger. Und hatten Mut zum Risiko, den längst nicht alle aufbringen. "Viele sagen: Ich habe zwar eine Idee, aber ich traue mich nicht", schildert Dahm Reaktionen von Kollegen, als sie von "Substanz" erzählten. "Wir zeigen anderen, dass sich etwas bewegt", sagt Dilba.

Allein der Name ihres Unternehmens ist Inspiration genug: "Fail Better", besser scheitern. Das ist zwar ein Samuel-Beckett-Zitat, aber eigentlich reine Evolutionstheorie. Dahm hat Humanbiologie studiert. Er weiß, dass man sich einer sich verändernden Umwelt anpassen muss, um zu überleben.

Foto: privat

KarriereSPIEGEL-Autorin Anne Haeming (Jahrgang 1978) ist freie Journalistin in Berlin.

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