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Junge Juristen Auslaufmodell autistischer Aktenfresser

Halbtagsarbeit, Erziehungsurlaub, Work-Life-Balance: Eine neue Generation strömt in die Großkanzleien - Jungjuristen, die ein Leben neben der Arbeit wollen und nicht mehr ihre Seele verkaufen. Die Arbeitgeber kommen ihnen entgegen, die Berufskultur wandelt sich, wie eine Studie belegt.
Junge Juristin (in Hamburg): Balance zwischen Arbeit und Privatleben gesucht

Junge Juristin (in Hamburg): Balance zwischen Arbeit und Privatleben gesucht

Foto: DDP

Robert Wethmar gehört noch zur alten Garde, eine "Silberlocke", wie er selbst sagt. Mit seinen 49 Jahren, als Partner der Großkanzlei Taylor Wessing in Hamburg, verkörpert er den alten Karrieretypus unter den Juristen: Gute Noten, der Einstieg bei einer namhaften Kanzlei - und dann setzte er alles daran, schnell Partner zu werden.

"Ein solches Karriereverständnis wird in Zukunft seltener", sagt Wethmar. Und da er sich schon eine Weile mit dem Thema beschäftigt, fügt er hinzu: "Das muss überhaupt keine Verschlechterung darstellen."

Das ist ein wichtiger Zusatz, denn die Juristengeneration, die sich derzeit bei den Kanzleien bewirbt, ist verschrien. Leute, die gern abends schon um 18 Uhr Schluss machen sind das. Die sich nicht mehr für die Karriere ein Bein ausreißen. Die von Work-Life-Balance sprechen, von Halbtagsarbeit, Erziehungsurlaub und all dem anderen neumodischen Zeugs.

Gerade hat Wethmar an einer Studie über diese Generation mitgewirkt, die Taylor Wessing bei der Kanzleien-Beratung Temporal Tanja in Auftrag gegeben hatte. Es geht um Juristen, die zwischen 1979 und 1994 geboren sind, sogenannte Millenials. Befragt wurden sie in den 50 größten Kanzleien Deutschlands. Wethmar kommt nicht umhin, eine Lanze für die Jungen zu brechen: "Man kann ihnen wirklich keinen Mangel an Ehrgeiz bescheinigen", sagt er. "Viele weigern sich nur, ihre Seele zu verkaufen."

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Im Überblick: Was junge Juristen von den Kanzleien erwarten

Foto: Taylor Wessing/Temporal Tanja Consulting/SPIEGEL ONLINE

Einige Passagen der Studie lesen sich wie die Beschreibung einer unbekannten Spezies in einem "Was-Ist-Was"-Buch: "Millenials unterscheiden sich von älteren Rechtsanwälten fundamental in ihren Wünschen, Interessen, Prioritäten und Loyalitäten. Sie lernen anders, möchten anders arbeiten und halten andere Dinge im Leben für wichtig."

Altes Modell: Partner wird man nicht halbtags

So gaben 96 Prozent der befragten Junganwälte an, ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Arbeit und Privatleben wichtig zu finden. Ebenso viele stimmten dem Satz zu: "Weniger Arbeit bedeutet nicht automatisch weniger Ehrgeiz." Und immer noch 83 Prozent zeigten sich bereit, weniger Gehalt in Kauf zu nehmen, wenn sie ihre Stundenzahl tatsächlich verringern könnten.

Den meisten Arbeitnehmern in Deutschland dürften solche Einsichten ein Achselzucken entlocken: Das ist doch nur vernünftig und gesund. Aber in der Mehrheit der Kanzleien war es früher eher die Ausnahme, das solche Bedürfnisse offen ausgesprochen wurden. Das Rollenmodell war das des nimmermüden Aktenfressers, der sich für Geld und Karriere sonstwas aufreißt.

So erinnert sich auch Wethmar: "Wer früher nicht angestrebt hat, bald Partner in seiner Kanzlei zu werden und damit unternehmerische Verantwortung zu übernehmen, der wurde komisch angeguckt." Man kann hinzufügen: Partner wird man nicht halbtags oder mit zwei Kindern auf dem Schoß.

Doch nach der Studie, für die 50 Kanzleien in Deutschland befragt wurden, stellt er fest: "Das ändert sich gerade." Inzwischen bringt man auch solchen Juristen Wertschätzung entgegen, die sich für einen anderen Karriereweg entscheiden.

Auch Behörden buhlen erfolgreich um Top-Juristen

Ähnlich sieht es Frank Diem, der als Präsident der Stuttgarter Rechtsanwaltskammer die Lage in vielen Kanzleien kennt. Selbst seit 1994 Partner einer mittelständischen Kanzlei, beobachtet er den Wandel im eigenen Haus: "Wer im Servicebereich arbeitet muss sich nicht mehr schämen." Es hat sich herumgesprochen, dass die Teams, die hinter den Kulissen recherchieren und den "Frontleuten" zuarbeiten, entscheidend zum Erfolg beitragen.

Was ändert sich, warum kommt der neue Typ Anwalt allmählich in den Kanzleien an? Gute Leute werden knapper. Wethmar sagt, die demografische Entwicklung spiele hier eine Rolle. Wichtiger sei aber noch, dass in den vergangenen zehn Jahren die Kanzleien eine verschärfte Konkurrenz durch staatliche Stellenangebote für Juristen erfahren. "Im mittleren und höheren Dienst deutscher Behörden gibt es ausgesprochen attraktive Aufgaben. Die geringeren Gehälter werden teilweise aufgewogen durch familienfreundliche Arbeitszeiten und eine gute Altersabsicherung." Ähnliches gelte für viele Juristenstellen in Unternehmen.

Selbst Traditionskanzleien sind plötzlich in der Verlegenheit, sich um den Nachwuchs kümmern zu müssen. Das deutlichste Zeichen dafür ist, dass immer mehr von ihnen Fachleute fürs Personalmanagement anheuern. Sie sollen vermitteln zwischen den Bedürfnissen gefragter Juristen und der Anwaltsarbeit, wo Mandanten schnell und zu den unmöglichsten Zeiten belastbare Antworten erwarten.

Paradoxe Situation am Arbeitsmarkt

Aus Sicht der Junganwälte schwindet die Perspektive, für den harten Einsatz später als Partner üppig entlohnt zu werden. "Hier setzt der Markt Grenzen", sagt Frank Diem. Von 2000 bis 2008 ist die Zahl der erwerbstätigen Juristen in Deutschland um 23 Prozent gestiegen. Da bleiben nicht für jeden die Gewinne, wie sie mancher Altgediente noch aus den Wirtschaftswunderjahren kennt. Diem: "Das sehen viele junge Kollegen ein Stück weit realistischer als es mancher Arbeitgeber im Hinblick auf eine vorbehaltlose Hingabe vielleicht gerne hätte."

So entsteht eine paradoxe Situation: Einerseits werden die Spitzeneinkommen seltener, die früher für viele Anwälte ein Grund waren, sich über Jahre zu schinden. Andererseits fällt den großen Kanzleien die Suche nach Spitzenkräften zunehmend schwer. Theoretisch müssten dann die Gehälter steigen, doch der scharfe Wettbewerb um die Mandanten lässt das kaum zu. Also gehen viele Kanzleien dazu über, die Beschäftigung selbst attraktiver zu gestalten: flexibler, mit verträglicheren Arbeitszeiten, familienfreundlicher.

Im Arbeitsalltag wird das Einzelkämpfertum, für das Juristen bekannt sind, kritisch hinterfragt. Die Arbeit mehrerer Halbtagsarbeiter lässt sich im Team leichter organisieren. Gleichzeitig entspricht das der gewünschten Arbeitsweise der Millenials, denn so kann jeder nach seinen Stärken eingesetzt werden und ist nicht für alle Aspekte eines Problems zuständig - 73 Prozent der Befragten sehen das als erstrebenswertes Schlüsselprinzip an.

Und wer bekommt den höheren Bonus?

Solch ein Umbruch birgt Konfliktpotential. Denn selbstverständlich gibt es die notorisch nachtarbeitenden Einzelkämpfer weiterhin. Frank Diem schätzt, dass die "Aktenautisten" etwa die Hälfte der Kanzleianwaltschaft ausmachen, Tendenz langsam fallend. Denen muss man nun erklären, warum zwei Kollegen im Nachbarbüro keine Telefonate mehr nach Kita-Schluss annehmen.

Auch hier müsse das Personalmanagement ganze Arbeit leisten, sagt Wethmar. Als Vermittler, die für Verständnis in den Kanzleien werben, nicht zuletzt bei den Partnern. Die Zugeständnisse, die auch die Millenials den Kanzleien machen, seien dann wichtig. Da nennt Wethmar an erster Stelle eine ungewöhnliche Flexibilität. Sind die Kinder erst im Bett, werde oft noch stundenlang mit Mandanten telefoniert. Die hätten damit meist gar kein Problem - viele von ihnen sind selbst Eltern.

"Bei uns gibt es immer wieder Diskussionen darüber, nach welchem Modell Bonuszahlungen verteilt werden", erinnert sich Wethmar an die Vermittlungsarbeit zwischen den verschiedenen Anwaltscharakteren. Nach wie vor ist die Höhe der Boni bei Taylor Wessing an den Kanzleierfolg geknüpft; alle profitieren gleichermaßen. Manche arbeitswütige Nachteule fragt zwar, ob das geleistete Pensum nicht auch eine Rolle spielen müsse, weil das dann gerechter sei. Doch bislang hat sich diese Sicht nicht durchsetzen können.

"Wir verstehen uns als Solidargemeinschaft", sagt Robert Wethmar. Von den Leistungen der unterschiedlichen Anwaltstypen, auch von der besonderen Teamfähigkeit der Millenials, profitierten letztlich alle. Will man mit leistungsabhängigen Boni den Wettbewerb unter den Mitarbeitern anstacheln, vergiftet das nur das Klima: "Auf lange Sicht hätten wir davon nichts."

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