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Junge Juristen in Nöten Wettbewerb aus der Wohnzimmerkanzlei

Wer als Jura-Absolvent nicht mit Bestnoten glänzt, braucht starke Nerven beim Berufsstart: Der Arbeitsmarkt gibt vor allem Dumping-Jobs her. Und die eigene Kanzlei kann Junganwälten mehr Sorge als Freude bereiten - denn viele dümpeln lange an der Hartz-IV-Grenze und scheitern am Ende.
Kanzlei an ungewohnter Stelle (in einer Kasseler Markthalle): Existenzgründer müssen Mandanten dort suchen, wo es die Mitbewerber nicht tun

Kanzlei an ungewohnter Stelle (in einer Kasseler Markthalle): Existenzgründer müssen Mandanten dort suchen, wo es die Mitbewerber nicht tun

Foto: Uwe Zucchi/ picture-alliance/ dpa/dpaweb

Es war ein Zufall, der Roderic Ortner, 35, zur Gründung einer Rechtsanwaltskanzlei für Raumfahrtrecht führte. Im Sommer 2008 war Ortner noch angestellt bei einer internationalen Sozietät in München und traf auf der Straße einen ehemaligen Referendarskollegen. Rasch stellten sie fest, dass sie in benachbarten Gebieten tätig waren, Ortner im IT- und Vergaberecht, sein Kollege als Berater für Unternehmen der Luft- und Raumfahrt sowie Telekommunikation.

"Dann ging alles recht schnell", erinnert sich Ortner. Im Dezember 2008 gründeten sie zusammen mit einem weiteren Kollegen die Kölner Kanzlei "BHO Legal" - und erzielten bereits im zweiten Jahr einen Pro-Kopf-Umsatz "fast wie in einer Großkanzlei".

Dafür erhielten Ortner und seine Partner - allesamt Juristen mit Prädikatsexamen, aber ohne Lust auf das Berufsleben in einer Großkanzlei - beim Gründerwettbewerb des Kölner Soldan-Instituts den ersten Preis. "So etwas muss erst einmal im Wettbewerb der Kanzleien gelingen", sagte Institutsdirektor Christoph Hommerich in seiner Laudatio.

"Wir haben auch Glück gehabt", gibt Ortner zu, "wir sind schon mit einem Risiko reingegangen." Im ersten halben Jahr nach der Gründung passierte nämlich: gar nichts. Dann entschied sich ein namhaftes Verkehrsunternehmen, für das er schon zuvor gearbeitet hatte, für den jungen Anwalt und gegen dessen ehemalige Kanzlei; auch seine Partner konnten jetzt größere Mandate akquirieren, etwa von einem Bieterkonsortium für die Ausschreibung des Satellitennavigationssystems Galileo. "Seither kennt uns auf diesem Gebiet jeder", sagt Ortner.

Vertrauen Sie mir, ich bin Anwalt

Der Markt für Raumfahrtrecht ist fein, aber klein - das "Brot- und Buttergeschäft" der Kanzlei liegt deshalb in Rechtsgebieten wie dem Vergaberecht. "Mehr als die Hälfte meiner Arbeitszeit bin ich nicht mit Juristerei, sondern nur mit Marketing beschäftigt", so Ortner. "Es ist schon gut, wenn man ein Netzwerk hat, aber man muss es auch beständig pflegen und ausbauen." Genau das aber sei für Kanzleigründer der Schlüssel zum Erfolg, sagt Anwaltsmanagement-Experte Hommerich: ein geeignetes Marktsegment, dazu "eine Zielgruppe mit möglichst homogenen Interessen und einer hohen Binnenkommunikation".

Kanzleigründung als Notlösung

Für viele Junganwälte leichter gesagt als getan: So ein Netzwerk entsteht meist in Jahren praktischer Tätigkeit. Nicht wenige junge Juristen tun sich aber bereits schwer damit, eine Festanstellung zu finden - darum ist die Kanzleigründung unmittelbar nach dem Referendariat allzu oft eine unfreiwillige Entscheidung.

In einer Studie Hommerichs gaben 42 Prozent der befragten Kanzleigründer an, sie seien nur deshalb selbständig, weil sie keine Stelle bekamen. "Bei der großen Schar derer, die mit einem nicht so guten Examen aus dem Referendariat herauskommen, ist ganz klar, dass sie auf dem Arbeitsmarkt Schwierigkeiten haben", sagt Bernhard Kempen, Präsident des Deutschen Hochschulverbandes (DHV).

Ab der Note "Vollbefriedigend", die nach Schulnoten einer Zwei entspricht, hat man in aller Regel die Wahl zwischen einer Karriere als Richter und einer Stelle in einer Top-Kanzlei. Doch dieses "Große Prädikat" erreicht im Zweiten Staatsexamen nur gut jeder fünfte erfolgreiche Absolvent. Wer auch keinen Job in Verwaltung oder Wirtschaft findet, dem bleibt - jedenfalls zunächst - meist nur der Anwaltsberuf.

100.000 Euro in Top-Kanzleien, 5000 Euro für junge Gründer

Axel Filges, Präsident der Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK), müsste eigentlich froh sein über jedes neue Pflichtmitglied. Tatsächlich freut er sich über den rückläufigen Trend: "Es findet momentan eine gewisse Bereinigung und Beruhigung statt. Anwalt ist ein toller Beruf, aber die jungen Leute dürfen sich keine Illusionen darüber machen, was auf sie zukommt."

Auf sie zu kommt ein extrem geteilter Arbeitsmarkt; noch immer entscheiden vor allem die Examensnoten über den weiteren Werdegang. Wer keine Festanstellung findet, muss sich als freier Mitarbeiter einer Kanzlei zu deutlich schlechteren Konditionen verdingen. Oder selbständig machen, ob als Einzelkämpfer oder in einer Bürogemeinschaft mit - je nach Sicht - Gleichgesinnten oder Leidensgenossen.

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Hungertuch-Alarm: Was Junganwälte verdienen

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Nach einer Studie des Nürnberger Instituts für freie Berufe (IFB) fanden zuletzt immerhin zwei Drittel eine Festanstellung in einer Sozietät oder als Syndikus-Anwalt in der Rechtsabteilung eines Unternehmens. Zwölf Prozent aber wurden nur freie Mitarbeiter, 20 Prozent machten sich - nolens volens - selbständig.

Beim Verdienst ist die Bandbreite extrem: Top-Kanzleien locken Berufseinsteiger teils mit Jahresgehältern von 100.000 Euro. Dagegen lagen 2009 die Bruttoeinkünfte angestellter Anwälte im ersten Berufsjahr laut IFB bei durchschnittlich 3100 Euro im Monat, die der freien Mitarbeiter bei 1700 Euro.

Gründer erzielten bei einem Monatsumsatz von im Schnitt 1600 Euro nur 400 Euro Gewinn - erst im dritten Berufsjahr kamen sie im Schnitt auf 2800 Euro Umsatz und 1500 Euro Gewinn. Wenig überraschend gaben zwei Drittel der Junganwälte an, beim Start in die Selbständigkeit nebenher jobben oder von Zuwendungen ihrer Angehörigen und Freunde leben zu müssen.

"Die Situation als angestellter Anwalt oder Syndikus ist meist zufriedenstellend", sagt Kerstin Eggert, Mitautorin der Studie. Sorgen machen müsse man sich um die freien Mitarbeiter. Sie bezahlen ihre soziale Absicherung meist selbst - und ihnen gelingt der Sprung in die Festanstellung ebenso schwer wie in eine echte Selbständigkeit. Bei den Gründern zeichnet Eggert ein gemischtes Bild, Tendenz: "Diejenigen, bei denen es schon langsam anläuft, haben es schwer, überhaupt noch in die Gänge zu kommen."

"Manchen Kollegen geht es wirklich dreckig"

Vor allem Selbständige mit einer wenig repräsentativen "Wohnzimmerkanzlei" - laut IFB jeder Dritte - haben es äußerst schwer, zumal die Kosten für Kammerbeitrag und Rechtsanwaltsversorgung selbst ohne Einnahmen auflaufen. Viele scheitern. Über 1400 Anwälte zwischen 27 und 39 Jahren gaben 2010 ihre Zulassung wieder zurück, so viele wie nie zuvor - und wohl nur die wenigsten, weil sie in den Staatsdienst oder in einen anderen lukrativen Beruf wechseln konnten.

Zu beruflichem Abstieg oder gar Arbeitslosigkeit kommen oft noch angehäufte Schulden. "Manchen gescheiterten Kollegen geht es wirklich dreckig", weiß Karsten U. Bartels vom Forum Junge Anwaltschaft des Deutschen Anwaltvereins (DAV), "nicht nur denen mit den schlechtesten Examen." Auch manche Anwälte, die aus einer sicheren Festanstellung den Schritt in die Selbständigkeit wagten, "schaffen es am Ende nicht mehr aus ihrer Wohnzimmerkanzlei heraus", so der Berliner Rechtsanwalt.

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Winkel-Advokaten: Die Spezialisten

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Die Bundesagentur für Arbeit beurteilte die Entwicklung bei den Juristen zuletzt als verhalten, in einem insgesamt positiven Akademikerarbeitsmarkt: Zwar stieg die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Juristen im Jahr 2009 an, ebenso aber die Arbeitslosigkeit, vor allem bei den unter 35-Jährigen. Unter allen Gründern erhalten besonders häufig Anwälte Zuschüsse der Arbeitsverwaltung. Mehr als die Hälfte vom IFB befragten Rechtsanwälte erhielt in den ersten Berufsjahren staatliche Transferleistungen - Wohn- oder Arbeitslosengeld, auch Hartz IV.

Kaum Ausbeutungshemmungen bei Arbeitgebern

Viele kämpfen bis zur Selbstausbeutung um eine Festanstellung. "Gerade aus attraktiven Ballungszentren", barmt der Oldenburger Rechtsanwalt Wolfgang Schwackenberg, der beim DAV Berufseinsteigerkurse gibt, "höre ich immer wieder von Entgelten weit unterhalb dessen, was berufsrechtlich zulässig ist." Die Dumping-Grenze liegt bei etwa 2000 Euro brutto - doch selbst dieses Niveau wurde nach IFB-Zahlen bei acht Prozent der angestellten Junganwälte im ersten Berufsjahr unterschritten; 42 Prozent bekamen weniger als 3000 Euro monatlich. Bisweilen verdienen Rechtsanwaltsgehilfinnen mehr als der Junganwalt - gutes Büropersonal ist gesucht, Anwälte dagegen suchen.

Manche Arbeitgeber nutzen die Notlage der Berufsanfänger ganz ungeniert aus. So inserierte ein Notar ausgerechnet auf der Homepage der Bundesagentur für Arbeit eine Stelle zu einem Gehalt "ein wenig" oberhalb der Unterhaltsbeihilfe für Referendare, also etwa 1250 Euro - der Bundesgerichtshof beurteilte dieses unmoralische Angebot prompt als standeswidrig. Oft sieht die Realität der meist nur scheinbar freien Mitarbeiter noch düsterer aus. Selbst manche scheinbar seriösen Kanzleien meinen Bewerber mit unter 800 Euro monatlich abspeisen zu können.

Um an Berufserfahrung zu kommen, sollen sich Anfänger mitunter gar auf Null-Euro-Jobs einlassen. Die mit Billigberatung auftrumpfende Anwaltskette "Juraxx" hatte von jedem Teilhaber sogar ein Einstiegsdarlehen von 50.000 verlangt und daraus wiederum deren Mindesterlös finanziert. Als sich nach starker Expansion nicht mehr genug zahlungskräftige Junganwälte einkaufen wollten, brach das System, das offenbar überwiegend nach dem Schneeballprinzip funktioniert hatte, mit einem Schlag zusammen.

Auch in anderen freien Berufen tun sich Berufsanfänger schwer, weiß IFB-Geschäftsführer Willi Oberlander. Der wichtigste Unterschied: Ärzte etwa fänden heute eine sehr gute Arbeitsmarktsituation vor, viele wanderten auch ins Ausland ab. Juristen, so Oberlander, "haben da schon aufgrund der Bindung ans deutsche Recht deutlich schlechtere Voraussetzungen".

"Großer Blutzoll bei Gründern"

Spezialisierung ist deshalb für Rechtsanwälte heute vielfach eine Bedingung für das berufliche Überleben. Inzwischen gibt es 20 Fachanwaltschaften, vom Straf- über das Familien- oder Medizinrecht bis zum Speditionsrecht. Die Möglichkeiten, durch "Spezialisierung in der Spezialisierung" (Filges) attraktive Schwerpunkte zu setzen, gehen noch weit darüber hinaus.

Doch ohne Berufserfahrung ist eine erfolgreiche Spezialisierung kaum zu machen. Zwar kann man in Fachanwaltskursen der Arbeitsagenturen das theoretische Rüstzeug bekommen. Aber wer den Titel Fachanwalt will, muss einschlägige Fälle nachweisen - das gelingt oft erst nach jahrelanger Tätigkeit. Auslandsaufenthalte, Aufbaustudiengänge oder zusätzliche akademische Titel sind für Absolventen mit mäßigen Noten "eine Chance, sich nochmals aufzutunen für den Arbeitsmarkt", so DHV-Präsident Kempen.

Heikel ist die Lage für alle, die nach dem Referendariat gleich auf eigenen Beinen stehen müssen, kaum auf den Berufsalltag vorbereitet. Manche schaffen es mit eigenen, pfiffigen Geschäftsmodellen. Auch Internetportale wie 123recht.net sind inzwischen eine ernstzunehmende Plattform, gerade für Berufseinsteiger ohne eigene Büroräume: Die Preise für den Rechtsrat wirken zwar im ersten Moment oft ausbeuterisch, können sich aber am Ende doch rechnen, wenn man an mögliche direkte Folgemandate sowie das damit verbundene Marketing denkt.

Axel Filges von der Bundesrechtsanwaltskammer jedenfalls macht klar: "Der originäre Gründer wird sich diese Zusatzerfahrung sehr mühsam und mit großem Blutzoll erarbeiten müssen." Dabei mache nicht allein der schwierige Arbeitsmarktzugang jungen Anwälten zu schaffen. Viele litten "mehr noch unter der ständigen Vorhaltung", so IFB-Geschäftsführer Oberlander, "in diesem Beruf eigentlich gar nicht gebraucht zu werden."

Dietmar Hipp ist SPIEGEL-Redakteur in Karlsruhe.

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