Auswanderer in Dänemark "Wollen Sie nicht lieber segeln gehen?"

Nyhavn Canal in Kopenhagen: Alles nicht so einfach, wie man denken könnte
Foto: REUTERSVielleicht liegt es auch an den Arbeitsbedingungen, dass die Dänen zu den glücklichsten Völkern der Welt gehören. Das Schlaraffenarbeitsland nördlich von Deutschland hat flache Hierarchien, eine gute Kinderbetreuung, humane Arbeitszeiten und eine sehr gute Bezahlung. Rund 31.000 deutsche Migranten leben in dem Königreich, nach türkischen Auswanderern stellen sie die zweitgrößte Ausländergruppe in Dänemark.
Doch es gibt auch Schattenseiten: Hohe Lebenshaltungskosten und Steuern und ein laxer Kündigungsschutz können deutsche Einwanderer verschrecken - wenn sie überhaupt erst einen Job ergattern konnten. Denn die Finanz- und Wirtschaftskrise ist auch an den Dänen nicht spurlos vorübergegangen. Im Herbst 2008 lag die Arbeitslosigkeit noch bei 1,7 Prozent, derzeit sind es 7,4 Prozent.
Besonders junge Dänen tun sich schwer bei der Jobsuche. Die Arbeitslosenquote liegt zwar unter dem Durchschnitt aller EU-Länder, doch Reiner Perau von der Deutsch-Dänischen Handelskammer schätzt die Arbeitsbedingungen in Dänemark zurzeit sogar schlechter ein als in Deutschland.
Wer es allerdings geschafft hat, kann sich über die guten Arbeitsbedingungen freuen. Vor allem für eine Gruppe sei das Wagnis lohneswert, sagt Perau: "Paare mit Kindern und Karrierewunsch sind in Dänemark bestens aufgehoben." Gesucht werden derzeit unter anderem Fachkräfte in der Informations- und Biotechnologie und der Pharmaindustrie.
Vier Deutsche erzählen, warum sie den Sprung nach Kopenhagen gewagt haben und wie sie dort leben und arbeiten.
Die Anwältin: "Kind und Karriere sind kein Widerspruch"

Nina Grunows, 39, hat ihr Büro dort, wo ihr Handy und ihr iPad gerade sind
Foto: Marie-Charlotte Maas"Ich kam vor sieben Jahren nach Dänemark, nach einigen Jahren als Anwältin in Hamburg wollte ich noch einmal etwas völlig anderes sehen. Ich habe mich für Kopenhagen entschieden, weil ich dort bereits viele private Kontakte hatte und meinem großen Hobby, dem Segeln, nachgehen kann. Von Deutschland aus kontaktierte ich zwei Firmen, und eine Großkanzlei lud mich zum Vorstellungsgespräch ein. Obwohl die Stelle nicht meinem Fachgebiet entsprach, bekam ich die Zusage und wanderte aus.
Vier Monate lang besuchte ich jeden Tag fünf Stunden einen Sprachkurs und arbeitete nebenher auf Stundenbasis in der Kanzlei. Anschließend holte ich die dänische Referendarsausbildung nach. Jetzt kann ich deutsche und dänische Mandanten betreuen. Die Bezahlung im dänischen Referendariat entsprach dem, was einige meiner Kollegen in Deutschland als Rechtsanwälte verdienen. Auch heute verdiene ich vergleichsweise gut, allerdings sind die Lebenshaltungskosten in Dänemark höher und ich zahle mehr Steuern als in Deutschland.
Als Mutter keine Pläne, nach Deutschland zurückzugehen
Mittlerweile bin ich mit einem Dänen verheiratet, habe eine dreieinhalbjährige Tochter und vorläufig keine Pläne, nach Deutschland zurückzugehen. Gerade als berufstätige Mutter habe ich hier bessere Karten, die Kinderbetreuung ist hervorragend. Meine Freundinnen in Deutschland klagen, wie schwierig es ist, Kind und Karriere unter einen Hut zu bekommen. Bei mir klappt es sehr gut. Die Dänen sind flexibel und stellen die Familie in den Mittelpunkt. Wenn meine Tochter Geburtstag hat, nehme ich mir einen Tag frei, ohne dass jemand komisch schaut oder ich arbeite von zu Hause aus. Mein Büro ist da, wo mein Telefon und mein iPad sind.
Natürlich kommt es auch vor, dass ich um 20 Uhr ein Mandantengespräch führen muss, aber dafür gehe ich auch spätestens um 18 Uhr nach Hause. Einmal saß ich nach 17 Uhr noch im Büro, mein Chef kam herein und sagte: 'Haben Sie noch ein Leben neben der Arbeit? Wollen Sie nicht lieber segeln gehen?' So manche dänische Kanzlei schließt im Sommer sogar drei Wochen. Und auch die Partner in der Kanzlei machen oft bis zu fünf Wochen am Stück Sommerurlaub. In Deutschland wäre das nicht möglich."
Der Chemiker: "Status und Titel zählen hier nicht"

Carsten Franke, 45, will Kopenhagen so schnell nicht mehr verlassen
Foto: Marie-Charlotte Maas"Die Firma, für die ich in Deutschland gearbeitet hatte, schickte mich vor sechs Jahren nach Kopenhagen. Ich war begeistert, da ich immer gerne im Ausland leben wollte. Doch nach acht Monaten wurde meine Stelle wegen einer Umstrukturierung gestrichen. Das war ein Schock, aber nach Deutschland zurückgehen wollte ich nicht. Vier Monate später hatte ich einen neuen Job gefunden.
Als EU-Bürger hat man es in Dänemark sehr leicht. Vieles läuft unbürokratisch - und elektronisch. Und beim Arbeitslosengeld werden zum Beispiel auch die Einzahlungen in Deutschland anerkannt. Ich arbeite gerne hier, aber es gibt auch Herausforderungen: Die Dänen kennen keinen Plan B. Sie legen einfach los und schauen, ob sie zum Ziel kommen. Gelingt es nicht, gibt es einen neuen Vorschlag. Das ist für mich als strukturierten Deutschen manchmal eine Herausforderung, aber mittlerweile sehe die positiven Seiten darin. Hier sucht man nicht lange nach einem Schuldigen, sondern sagt nur: 'Das war nicht so gut, oder?' Und dann: 'Was hast du daraus gelernt?' So kommt man viel leichter weiter.
Doktortitel taucht nirgends auf
Dass ich einen Doktortitel habe, spielt hier zwar durchaus eine Rolle, wird aber nie kommuniziert. Der Titel taucht weder auf meiner Karte noch in meiner E-Mail-Signatur auf. Das liegt am Gleichheitsgrundsatz, dem 'Jantelov', der in Dänemark stark gelebt wird. Keiner ist besser als der andere, alle werden respektiert, unabhängig von Titel und Status.
Schön finde ich auch, dass in der Arbeitswelt ein Grundvertrauen herrscht: Plant man eine Geschäftsreise, stellt man in Deutschland einen komplizierten Antrag, in meiner Firma sage ich einfach 'Ich bin mal weg' und alles ist in Ordnung. Es zählt das Ergebnis, und mein Chef vertraut darauf, dass ich meine Aufgabe erledige. Keiner würde diese Freiheit ausnutzen. Dass meine Lebensgefährtin und ich Kopenhagen wieder verlassen, ist unwahrscheinlich - gerade haben wir eine Wohnung direkt am Strand gekauft."
Die Zahntechnikerin: "Erschreckt von den hohen Preisen im Supermarkt"

Sabine Rademacher, 52, kam mit ihrem Lebensgefährten nach Kopenhagen
Foto: Marie-Charlotte Maas"Als mein Lebensgefährte nach Kopenhagen versetzt werden sollte, habe ich entschieden, ihn zu begleiten. Leicht war das nicht, schließlich hatte ich mein ganzes Leben in Wuppertal gewohnt, hatte dort Familie und Freunde und einen festen Job als Zahntechnikerin, seit 25 Jahren in derselben Firma. Dennoch dachte ich: Jetzt oder nie. Ich besuchte eine Sprachschule in Kopenhagen und als mein Dänisch gut genug war, bewarb ich mich auf Stellenausschreibungen.
Die Resonanz war sehr gut. Ich fing in einer Firma an, die Hörgeräte herstellt. Die Dänen sind sehr freundlich, das Arbeitsleben ist entspannter und ruhiger, die Dänen sagen 'hyggelig'. Harte Diskussionen im Arbeitsleben werden vermieden. Machmal wünschte ich mir, jemand würde ab und an auf den Tisch hauen. Anfangs fiel es mir schwer, alle zu duzen, vor allem, wenn man seinem künftigen Chef im Vorstellungsgespräch gegenübersitzt. Heute kann ich es mir kaum mehr anders vorstellen.
Entspannter Umgang mit Kündigungen
Nach zwei Jahren wurde die Produktion der Hörgeräte ins Ausland verlagert und ich war wieder auf Jobsuche. Die Dänen sind entspannter, was Kündigungen oder Veränderungen im Job angeht. Für mich war es ungewohnt, in Deutschland konnte ich immer auf ein sicheres Gehalt zählen. Doch schon nach kurzer Zeit hatte ich einen neuen Job, diesmal wieder als Zahntechnikerin. Der Verdienst ist hier höher, genauso wie die Lebenshaltungskosten. Anfangs habe ich mich wegen der hohen Preise kaum getraut, im Supermarkt einzukaufen.
Seit ich in Kopenhagen lebe, kann ich auch meiner großen Leidenschaft, der Malerei, nachkommen. Seit 2010 habe ich zusammen mit einer dänischen Künstlerin eine Galerie. Vielleicht mag ich darum auch die Art der Dänen, kreativ an Dinge heranzugehen. Es stimmt nämlich, dass sie teilweise unorganisiert sind."
Die Finanzwirtin: "Viel Lob fürs Dänisch sprechen"

Katrin Herholdt, 38, Business-Dänisch ist noch nicht fließend, die Dänen stört das aber nicht.
Foto: Marie-Charlotte Maas"Wegen der Liebe kam ich vor fünf Jahren nach Dänemark und verzichtete dafür auf meine feste Stelle als Beamtin in Deutschland. Ich hatte meinen jetzigen Mann im Skiurlaub kennengelernt, drei Jahre führten wir eine Fernbeziehung, dann beschlossen wir, dass etwas passieren muss. Nach einem Probejahr in Kopenhagen mit Sprachkurs und Bedenkzeit wusste ich, hier wollte ich bleiben. Es ist eine tolle Stadt, die alten Gebäude und die Lage am Meer haben es mir leicht gemacht, Deutschland zu verlassen. Und nach 13 Jahren im selben Job hatte ich gar nicht mehr mit so einer Veränderung gerechnet.
"Mir fehlen die Sauerländer Berge"
Obwohl mein Dänisch noch nicht perfekt war, bekam ich eine Stelle bei der Deutsch-Dänischen Handelskammer - es war meine erste Bewerbung. Bis heute ist mein Business-Dänisch nicht ganz fließend, Kritik habe ich aber noch nie gehört. Im Gegenteil, die Dänen sind froh, wenn man sich bemüht, ihre Sprache zu sprechen und loben einen unaufhörlich. Und ich habe mich weitergebildet: Neben der Arbeit in der Handelskammer studierte ich abends und machte mein Handelsdiplom - die Kosten hat die Firma übernommen.
Mit den Kollegen geht man schon mal ein Bier trinken, vor allem freitags, da arbeiten wir nur bis mittags. Überhaupt ist meine Wochenarbeitszeit vier Stunden geringer als sie in Deutschland war. Wehmütig werde ich nur, wenn ich an meine Freunde in Deutschland denke und an die Sauerländer Berge. Ich schließe nicht aus, dass wir eines Tages zurückgehen. Momentan ist es aber ideal. Mein Sohn ist eineinhalb Jahre alt und geht seit einem halben Jahr in den Kindergarten, auf einen Platz hat man hier in Dänemark sogar eine Garantie."