
Tipps von der Karriereberaterin Wie werde ich selbstbewusster im Job?


Carmen Michaelis war zehn Jahre Führungskraft in einem Unternehmen, zuletzt stellvertretende Geschäftsführerin. Seit 2004 arbeitet sie selbstständig als Coach, Trainerin und Moderatorin für Unternehmen. E-Mail an karriere.leserpost@spiegel.de schreiben – Stichwort Carmen Michaelis .
Paula, 33 Jahre, fragt: »Seit drei Jahren arbeite ich als Juristin in einer großen Kanzlei. Ich bin erstaunlich schnell aufgestiegen. Ich hatte immer viel Glück und gute Mentoren und war wohl zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Meine Leistungsbeurteilungen sind immer sehr gut. Dennoch zweifle ich ständig an mir und meinen Fähigkeiten. Wie schaffe ich es, mehr Zutrauen in mich selbst zu gewinnen und mich nicht so zu zerreißen?«
Liebe Paula,
erst einmal gratuliere ich Ihnen zu Ihrem außergewöhnlichen Erfolg. Vermutlich ist bis auf Sie selbst niemand darüber erstaunt. Es klingt so, als könnten Sie nicht so recht glauben, dass Ihr Aufstieg mit Ihren sehr guten Qualifikationen sowie Leistungen zu tun hat – und nicht mit Glück.
Haben Sie schon einmal aufgelistet, was Sie dafür alles getan haben? Falls nicht, holen Sie das unbedingt nach, und zwar schriftlich. Wenn Sie schon bei Ihrer Erfolgsbilanz sind, notieren Sie auch die Gründe Ihrer Vorgesetzten und Mentoren, Sie genau an diesem Punkt Ihrer Karriere zu fördern. Es werden sicher etliche sein. Ich gratuliere ebenfalls diesen Personen zu deren Kompetenz, Ihr Potenzial erkannt zu haben. Sie können also direkt die dritte Liste aufmachen, in der Sie aufschreiben, welchen Mehrwert diese Förderer, die Kanzlei, die Kollegen und Mandanten von Ihrer Leistung haben. Machen Sie ein Erfolgstagebuch daraus. Führen Sie sich Ihren Erfolg regelmäßig buchstäblich und faktisch vor Augen.
Ihre beschriebenen Empfindungen und Gedanken haben in der Fachliteratur sogar einen Namen: das Hochstapler-Syndrom. Menschen mit diesem Syndrom haben es schwer, an ihre eigene Leistung zu glauben, obwohl andere das durchaus tun. Oft sind sie der Ansicht, ihre Erfolge durch Glück und Beziehungen erreicht zu haben. Sie halten sich – natürlich zu Unrecht – für Betrüger und haben das Gefühl, ihnen stehe der Erfolg nicht zu. Die Sorge treibt diese Personen um, dass bald jemand merken wird, dass sie eigentlich keine Ahnung haben.
Mit jedem Lob steigt der Druck
Kompensiert wird diese Befürchtung bei vielen durch einen hohen Perfektionsdrang. Die kritische Suche nach dem Haar in der Suppe führt dazu, dass Erfolge nicht wahrgenommen und schon gar nicht gefeiert werden können. Vielmehr schleicht sich der Gedanke ein, dass es beim nächsten Mal sicher nicht funktioniert und die Umstände eben günstig waren. Die Angst, aufzufliegen, spornt viele zu immer besserer Leistung an. Menschen mit diesem Syndrom sind äußerst selbstkritisch. Selbst der kleinste Fehler entgeht ihnen nicht. Mit jedem Lob steigt der Druck, sich noch weiter zu optimieren. Als Ursachen sehen viele Studien eine gewisse Veranlagung und eine leistungs- und wettbewerbsorientierte Erziehung.
Sollten Sie sich, liebe Paula, in den Beschreibungen wiederfinden, hoffe ich, es entlastet Sie, nicht die Einzige zu sein, die mit diesen Gefühlen kämpft. Im Gegenteil! Falls Sie mehr über das Phänomen wissen möchten, empfehle ich Ihnen das Buch von Sabine Magnet, die von sich selbst sagt, sie habe das Hochstapler-Syndrom (»Und was, wenn alle merken, dass ich gar nichts kann? Über die Angst, nicht gut genug zu sein«).
»Ich bin gut und habe es verdient!«
Wie schaffen Sie es nun, weniger an sich zu zweifeln und mehr Zutrauen in sich selbst zu gewinnen?
Schreiben Sie regelmäßig in Ihr Erfolgstagebuch. Es wird Sie stärken und positiv stimmen. Halten Sie sich an die Fakten. Denen werden Sie eher Glauben schenken.
Aktualisieren Sie Ihre Vita und lassen Sie sich von sich selbst beeindrucken. Dort steht es schwarz auf weiß.
Lernen Sie, sich zu loben. Das kann auch ganz leise passieren.
Fragen Sie sich: Wovor habe ich Angst? Ist das wirklich realistisch? Was kann schlimmstenfalls passieren, wenn diese Angst begründet wäre? Lernen Sie, zwischen Gefühlen und Fakten zu unterscheiden.
Notieren Sie eine Zeit lang, in welchen Situationen Sie am meisten zweifeln. Wenn Sie dann schon im Vorwege erkennen, dass Sie mit einer schwierigen Situation konfrontiert sind, können Sie besser reagieren und sich fragen, ob das wirklich stimmt und wer das sagt. Ein positiver Gegensatz, wie »Ich bin gut und habe es verdient!«, den Sie sich dann laut und mehrmals sagen, kann helfen, den zweifelnden Gedanken zu vertreiben.
Nutzen Sie einfache Atemübungen, wenn die Zweifel zu laut und stressig werden. Konzentrieren Sie sich einige Zeit auf sich und Ihren Körper, so entziehen Sie den destruktiven Gedanken die Aufmerksamkeit.
Sollten Ihre Zweifel sich in Ihnen äußern, gehen Sie auf Distanz und führen Sie einen inneren Dialog mit einem Ihrer Mentoren: »Was würde er jetzt zu meinen Zweifeln in dieser Situation sagen. Was würde er mir raten?«
Entwickeln Sie ein bejahendes Verständnis Ihren Fehlern gegenüber. Sie sind dazu da, um aus ihnen zu lernen.
Schaffen Sie Ruhepausen und gönnen Sie sich Dinge und Menschen, die Ihnen guttun.
Sprechen Sie mit Freunden über Ihre Zweifel und Ängste. Entlasten Sie sich, statt sich zu zerreißen.
Liebe Paula, starten Sie in den nächsten Tagen direkt mit einem kleinen Experiment namens »Erbsenzählen«: Stecken Sie sich morgens 15 Erbsen in die linke Hosentasche. Bei allem, was Ihnen gelingt, wandert eine Erbse in die rechte Hosentasche. Ich bin mir sicher, am Ende des Tages ist die rechte Hosentasche voll. Das kann dann nicht nur Glück gewesen sein.