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Job & Karriere

Karriereknick nach Babypause Frauen, hört auf zu jammern

Die ersten Sprossen der Karriereleiter sind erklommen, dann kommt das erste Kind - und statt Excel-Tabellen sind auf einmal Schnittmuster und Bastelbögen angesagt. Warum eigentlich? Der Nachwuchs ist jedenfalls nicht daran schuld.
Von Miriam Collée und Katrin Wilkens
Der neue Biedermeier-Trend: Nähen, basteln, stricken bis zum Umfallen

Der neue Biedermeier-Trend: Nähen, basteln, stricken bis zum Umfallen

Foto: Corbis

Pünktchen-Servietten sind der Anfang. Man sieht sie, denkt, oh, das sieht bestimmt hübsch aus zu dem Fliederstrauß. Myriaden von Deko-Läden liefern die passenden Emaille-Kännchen und Vasen dazu und die "Landlust" eine Anleitung zum selbstgeklöppelten Platz-Set.

Dass wir Frauen nach der Fortpflanzung einen verstärkten Nestbautrieb entwickeln, ist ethnologisch gesehen nichts Neues. Neu ist jedoch: Mitten in der Zeit von der Leyens und öffentlicher #aufschreie hat sich ein bedrohlich biedermeierlicher Trend eingeschlichen, der von Frauen verlangt, alles zu verhübschen, was nicht bei drei auf den Bäumen ist: Adventskalender? Selbstgebastelt. Tischdeko? Jahreszeitlich wechselnd. Ketchup? Selbst gekocht und hübsch beschriftet im Retro-Glas.

Blöderweise vergessen wir dabei eines: unsere Karriere. Frauen unserer Generation, die heute zwischen 30 und 40 sind, hatten einen grandiosen Start: Wir sind so gut ausgebildet wie nie zuvor, sind mit Top-Einstiegsgehältern in Kanzleien und Unternehmensberatungen eingestiegen, haben scheinbar mühelos die ersten Sprossen der Karriereleiter gewuppt und Lebensläufe fabriziert, von denen unsere Mütter nicht zu träumen wagten. Doch wir enden mit Mann, zwei Kindern und Babypausen hoffnungslos überqualifiziert in der Teilzeitfalle.

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Foto: privat

Klar, dass einem dann Heimveredelung und Kindererziehung sinnvoller erscheinen als irgendeine zuarbeitende 20-Stunden-Stelle. Mehr Arbeitszeit können wir uns nicht vorstellen, schließlich wollen wir doch auch noch von den Kindern etwas haben.

Die Frage ist nur: Wohin führt das? Wollen wir mit 60 eine Heimveredlerin im Ruhestand sein? Wollen wir später sagen können: "Ich wusste immer, wie man die glutenfreiesten Salatdressings macht?" Nein, wollen wir nicht. Blöderweise wollen wir auch nicht zu einer Kopie der "taz"-Chefin Bascha Mika mutieren, die in ihren Büchern schäumt: "Frauen träumen vom Reihenhaus statt von der Chefetage".

Nichts, rein gar nichts spricht dagegen, die ersten Jahre seinen Kindern Zeit zu schenken, das Karriere-Hamsterrad für diese intensive, großartige und wichtige Zeit etwas langsamer drehen zu lassen - oder auch für ein, zwei Jahre eine Pause einzulegen. Prioritäten verschieben sich, mit Kind denkt man anders als ohne.

Denkt euer Leben von hinten!

Doch das Zeitfenster, in denen die Kinder ein Händchen zum Laufen, Fahrdienste zum Hockey, Seepferdchen- oder Einradkurs brauchen, ist verhältnismäßig klein. Theoretisch könnten wir nach fünf, sechs Jahren Familienzeit den Fokus wieder verstärkt auf den Job legen und im besten Fall mit Anfang, Mitte 40 noch ein zweites Mal durchstarten. Auf die nächsten 20 Jahre! Der Haken ist nur: Die wenigsten wollen es. Weil das heißluftblasende Marketing, die trockene Jurawelt oder die moralisch schwer vertretbare Bankkundenberatung ihre Anziehungskraft verloren haben. Weil man feststellt: Eigentlich habe ich da noch nie richtig hingepasst.

Die große deutsche Soziologin Jutta Allmendinger forderte einmal: Denkt euer Leben von hinten her! Wo will ich mit 50, 60 Jahren stehen? Und wie komme ich dahin - Familienpausen mit eingeplant? Was für Männer selbstverständlich scheint ("Mit 40 will ich im Vorstand sein, mit 50 eine eigene Kanzlei, mit 60 mindestens fünf Partner haben") ist für Frauen anscheinend irrelevant. Sie ergreifen einen Beruf meist nach naheliegenden Motiven:

Weil Papi Jurist ist und man es deshalb eben auch mit Jura versucht, weil man in der zehnten Klasse ein Praktikum in der Bank absolviert und darum eine Banklehre begonnen hat. Weil man mit BWL nichts falsch machen kann. Weil Apotheken krisensicher sind.

Lesen als Hobby befähigt noch nicht zum eigenen Buchladen

Heiraten wir so? Verlieben wir uns so? Weil man mit dem Nachbarsjungen nichts falsch machen kann? Weil der nette Beamte eine sichere Rente erwartet? Mit dem Beruf sind wir oft länger und intensiver verbunden als mit dem eigenen Mann. Warum trauen wir uns aber nicht, den Job als ein genauso romantisches, leidenschaftliches Projekt zu sehen wie die Partnerschaft? Statt "Womit kann ich nichts falsch machen?" sollten wir uns eher fragen: Wofür brenne ich? Wo liegt meine Leidenschaft? Worin bin ich wirklich gut?

Ach, Sie lesen gern? Das befähigt noch lange nicht zu einem eigenen Buchladen. Genauso wie ein Faible fürs Nähen bei Dawanda wohl kaum ein ernstzunehmendes Gehalt beschert. Die wenigsten kennen ihr eigenes Potential, ihre ureigenen Gaben. Und die wenigsten holen sich dafür professionelle Hilfe.

Unser Potential ist die Spiel-Masse, mit der wir jonglieren müssen, um hinterher die besten Kunststücke vorführen zu können. Frauen sind Meister im Jonglieren, sie lernen viel und üben hart - aber ohne Bälle kann auch der beste Jongleur keine Kunststücke zaubern.

30-Stunden-Woche für alle

Wer jedoch tolle Kunststücke kann, wird auch nach der Elternzeit wieder mit Herzblut im Erwerbszirkus vorturnen wollen statt zu Hause mit den Kindern Halloween-Kürbisse zu schnitzen. Und zwar nicht im Vorprogramm, sondern in der Hauptvorstellung.

Müssen wir dafür Vollzeit arbeiten? Nein. Aber die Teilzeit aufstocken. Mit durchschnittlich 18,5 Stunden, die deutsche Teilzeitfrauen im Schnitt arbeiten (übrigens sind wir damit im EU-Vergleich das Schlusslicht), sind Kunststücke nur schwer möglich. Wie das gehen soll? Theoretisch ganz einfach: SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles forderte bereits Ende letzten Jahres eine befristete 30-Stunden-Woche für Mütter und Väter.

Soziologin Allmendiger geht sogar einen Schritt weiter. Für sie sind 32 Stunden "die neue Vollzeit", und zwar für alle: Mütter, Väter, Kinderlose. Statt individueller Überforderung, steigenden Burnout-Zahlen und sinkenden Geburtenraten bliebe so allen Zeit für Weiterbildung, Kindererziehung, Pflege der Eltern - oder für sich selbst. Die Rechnung ist einfach: Wenn wir die Arbeitszeit von Frauen erhöhen und die von Männern reduzieren, kommt unterm Strich sogar ein höheres Arbeitsvolumen heraus. Eine Win-win-Situation. Theoretisch. Warum nicht praktisch?

Foto: i.do

Miriam Collée (Jahrgang 1973) und Kathrin Wilkens (Jahrgang 1971) sind Journalistinnen und haben zusammen die Hamburger Agentur i.do gegründet. Dort beraten sie Frauen, die sich beruflich verändern wollen.Agentur i.do Hamburg 

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