Karrieremesse für Homosexuelle Seine Schwäche? Er wirkt schwul

Milk-Messe: Schwulsein gehört nicht zum Beruf - oder?
Am Stand von SAP trifft Klaus Wowereit auf einen Vertreter der Gruppe "Homo Sapiens". Ein hagerer Mann im weiten, erdbeerfarbenen Jackett. Es ist noch recht früh am Berliner Morgen, kurz nach zehn, der Regierende Bürgermeister wird die schwul-lesbische Karrieremesse gleich eröffnen. Vorher schaut er sich im Autohaus, in dem sie stattfindet, noch kurz die Stände an. Hände schütteln, mit Broschüren wedeln, Witzchen machen. "Und", fragt Wowereit, "wie viele Vorstände von SAP sind offen schwul?"
Der "Homo Sapiens"-Mann lächelt: "Es gibt noch nicht mal in der Management-Ebene jemanden, der sich offen bekennt."
Ja, sagt Wowereit, es geht eben darum, erst mal ein Problembewusstsein zu schaffen. "Dazu ist die Messe da." Dann läuft er weiter, zum Stand der Deutschen Bank, ein paar Takte mit der Diversity-Beauftragten reden. Diversity, das ist das neue Management-Wort dafür, wenn in einem Unternehmen möglichst unterschiedliche Menschen arbeiten sollen (siehe Kasten in der Spalte rechts).
Milk, der Name der Messe, spielt an auf den US-Politiker Harvey Milk, der sich früh zu seiner Homosexualität bekannte, in einem Film von 2008 dargestellt von Sean Penn. Als Milk vor einem Jahr in München startete, gab es 16 Aussteller. Jetzt, in Berlin, seien es mehr als dreimal so viele, sagen die Veranstalter, nämlich 54. Die Wirtschaftsweiber sind da, das Netzwerk lesbischer Managerinnen. Die Telekom, IBM. Die Post schickt ihren Personalvorstand Walter Scheuerle, damit er die Vielfalt lobt, das Multikulti, naja, und wo er schon dabei ist, auch die "dynamische Tourenplanung" der Post. Man positioniert sich, man hat Diversity Manager ernannt, Netzwerke etabliert, die Vielfalt fördern sollen.
Heterosexuelle stellen sich auch nicht als heterosexuell vor
Es sei, sagt Reinhard Thole, doch auch eine wirtschaftliche Frage. Wenn Homosexuelle versuchen, ihr Privatleben zu verheimlichen, belastet sie das, sie arbeiten weniger konzentriert. Das schadet dem Unternehmen. Thole ist 43 Jahre alt, er leitet die Qualifizierungsabteilung des Callcenters der Deutschen Bank und er gehört zu ihrer Rainbow Group, dem schwul-lesbischen Netzwerk. Er hat nie verschwiegen, dass er schwul ist. Er hat aber auch nie gesagt: "Hallo, mein Name ist Reinhard Thole, ich bin schwul." Heterosexuelle stellen sich ja auch nicht als heterosexuell vor.
Während Thole das erzählt, hat sich am anderen Ende des Autohauses Harald Christ ans Rednerpult gestellt, um zu beweisen, dass "noch nicht alles so ist, wie es sein sollte". Christ trägt Jackett und rosa Hemd, ein wohlgenährter Mittelständler. Vor zwei Jahren war er der Wirtschaftsmann im Schattenkabinett von Frank-Walter Steinmeier. Im Grunde stellt er dieselbe Frage wie Wowereit: "Gibt es einen schwulen Top-Manager bei der Deutschen Bank? Ich weiß es nicht."
Sicher, die schwule Klientel sei eine attraktive Zielgruppe. Mit einem schwulen Pärchen befreundet zu sein, gelte heutzutage als schick. Trotzdem gebe es weiter Witze darüber, dass bei diesem einen Bewerber die Raumtemperatur doch erheblich gestiegen sei. Und je höher man in einer Hierarchie aufsteige, desto eher komme die Frage nach der Gattin. Der Hinweis, man setze auf ein "intaktes Familienleben".
Harald Christ wirkt wütend. Er erzählt viele üble Geschichten von Diskriminierung. Er klingt wie einer, der das alles jetzt endlich mal sagen kann. Als wäre das hier eine Selbsthilfegruppe, nicht das Foyer eines umfunktionierten Autohauses.
"Die Autoindustrie ist non-schwul"

Klaus Wowereit am Stand der Telekom: "Wie sieht's bei Ihnen im Konzern aus?"
Foto: Johannes GernertEr selbst habe sich erst geoutet, als ihm nichts mehr passieren konnte, sagt Christ, weil er schon oben war. Er würde es wieder so machen.
Im Publikum meldet sich Detlev Buchholz, Präsident der Fachhochschule Frankfurt am Main: "Ich finde es verantwortungslos, dazu zu raten, Privatleben und Beruf so zu trennen. Es geht nicht." Es koste zu viel Mühe, "die Story oder keine Story aufrechtzuerhalten". Man mache sich erpressbar. "Deswegen bin ich dafür, sich nicht zu outen, noch nicht - sondern es einfach zu sein."
"Man kann das im täglichen Leben nicht durchhalten", sagt auch der Mann im dunklen Anzug, der einmal einen Job in der Automobilbranche hatte, mit einem Chef, der ihm riet, sich nicht zu outen. "Was haben Sie am Wochenende gemacht?", fragten die Kollegen. Im Kopf, erzählt er, lief der Film ab, in dem er mit seinem Freund, dem Beamten, Mountainbikefahren war. "Ach, nichts Besonderes", hat er gesagt. Bis er das nicht mehr aushielt - und kündigte.
Eldschibiti kennt hier jeder
"Die Autoindustrie ist non-schwul", sagt er heute. "Autos verkaufen sich mit nackten Frauen."
Es gibt Branchen, in denen scheinen Schwule oder Lesben eher akzeptiert, als Kreative, als Werber, als freie Konzeptioner, wie Nikolas Gerber, der Firmen berät in "Lifetstyle und Marketing-Strategien". Er schlendert mit seinem Freund über die Messe. Und fragt sich: Wie glaubwürdig sind die Unternehmen?
"Diversity Management" - hä?
An den Ständen um ihn herum präsentieren sich die Communitys für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transgender-Leute. LGBT. Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender. Die meisten haben 200, 300 Mitglieder. Eldschibiti. Die Abkürzung benutzen hier alle so selbstverständlich wie BMW oder UN.
Oben, in den Unternehmensspitzen, wird es aber trotz solcher Fortschritte immer hart. Der Mann im dunklen Anzug sucht gerade einen Job, gehobenes Management. Es gibt Bewerbungen, da laden ihn Unternehmen fast hastig zum Gespräch ein, wegen seiner Erfahrung wohl, wegen seiner Qualifikationen. Wenn er dann sagt "Ich bin schwul", hört er manchmal gar nichts mehr und ein anderes Mal, dass das nicht zur Unternehmenskultur passe. Er wird aber nicht aufhören "Ich bin schwul" zu sagen, weil er die Heimlichtuerei nicht mehr erträgt.
Wie war das Wochenende?
Und dann ist da noch der junge Mann aus dem Publikum, der irgendwie an die Beurteilungsmappe seiner Ausbilderin gekommen ist. Er erzählt das ins Mikrofon, nach dem Vortrag von Harald Christ. Irgendwie ist die Stimmung jetzt so. Da waren also seine Stärken und Schwächen aufgelistet.
Und bei den Schwächen stand: "Wirkt schwul."
Stimmen auf der Milk-Messe: "Ach übrigens, ich bin schwul"

André Fischer, Telekom-Mitarbeiter
Foto: Johannes GernertAuf der Visitenkarte von André Fischer, 27, steht "Recruiting & Talent Service". Bei der Telekom engagiert er sich bei Queerbeet, dem "Netzwerk für lesbische, schwule, bi- und transsexuelle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter".
"Im Job habe ich nie gesagt 'Ach übrigens, ich bin schwul', das machen Heteros ja auch nicht. Ich versuche stattdessen, das ganz normal zu leben. Jeder kann wissen, dass ich für Queerbeet beispielsweise den Regionalstammtisch in Berlin organisiere. Und wenn ich mit Kollegen privat unterwegs bin, verheimliche ich nicht, dass mich eine Plattform wie Gayromeo im Zweifel mehr interessiert als Myflirt. Man darf das nicht zu einem Versteckspiel werden lassen.
Ich bin vielleicht auch deshalb sensibilisiert und gehe damit selbstbewusster um, weil es bei mir nicht nur um meine Homosexualität geht, sondern auch um meine Hautfarbe, meinen Migrationshintergrund. Bei der Telekom war beides noch nie ein Problem. Sollte ich in einem Job einmal merken, dass das ein Thema ist, dann ist er Job eben nichts für mich."
"Heimlichtuerei schadet auch der Wirtschaft"

Deutsche-Bank-Vertreter Kerstin Pramberger und Reinhard Thole
Foto: Johannes GernertKerstin Pramberger, 34, ist Leiterin der Diversity-Abteilung der Deutschen Bank.
"Wir fördern Frauen in Führungspositionen mit speziellen Mentoring-Programmen. Es gibt eine LGBT-Gruppe bei der Deutschen Bank, also Lesbian Gay, Bisexual und Transgender. Seit mehr als zehn Jahren haben wir die rechtlichen Rahmenbedingungen so gestaltet, dass gleichgeschlechtliche Paare auch bei der betrieblichen Altersvorsorge und bei Firmenwagenregelungen gleichgestellt sind. In der Rainbow Group der Deutschen Bank sind 350 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen engagiert.
Es geht auch darum, nach außen zu zeigen, dass wir ein attraktiver Arbeitgeber sind, wo man sich auch als Schwuler, als Lesbe, als Schwarzer, Inder oder behinderter Mensch wohlfühlt. Das heißt nicht, dass wir jetzt dieses Diversity Management haben, und alles ist schön. Wir trainieren Führungskräfte: Wie gehe ich damit um, wenn ich einen Schwulen oder eine Lesbe im Team habe? Wir wollen hinter dem Schalter schließlich so vielfältig sein, wie es unsere Kunden auch sind."
Reinhard Thole, 43, leitet die Qualifizierungsabteilung beim Telefonkundenservice der Deutschen Bank.
"Ich habe nie gesagt: 'Hallo, mein Name ist Reinhard Thole, ich bin schwul.' Ich lebe das einfach. Als ich vor einigen Jahren ein Training geleitet habe, hat jemand gefragt: Was hast du am Wochenende gemacht? Ich war auf dem Christopher Street Day in Köln, habe ich geantwortet. Irgendwann kommt das einfach zur Sprache, wenn man normal damit umgeht. Vielleicht bin ich da ein Musterbeispiel, ich hatte nie Probleme.
Man muss natürlich Sensibilität im Haus schaffen. Bei der Deutschen Bank gibt es sogenannte Sponsoren, die heterosexuell sind und sich als "open minded" outen, um das Thema präsent zu halten. Wenn man als Schwuler oder als Lesbe anfängt, eine Geschichte zu erfinden oder seine sexuelle Orientierung zu verstecken, setzt einen das ja unter Druck, man bekommt Angst. Das senkt die Produktivität einer Studie zufolge um 20 Prozent. Es ist also auch wirtschaftlich sinnvoll, Diversity Management zu betreiben."
"Wir haben es gern etwas lockerer"

Studentinnen aus Halle: "Keine steife Veranstaltung"
Foto: Johannes GernertKatrin, 26, ist mit ihren Kommilitoninnen Johanna, 25, und Henriette, 29, zur Milk-Messe gekommen. Sie studieren in Halle, sind im Herbst fertig und wollen sich informieren. Katrin hat über die Uni von der Messe erfahren.
"Ich studiere Medienwissenschaften. Wir haben es gern etwas lockerer. Wenn Unternehmen offen sind, finde ich das gut. Ich bin auch ein offener Mensch, und ich finde es schön, wenn das Arbeitsklima angenehm ist. Das hier macht den Eindruck, als wäre es eine nicht ganz so steife Veranstaltung."
"Wieso sollte das ein Thema im Vorstellungsgespräch sein?"

ESMT-Mitarbeiter Marcel Kalis
Foto: Johannes GernertMarcel Kalis leitet den Karriereservice der European School of Management and Technology.
"Mich hat die lange Liste der großen Firmen beeindruckt, die hier alle vertreten sind. Das habe ich unseren Studenten empfohlen. Es ist gut, einen Fokus auf Diversity zu setzen. Jeder ist willkommen! Das ist doch die Botschaft hier.
Ich stamme aus den Niederlanden. Bei uns können gleichgeschlechtliche Paare richtig heiraten. Deshalb bin ich jetzt mit meinem Mann verheiratet. Ein Thema in Vorstellungsgesprächen war das nie. Wieso auch?"

Johannes Gernert (Jahrgang 1980), Träger des Axel-Springer-Preises, arbeitet als freier Journalist in Berlin.