
Kehrseite eines Traumberufs Wilder Westen Werbebranche
In der Werbebranche heuerte Moritz Dornig mehr zufällig an. Acht Monate nach dem Studienabschluss arbeitete der 32-Jährige aus Oberfranken noch immer im elterlichen Autohaus, die Stellensuche gestaltete sich zäh. Ein Freund machte ihm Mut, es bei einer Werbeagentur zu probieren: "Du kannst doch so toll schreiben." Dornig zögerte, dann ergatterte er nach einem Copy-Test im vergangenen Sommer eines der begehrten Praktika beim Marktführer Serviceplan.
"Zunächst war ich bloß froh, dass ich überhaupt etwas gefunden hatte", sagt Dornig, der zuvor an der Uni Passau Sprachen-, Wirtschafts- und Kulturraumstudien studiert hatte. "Werbetexter war alles andere als mein Traumberuf - jetzt ist er es." Die Hierarchien seien flach, man werde "auch als Praktikant ernst genommen". Vom ersten Tag an habe er sich voll einbringen und bald an größeren Aufträgen mitarbeiten können. "Es ist ein richtig gutes Gefühl, wenn du deine ersten veröffentlichten Texte und Spots siehst", schwärmt er.
Auch Serviceplan war zufrieden: Die Münchner Kreativschmiede verkürzte Dornigs Praktikum von sechs auf drei Monate und bot ihm ab April eine Trainee-Stelle als Werbetexter an. Der Job sei bislang sehr abwechslungsreich, sagt Dornig: "Du machst nie genau dasselbe." Sein derzeitiges Gehalt sei ausreichend. Ein Trainee verdient nach Unternehmensangaben bis zu 2000 Euro brutto im Monat; nach der Ausbildung könnten Junior-Mitarbeiter - je nach Qualifikation - im Schnitt mit 30.000 Euro Jahresgehalt brutto rechnen.
Ein Nine-to-five-Job sei seine Arbeit nicht, so Dornig. "Aber dass man länger als bis 19 Uhr im Büro sitzt, kommt nur phasenweise vor", das hänge von den Projekten ab. "Klar gibt es auch einmal Termindruck", sagt er zur Arbeitsbelastung. Extremen Stress habe er bislang in der Agentur noch nicht erlebt.
Von großen Werbeetats haben Berufseinsteiger wenig
Glaubt man Arbeitnehmervertretern, sind zufriedene Mitarbeiter und faire Arbeitsbedingungen in der Branche die Ausnahme. "Im Werbebereich herrscht der Wilde Westen", sagt Rachel Knauf von Ver.di. Auch Matthias von Fintel, der mit ihr gemeinsam die wenigen Gewerkschaftsmitglieder bei Werbeagenturen von Berlin aus betreut, bezeichnet die Bedingungen für viele Mitarbeiter als "miserabel". Oft arbeiteten die Texter, Grafiker und Marketingexperten bis spät abends. Befristete Beschäftigung sei die Regel, schlechte Bezahlung ebenso.
Einen Tarifvertrag gibt es in der Werbewirtschaft nicht. Der Gesamtverband Kommunikationsagenturen GWA fragte im Spätsommer 2010 die Gehälter, Arbeitsbedingungen und Aufstiegschancen seiner Mitgliedsfirmen ab. Zwar sind im GWA nur 107 von Tausenden deutschen Werbeagenturen vereint, darunter aber die größten Arbeitgeber der Branche fast komplett.
Reich durch Werbung?
Laut Gewerkschaft Ver.di sind befristete Anstellungsverhältnisse in der Werbewirtschaft die Regel. Einen Tarifvertrag gibt es nicht, die Gehälter sind häufig Verhandlungssache. Wer "überdurchschnittlich talentiert und engagiert ist", dem zahlt mehr als die Hälfte der vom GWA befragten Agenturen nach eigenen Angaben im fünften Arbeitsjahr zwischen 40.000 und 50.000 Euro brutto im Jahr. Bei drei Prozent der Agenturen können Top-Werber sogar mit über 60.000 Euro rechnen. Die Mehrheit der Werber verdient aber auch nach mehreren Berufsjahren weit schlechter als etwa im Marketing-Bereich. Unbezahlte Überstunden sind in der Werbewirtschaft ohnehin üblich.
Die Bezahlung ist sehr unterschiedlich; im Durchschnitt erhalten Trainees in der Werbebranche laut GWA-Studie eine Vergütung von 1292 Euro brutto. Ein Viertel der Trainees verdient weniger als 1000 Euro.
Bei kleineren und mittelständischen Agenturen gibt es nach wie vor eine Vielzahl unbezahlter Praktika. Bei den GWA-Mitgliedern jedoch verdienen Werber auf Probe in der Regel 400 bis 500 Euro im Monat. Tobias Lill
Die Ergebnisse bei 74 Agenturen (siehe Kasten) werfen kein gutes Licht auf die Branche: Lediglich 2228 Euro brutto pro Monat verdienen Junior-Mitarbeiter durchschnittlich nach der Ausbildung. Nur rund jede siebte Firma zahlt ein 13. Monatsgehalt. Die Studie erfasst sowohl die Kreativabteilungen, etwa Texter oder Grafiker, als auch andere Bereiche wie Beratung.
Die Agenturen erhalten durchaus große Überweisungen, nur kommt davon kaum etwas bei Frischlingen an. Deren Einkommen hält Ver.di-Mann Fintel für inakzeptabel. "In vergleichbaren Bereichen verdienen Berufsanfänger in der Regel deutlich mehr", sagt er. So zahlten Zeitungen, Zeitschriften und Rundfunkanstalten - soweit sie tarifgebunden sind - rund 3000 Euro, plus Zulagen wie Weihnachtsgeld.
Attraktive Arbeitgeber? Das glauben viele Agenturchefs selbst nicht
Selbst Lokführer oder Verkäufer im Einzelhandel mit Hauptschulabschluss bekommen mitunter mehr als angehende Werber - obwohl die meist ein Uni-Examen haben. GWA-Sprecher Mirco Hecker hält von solchen Vergleichen wenig: "Unsere Agenturen zahlen gut." In der Werbung seien die Aufstiegschancen weit besser als in vielen anderen Branchen, zudem könnten sich junge Menschen meist weit stärker verwirklichen.
Ein Serviceplan-Sprecher hebt hervor, in der Werbebranche könne man "schon in jungen Jahren Führungsaufgaben übernehmen". Nach vier Jahren erhielten "überdurchschnittlich talentierte und engagierte Mitarbeiter" Gehälter von 40.000 bis 50.000 Euro, gab gut die Hälfte der Agenturchefs an.
Wo geht's denn hier zur Werbung?
Im Gegensatz zu den meisten Branchen gibt es in der Werbewirtschaft keinen Ausbildungstarifvertrag. Gewerkschafter raten deshalb, bei der Auswahl eines Traineeplatzes genau hinzusehen. Oft bieten nur großen Agenturen gute Möglichkeiten zur Aus- und Fortbildung an. So können Trainees bei Serviceplan "berufsbegleitend an zahlreichen Veranstaltungen des internen Weiterbildungs-Programms teilnehmen"; Scholz&Friends stellt Trainees zudem persönliche Mentoren zur Seite. Der Andrang ist groß: Auf eine Trainee-Stelle kommen oft 20 Bewerber.
Einen reglementierten Ausbildungsweg gibt es nicht, die Werbebranche ist auch für Quereinsteiger offen. Potentielle Texter können sich im Copy-Test, einer Art Textwettbewerb, für eine Agentur empfehlen. Der Trend zur Akademisierung ist aber deutlich, immer mehr Agenturen erwarten studierte Bewerber. In den Kreativbereich führen diese Studiengänge: Grafik-, Kommunikations- oder Mediendesign - oder der Besuch einer Texterschule. Dem Beratungsbereich nähert man sich durch: BWL oder Wirtschaftswissenschaft mit Schwerpunkt Marketing; Medien- oder Kommunikationswissenschaften; Medienwirtschaft, Medien- oder Eventmanagement; auch Psychologie oder Soziologie.
Für Werber muss es kein Master-Abschluss sein, der Bachelor kann durchaus reichen. Für vier von fünf vom GWA befragten Agenturen spielt es keine Rolle, ob der Bewerber einen Bachelor- oder Masterabschluss hat (bzw. Diplom, Magister). Ein Serviceplan-Sprecher sagt: "Entscheidend ist die Praxiserfahrung, die man während des Studiums - etwa durch Praktika - gesammelt hat."
"Der Einstieg ist am einfachsten über ein Praktikum", sagt ein Sprecher von Scholz & Friends. Bei manchen Firmen sind diese Schnupper-Monate mittlerweile sogar unerlässlich für eine spätere Festanstellung. "Praktika sind gerade seit dem Vormarsch des Bachelors immer verbreiteter", sagt auch GWA-Sprecher Mirco Hecker. Viele Praktika dauern drei oder sechs Monate, manche aber auch ein ganzes Jahr - und nicht alle sind vergütet. Zu lange Praktika ohne jede Bezahlung sollten Interessenten nicht akzeptieren. Tobias Lill
Wenig schmeichelhaft für den Verband: Nur jedes sechste befragte Unternehmen kann durch geregelten Überstundenabbau punkten - und nicht einmal die Hälfte spricht von einer "ausgewogenen Work-Life-Balance und guten Sozialleistungen". Dass gute Uni-Absolventen in Werbeagenturen "attraktive Arbeitgeber" sehen, glauben sechs von sieben Bossen laut GWA-Umfrage selber nicht.
Schlange stehen für schlecht bezahlte Jobs
Bei Stefan Beyer (Name geändert) stand es lange nicht gut um die Balance zwischen Arbeit und Privatleben. Der Münchner, 34, arbeitete sieben Jahre bei Werbeagenturen, zuletzt als Account-Manager bei einer großen Hamburger Online-Agentur. Zwölf-Stunden-Tage seien üblich, wer um 18 Uhr seine Tasche packe, werde "blöd angemacht". Die Bezahlung sei mies gewesen, "auch die Kreativität kam oft zu kurz", erzählt er.
Andere sind dagegen begeistert. In der Werbung gelte: "Die beste Idee gewinnt", sagt Sophie Bourgin, 26, aus Stuttgart. Da sei es zu verkraften, dass "für einen Pitch schon mal bis spät nachts gearbeitet wird". Bourgin hat bei der Werbeagentur Scholz & Friends ein Trainee-Programm absolviert.
Der Run auf die Branche ist jedenfalls ungebrochen: Bei Serviceplan bewerben sich im Schnitt 20 bis 30 junge Menschen auf einen der derzeit 84 Trainee-Jobs. Bei Scholz and Friends kommen sogar 80 Bewerber auf einen Ausbildungsplatz. Das ideale Studienfach für einen Werber gibt es nicht; als entscheidend werten viele Agenturen die Praxiserfahrung. Selbst für unbezahlte Praktika und schlecht entlohnte Stellen stehen Uni-Absolventen mancherorts Schlange.
Die junge Branche: Billig und willig
In der meist 12- bis 15-monatigen Ausbildung erhalten Trainees laut GWA-Studie durchschnittlich 1300 Euro brutto. "Da es keinen Ausbildungsvertrag gibt, fehlen oft die für eine vernünftige Ausbildung unerlässlichen Weiterbildungsseminare", kritisiert Ver.di-Mann von Fintel. Einige große Agenturen haben jedoch feste Ausbildungspläne, Weiterbildung oder Auslands-Einsätze inklusive.
2009 waren nach GWA-Angaben 43 Prozent aller Agenturmitarbeiter zwischen 21 und 30 Jahre alt. Werden junge Werber also schnell verheizt, flüchten sie nach wenigen Berufsjahren schon aus der Branche? Es ist immer eine Frage der Perspektive - ein Serviceplan-Sprecher ist überzeugt: "Die Werbebranche bietet ein dynamisches, junges und kollegiales Arbeitsumfeld."
Ver.di-Mann Fintel dagegen warnt junge Akademiker: "Wer in die Werbung geht, sollte sich sehr breit ausbilden lassen." Es gebe nur wenige, die länger als zehn Jahre in der Branche blieben - "die Agenturen sind ständig auf der Suche nach frischem Blut". Junge Menschen seien eben für weit weniger Lohn zu haben als etwa ein Familienvater, so Fintel. Tatsächlich haben mehr als drei Viertel der Agenturmitarbeiter laut GWA keine Kinder.
Stefan Beyer wundert das nicht: "Bei meiner ehemaligen Agentur arbeiten fast nur junge Menschen." Er hatte genug vom Mythos der hippen Branche, wechselte in den Marketing-Bereich und ist jetzt "sehr zufrieden". Trainee Moritz Dornig schrecken solche Negativ-Erfahrungen nicht: "Ich kann mir durchaus vorstellen, längere Zeit bei derselben Agentur zu bleiben."