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Kochen mit Flüchtlingen "No Maggi, please"

Flüchtlinge im Heim können niemanden zum Essen einladen, nicht Gastgeber sein. Zwei Frauen und ein Mann aus Berlin wollten das ändern - und hatten eine großartige Idee.

Bloß keine Brühwürfel! Der Mann mit der schwarzen Kochjacke stürzt mit einem Bund grüner Stängel auf die Köchin zu. "No Maggi, no Maggi", ruft er, reibt die Blätter zwischen Daumen und Zeigefinger und hält sie ihr unter die Nase. Samar Shami, 38, schnuppert und lächelt, aber man sieht ihr an, dass sie nicht so recht weiß, was sie mit dem Grünzeug anfangen soll. "Liebstöckel, L-i-e-b-s-t-ö-c-k-e-l", sagt Bernd Piechatzek. "You need no Maggi." Shami nickt. Sie will Reis kochen, dazu braucht sie weder Maggi noch Liebstöckel.

Acht Syrer, eine Irakerin und zwei Mongolen kochen an diesem Abend zusammen mit neun Duisburgern in einem zur Wohnküche umgebauten Frachtcontainer. Kitchen on the run , Küche auf der Flucht, heißt das Projekt, mit dem drei Berliner in fünf Ländern Flüchtlinge und Einheimische zusammen bringen wollen.

"Die besten Unterhaltungen entstehen am Küchentisch. Aber viele Geflüchtete haben keinen mehr. Hier können sie für einen Abend selbst Gastgeber sein", erklärt Jule Schröder, 33, die Idee. Dafür hat sie zusammen mit zwei Freunden 150.000 Euro Spenden von Stiftungen, Unternehmen und Privatpersonen eingesammelt.

Fünf Monate sind die drei unterwegs, auf der Flüchtlingsroute vom Mittelmeer bis nach Schweden. Der Platz vor der evangelischen Kirche in Duisburg-Neumühl ist ihr dritter Stopp, nach Bari in Italien und Marseille in Frankreich. "Bisher wurden wir von Einheimischen überrannt und hatten eher Probleme, an Flüchtlinge heranzukommen. Hier ist es genau umgekehrt", sagt Schröder.

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Kitchen on the Run: Einen Abend lang wieder Gastgeber sein

Foto: SPIEGEL ONLINE

"Kein Asyl in Neumühl", riefen rechte Hetzer schon 2013, als von einer Flüchtlingskrise noch gar keine Rede war - und ausgerechnet hier hat Nordrhein-Westfalen ein ehemaliges Krankenhaus zur "Zentralen Unterbringungseinrichtung" erklärt. Bis zu 800 Flüchtlinge lebten zwischenzeitlich darin. Jetzt sind es rund 500, fast täglich kommen neue an. Auch die Turnhalle ein paar Straßen weiter ist ein Bettenlager.

Die elf Flüchtlinge, die an diesem Abend zum Essen kommen, leben in einer städtischen Unterkunft. Schon am Vormittag beim Einkauf im türkischen Supermarkt wären gern alle dabei gewesen, aber in den Kleinbus passten nur acht Leute. Der Kochabend ist für sie eine willkommene Abwechslung, denn ihr Alltag ist vor allem: öde.

"Die Menschen leben hier zwischen Himmel und Erde, sie haben nichts zu tun", sagt Gabriele Haak, 57. Sie unterrichtet an einer Gesamtschule - und mindestens einen Abend pro Woche ehrenamtlich im Flüchtlingsheim. Haak will den Menschen helfen, die Zeit zu überbrücken, bis sie einen Platz im Integrationskurs der Bundesagentur für Arbeit bekommen.

Shami hat jetzt einen, sieben Monate nach ihrer Ankunft in Deutschland. Den Kurs von Gabriele Haak besucht sie trotzdem noch so oft es geht. In der letzten Stunde hat sie wieder zwei neue Wörter gelernt: Blumenkohl und Käsereibe. Beides braucht man für die Gemüsesuppe. Das Rezept hatte Haak in den Unterricht mitgebracht, als Bildergeschichte. "Wir haben keine gemeinsame Sprache, wir müssen uns mit Händen und Füßen verständigen", sagt sie. Beim Kochabend sind zwei syrische Schülerinnen aus ihrer Gesamtschule als Dolmetscherinnen dabei.

Hamburg ist rechts vom Container, Damaskus links

Jiyan und Peyman Seli sind Zwillinge, auch sie sind aus Syrien geflohen, zu Fuß in die Türkei und dann weiter mit dem Flugzeug. "Soldaten haben auf uns geschossen. Ich hasse die Soldaten", sagt Peyman. "In Syrien hatten wir mehrere Häuser und Autos und Motorräder. Wir haben so viel verloren." Ihr Deutsch ist fehlerfrei, dabei lebt sie erst seit einem Jahr hier. "Manche denken, wir wären in Deutschland geboren", sagt sie und lächelt stolz.

Auf Arabisch erklärt sie das Spiel, das Jule Schröder und Andreas Reinhard sich zur Begrüßung der Kochgemeinschaft ausgedacht haben: Man soll sich vorstellen, der Rasen vor dem Container sei eine Weltkarte und sich dann auf seinen Geburtsort stellen. Sofort laufen alle kreuz und quer. Am Ende ist Hamburg rechts vom Container, Damaskus links, und die beiden Mongolen stehen fast beim Pfarrhaus.

Das Paar ist es seit der Ankunft in Duisburg gewohnt, im Abseits zu stehen. Nicht einmal mit ihren Mitbewohnern im Flüchtlingsheim können sie sich unterhalten - die Vokabeln fehlen. Warum sind sie geflohen? Wo ist der Rest ihrer Familie? Vermissen sie ihre Heimat? Gabriele Haak hat diese Fragen schon unzählige Male gestellt, aber auch sie kennt nur die Vornamen der beiden: Bajaraa und Tungaa.

"Deutschland gut", sagt Bajaraa und streckt den Daumen der linken Hand nach oben. Andreas Reinhard hat ihm einen blauen Filzstift in die rechte gedrückt. Knapp 800 Menschen haben schon in der mobilen Küche am Herd gestanden. Auf einer Weltkarte haben sie eingezeichnet, wo sie herkommen: Ghana, Syrien, Saudi-Arabien. Bajaraa macht einen Punkt auf der Stadt Ulan Bator.

"Ein halbes Schaf, bitte"

Gabriele Haak ist erstaunt, als die beiden wie selbstverständlich anfangen, einen Teig zu kneten: "Wo kommt denn das Mehl her, das haben wir doch gar nicht eingekauft?" Jule Schröder lacht. Grundzutaten wie Mehl, Zucker und Salz sind im Container immer vorrätig, denn beim Einkaufen kommt es oft zu Missverständnissen. "Einmal stand auf dem Einkaufszettel: ein halbes Schaf", sagt Schröder. Der Fleischer habe dann einfach eine ordentliche Portion eingepackt, "damit waren alle zufrieden".

Beim Ausrollen des Teigs unterstützen zwei Duisburger Lehrerinnen Bajaraa und Tungaa - und werden von den Mongolen mit einem einfachen Trick beeindruckt: erst die Luft aus der Teigtasche rausstreichen, dann zudrücken. Bajaraa freut sich, auch über die neu gelernten Worte: "Luft raus, Luft raus."

Wie lange er und Tungaa in Duisburg bleiben dürfen, weiß niemand. Bayern hat schon im Januar den Vorstoß gemacht, die Mongolei zum sicheren Herkunftsstaat zu erklären. Die Asylanträge der beiden wären dann "offensichtlich unbegründet". Sie müssten die Behörden erst davon überzeugen, dass sie tatsächlich in der Heimat verfolgt werden.

An diesem Abend spielt das keine Rolle. "Hier sind Menschen, die Hilfe brauchen. Das ist alles, was zählt", sagt Michael Hüter, Pastor der evangelischen Gemeinde in Neumühl. Er hat eine lange E-Mail geschrieben, damit der Küchencontainer vor seiner Kirche Halt macht. Zusammen mit Hunderten Menschen aus mehr als 40 Vereinen hat er 2013 die "Neumühler Erklärung" unterschrieben, ein Manifest als Protest gegen Aufmärsche rechtsextremer Gruppen.

Dass es trotz der vielen Flüchtlinge im Stadtteil recht ruhig zugehe, habe man den damals geschaffenen Strukturen zu verdanken, sagt er. Auch alle Duisburger, die an diesem Abend dabei sind, gehören zum Aktionskreis der "Neumühler Erklärung".

Bernd Piechatzek, der Koch mit der Vorliebe für Liebstöckel, und Samar Shami sind zufrieden mit dem Abend: Shami hat die Gemüsesuppe und der Erdbeerquark von Gabriele Haak gut geschmeckt. Und Piechatzek hat seine Vorliebe für Taboulé-Salat entdeckt.

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