Krank zur Arbeit Die Bazillenschleuder am Nachbarschreibtisch

So ist's recht: Wer krank ist, soll bitteschön im Bett bleiben
Foto: Corbis
Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem Buch "Ich will mich aber aufregen!". Autor Matthias Nöllke (Jahrgang 1962) ist Vortragsredner, Journalist und schreibt Sachbücher, zum Beispiel zur Frage, was sich Manager von der Natur abgucken können ("Von Bienen und Leitwölfen").
Wer krank ist und zu Hause bleibt, macht sich bei seinen Kollegen nicht gerade beliebt. Die meinen nämlich: Die ganze Arbeit bleibt jetzt an uns hängen, während der Kollege zu Hause ein paar gepflegte Wellnesstage einlegt. Und was heißt überhaupt krank? Krank sind wir doch irgendwie alle.
Das stimmt, einerseits. Andererseits stimmt noch mehr das Gegenteil: Viel schlimmer als ein kranker Kollege, der es sich zu Hause gut gehen lässt, ist einer, der sich noch zur Arbeit schleppt.
Der ist sowieso keine Hilfe. Er ist ja krank und macht noch mehr Mist als in seinem Normalzustand. Oft unterlaufen diesem fiebernden Kollegen schlimme Fehler, die alle anderen ausbügeln müssen. Und beschweren darf man sich auch nicht über ihn. Oder über sie, denn Kolleginnen sind da um keinen Deut besser.
"Hustet eure Keime auf eure Familie ab"
Wer krank ist, hat Schonung verdient. Das ist ja wohl klar. Ablästern darf man nicht, wenn die Kollegin mit dickem Schal und blechernem Husten in einer Mentholwolke hinter ihrem Schreibtisch leidet. Im Gegenteil, jeder muss sie bedauern und unterstützen. Das ist der zweite Nachteil.
Denn wenn sie zu Hause wäre, dann müsstest du zwar für sie einspringen. Aber du hättest wenigstens freie Hand. Könntest in ihren Unterlagen rumwühlen und dich beschweren, dass in diesem Chaos keiner durchblickt. Aber solange sie aus ihren rotgeränderten Fieberaugen verfolgt, was du so alles anstellst, sind dir die Hände gebunden.

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Und dann ist da natürlich noch die Ansteckungsgefahr. Eigentlich müsste hier der Vorgesetzte einschreiten und sagen: "Also, Freunde, so geht es ja nicht. Wenn ihr krank seid, dann bleibt gefälligst zu Hause und hustet eure Keime auf eure Familienangehörigen ab. Abmarsch, nach Hause!"
Aber so etwas äußern die wenigsten Vorgesetzten. Manchmal bekommen sie die Kranken gar nicht mehr persönlich zu Gesicht. Sie hocken in irgendwelchen Besprechungen und verständigen sich mit ihren Mitarbeitern nur noch über E-Mail oder SMS. Und ihre kleinen menschlichen Schwächen kennen sie nur durch die Aufzeichnungen der Überwachungskameras.
Krank und voller Mitarbeiterpotenzial
Aber auch diejenigen, die ihre Mitarbeiter vom Grippeschal umwickelt vor der Nase haben, schicken die nur selten nach Hause. Warum? Weil sie meinen: Jemand, der es in diesem Zustand auf den eigenen zwei Beinen zu seiner Arbeitsstelle geschafft hat, der ist noch zu ganz anderen Leistungen imstande. So was nennt man "Mitarbeiterpotenziale erkennen und fördern". Zumindest wenn man im Chefsessel sitzt.
Damit kommen wir zum vierten und letzten Nachteil. Und der ist überhaupt am schlimmsten: Wenn sich deine Kollegen halb tot in die Firma schleppen, um leidend ihren Projektbericht abzuschließen oder dem Kunden das Angebot zu mailen, dann wird die Messlatte gewaltig nach oben verschoben.
Was früher als schlimme Krankheit zählte, das ist jetzt völlig normal. Wenn du eine Grippe in dir hochsteigen fühlst, dann konntest du die früher durch ein paar Tage Bettruhe niederkämpfen. Noch bevor sie richtig ausgebrochen war. Prophylaxe hieß das Zauberwort, mit dem wir ganz entspannt unter jeder Grippewelle wegtauchten. Das geht jetzt nicht mehr.
Heute darfst du nur noch zu Hause bleiben, wenn du tot bist. Mit ein bisschen Fieber geht es dir besser als den meisten anderen, bei denen sich das Fieber gar nicht mehr traut auszubrechen. Und ein Bandscheibenvorfall gilt sogar als gutes Zeichen: Du bist der einzige in der Abteilung, der noch ein Rückgrat hat.