In Kooperation mit

Job & Karriere

Klick, klick, krank Wie ich mich selbst als arbeitsunfähig einstufte

Terminabsprache, Wartezimmer, Arztbesuch? Alles unnötig, ein paar Klicks reichen auch: Ein Hamburger Portal offeriert Krankschreibungen im Internet. Wie seriös ist das Angebot? Ein Selbstversuch.

Vier Anläufe brauche ich, bis ich endlich krank bin. Klicke ich Fieber besser über oder unter 38,5 Grad an? Soll ich mir lieber eine verstopfte oder eine laufende Nase attestieren? Und was ist mit Riechstörungen, Schüttelfrost und Heiserkeit? Insgesamt 22 Krankheitssymptome kann ich mit der Maus markieren, um meine angebliche Erkältung zu beweisen.

Die Herausforderung: Längst nicht jede Kombination führt zum Ziel, zu hohes Fieber beispielsweise wird nicht akzeptiert. Bei mir klappt es erst beim vierten Versuch: Ich schaffe es bis zur Krankschreibung und damit zum gelben Schein für den Arbeitgeber.

Was klingt wie ein Computerspiel, ist in Wirklichkeit ein Geschäftsmodell. Seit ein paar Wochen ist die Webseite AU-Schein.de freigeschaltet. Das für Arbeitnehmer möglicherweise verführerische Versprechen: Mit ein paar Klicks kann man hier eine Erkältung beschreiben und bekommt am nächsten Tag eine echte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zur Vorlage beim Arbeitgeber.

AU-Bescheinigung

AU-Bescheinigung

Foto: SPIEGEL ONLINE

"Arzt folgt ihrem Wunsch"

Den Arzt sehen oder wenigstens mit ihm telefonieren? Unnötig, die Kommunikation läuft über WhatsApp. Blutdruckmessen, Brust und Rücken abhören, in Augen, Nase oder Ohren schauen, damit ich nicht betrüge? Überflüssig. Zwölf schnelle Fragen, eine PayPal-Überweisung von neun Euro, fertig. Das Ganze ist, beteuern die Betreiber, juristisch wasserdicht.

"Für wie lange fühlen Sie sich arbeitsunfähig?", heißt es im Formular auf der Webseite. Ein bis drei Tage lassen sich ankreuzen, dann folgt das Versprechen: "Arzt folgt Ihrem Wunsch. Heute ist Tag 1 und unveränderbarer Beginn der AU." Ich klicke auf "3 Tage". Dazu noch die Risikofaktoren ausschließen: Ich bin weder schwanger noch war ich kürzlich auf einer Tropenreise. Noch einmal "weiter" - und dann werden die ganzen Informationen zusammen mit meiner Versicherungsnummer an einen Arzt übermittelt. Ob das wirklich so ist, kann ich natürlich nicht überprüfen.

Screenshot: Einfach ein paar Symptome anklicken

Screenshot: Einfach ein paar Symptome anklicken

Foto: SPIEGEL ONLINE

Diagnose: verschnupfter Emoji

Ein paar Stunden später jedenfalls erhalte ich per WhatsApp eine PDF-Datei mit der AU-Bescheinigung. "Liebe/r Patient/in, Nach Prüfung Ihrer Angaben diagnostiziere ich eine Erkältung", heißt es im Begleittext. Ganz neckisch hat der Verfasser - oder die Antwort-Software - noch ein verschnupftes Emoji dazugesetzt.

Unterschrieben ist der Befund von einem "Privatarzt" aus Lübeck - obwohl die Firma, die das Portal betreibt, in Hamburg sitzt. Egal, wahrscheinlich kooperiert das Unternehmen mit dem Arzt. Und wo der sich durch meine Symptome klickt und mich dann von der Arbeit freistellt, ist mir letztlich ja auch egal, da ich ihn ohnehin nicht besuche.

Nur: Im Verzeichnis der niedergelassenen Ärzte in Schleswig-Holstein taucht der Mann gar nicht auf. Ebenso wenig im Lübecker Telefonbuch. Und Google zeigt unter der angegebenen Adresse zwar eine alte, stilvoll renovierte Lagerhalle, in deren Lofts sich offenbar junge Start-ups niedergelassen haben. Ein Arzt aber ist dort auf Anhieb nicht auszumachen.

Arztgespräch per WhatsApp

Arztgespräch per WhatsApp

Foto: SPIEGEL ONLINE

Ärztekammer rät von Krankschreibung per Internet ab

Carsten Leffmann kennt das Hamburger Krankschreibungs-Portal. Leffmann ist ärztlicher Geschäftsführer der Ärztekammer Schleswig-Holstein, wo der Lübecker Arzt angeblich Mitglied ist. "Als 'Privatarzt' kann man sich jederzeit und überall niederlassen, dann allerdings auch ausschließlich Privatpatienten oder Selbstzahler betreuen", sagt Leffmann. Voraussetzung: ein abgeschlossenes Medizinstudium, an dessen Ende der Staat die Approbation erteilt hat.

Dann darf man sich Arzt nennen und die Heilkunde am Menschen ausüben. Und das seit vergangenem Jahr unter neuen, juristisch noch nicht ganz ausgeleuchteten Rahmenbedingungen: Da wurde das Fernbehandlungsverbot für Ärzte gelockert. Aber diese Lockerung - und das ist für meine Krankschreibung interessant - ist noch nicht überall umgesetzt: beispielsweise noch nicht im Hamburger Landesrecht und in der ärztlichen Berufsordnung der Hansestadt, sagt Leffmann.

Im Klartext: Hamburger Ärzte dürfen die Online-Krankschreibung derzeit nicht durchführen. Das habe, sagt Leffmann unter Berufung auf Medienberichte, der Anbieter des Portals "zumindest kurzfristig dadurch versucht zu umgehen, dass eine rekrutierte Hamburger Ärztin temporär auf schleswig-holsteinisches Landesgebiet gefahren wurde, um von dort aus die anfallenden ärztlichen Aufgaben auszuführen".

Ich stelle mir vor, wie die Medizinerin im Taxi aus Hamburg herausfährt, in einem heruntergekommenen Café 50 Meter hinter der Stadtgrenze ihren Laptop öffnet, schnell elektronisch ein paar gelbe Scheine ausfüllt und sich dann wieder zurück nach Hause bringen lässt. Die Fahrtquittung reicht sie natürlich bei ihrer Steuererklärung ein. Reine Fantasie, sonst nichts. Und für Fieberträume reichen meine Symptome ja auch gar nicht aus.

Gelber Schein auf "Bestellung"

Die Ärztekammer Schleswig-Holstein jedenfalls habe von einer Nutzung des Angebots wegen der rechtlich fragwürdigen Gesamtsituation abgeraten, berichtet Leffmann. Er habe den Verdacht, dass durch das Anklicken der Buttons mit den Krankheitssymptomen die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung "wohl eher maschinell ausgelöst" werde - man könne den gelben Schein also quasi bestellen.

Im Übrigen, so der Ärztefunktionär, sei ärztliche Berufstätigkeit "im Umherziehen" ohnehin nicht erlaubt, "und das bloße Verbringen einer ärztlichen Person auf Landesgebiet" führe auch nicht automatisch zur Mitgliedschaft in der dortigen Ärztekammer. Der letzte Hinweis von Leffmann gilt dem Datenschutz: Messenger-Dienste seien immer wieder von Datenpannen betroffen, deshalb empfehle sich gerade "bei der Übermittlung sensibler Gesundheitsdaten große Vorsicht".

Screenshot: Auch der Anbieter spricht von "Bestellung" der Krankmeldung

Screenshot: Auch der Anbieter spricht von "Bestellung" der Krankmeldung

Foto: SPIEGEL ONLINE

Wer ist mein Arzt?

Ob die Kammer den Aussteller meiner AU-Bescheinigung kennt, will und darf Leffmann nicht sagen. Aber zum Glück hat der Lübecker einen so ungewöhnlichen Namen, dass ich ihn dann doch ziemlich schnell finde: Er firmiert als Arzt und Heilpraktiker, und zwar - in Hamburg.

Was er auf seiner Website offeriert, klingt, sagen wir mal, interessant. Er beschreibt, dass es ihm um ein nettes, direktes und einfaches Miteinander von Menschen geht. Das lässt mich aufhorchen. Vielleicht macht er es mir ja ganz einfach und schreibt mich noch ein bisschen länger krank, über die ersten drei Tage hinaus?

Ich versuche, den Arzt per Telefon zu erreichen. Aber die Handynummer klingelt nur ins Leere, bevor irgendwann der Anrufbeantworter eine Nachricht verlangt.

Gut, dann gehe ich eben wieder arbeiten. Und schreibe diesen Text.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten