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Fotostrecke: Dozent im Nordirak

Foto: Boris Niehaus

Als Dozent im Nordirak Unterricht 150 Kilometer von der Front entfernt

Er vermisst einen guten Kaffee und den "Tatort"-Krimi: Entnervt vom Arbeitsmarkt an deutschen Unis, zog Till Paasche ins wilde Kurdistan. Im Nordirak kämpft der Dozent nun mit bockigen Studenten und entspannt sich bei einer Shisha.

"Ich arbeite und lebe seit knapp über einem Jahr in der Stadt Soran im Nordirak. Ich hatte meinen Doktor in England gemacht, aber der Arbeitsmarkt für Jungakademiker in Europa sah düster aus. Auch in Deutschland gab und gibt es für Wissenschaftler nur befristete Jobs, gerade für Berufsanfänger. Das fand ich extrem frustrierend.

Über einen kurdischen Freund bekam ich Kontakt zur Uni in Soran. Ich habe eine Mail geschrieben und die antworteten: 'Du kannst herkommen, du bekommst eine unbefristete Stelle, du kannst forschen, der Lehrplan ist flexibel.' Ich habe meine Sachen gepackt, mich in Deutschland abgemeldet und bin ausgewandert - war innerhalb einer Woche weg.

Ich habe hier eine klassische Dozentenstelle: Lehre und Forschung. Für einen politischen Geografen ist die Gegend extrem spannend. Der kurdische Norden gehört offiziell noch zum Irak, aber die Regionalregierung hat weitgehende Autonomierechte und verfügt über viel Öl und Gas.

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Das Ausbildungsniveau der Studenten hier ist niedriger. Man muss den Unterricht anpassen. Zudem hat nicht jeder Student einen Laptop mit Internetanschluss. Auch war es für die Studenten zunächst ungewöhnlich, dass sie ihre eigene Meinung aufschreiben und nicht nur Auswendiggelerntes reproduzieren sollten.

Es ist ein ständiger Balanceakt. Ich versuche, die Studenten zu fordern, aber wenn sie Angst bekommen, ich könnte ihnen den Notenschnitt versauen, proben sie auch schon mal den Aufstand. Dann kommen sie nicht zum Unterricht, stehen vor der Tür des Seminarraums. Ich muss mich dann mit den Rädelsführern einigen.

Viele Studentinnen können sich nicht einfach zu Hause hinsetzen und an einer Hausarbeit schreiben, ganz einfach weil sie im Haushalt mithelfen müssen. Es kann schwierig sein, bis die Familie einsieht, dass die Tochter etwas für die Uni machen muss. Dabei liegt der Frauenanteil an der Uni bei 50 Prozent.

Ich muss auch darauf achten, mich nicht alleine mit Studentinnen zu unterhalten, es muss jemand dabei sein, damit keine Gerüchte entstehen, die den Studentinnen schaden könnten. Das liegt weniger an einem konservativen Weltbild, als dass hier sehr viel getratscht wird. Und Gerüchte können fatale Folgen haben. Der Ruf ist wichtig.

Die Front liegt nur 150 Kilometer entfernt

Auf den Alltag in Soran wirkt sich die momentane politische und militärische Krise nicht direkt aus. Die Stadt liegt abgelegen in den Bergen. Selbst unter der Terrorherrschaft von Saddam Hussein waren die Menschen hier oben relativ sicher. Jetzt verläuft die Front etwa 150 Kilometer südwestlich von hier.

Klar, die Krise ist Gesprächsthema, auch deshalb, weil es hier wenig Arbeit gibt und sich viele Männer bei den Peschmerga verdingt haben, der kurdischen Miliz, die gegen den "Islamischen Staat" weiter im Süden die Stellung hält.

Ein mulmiges Gefühl bleibt. Ich glaube nicht, dass die Region von Dschihadisten überrannt wird. Das Problem ist, dass man hier als Europäer auffällt. Meine Eltern waren überhaupt nicht begeistert, als ich mich nach der Sommerpause wieder hierher aufmachte.

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Viele Kurden pflegen einen düsteren Humor: Nachdem ich wieder an der Uni war, offenbarte mir der Vizepräsident, dass mein Kopfgeld als Deutscher gestiegen sei, weil die Bundesregierung Waffen liefere und einem Dschihadisten in Frankfurt der Prozess gemacht werde. Da musste ich schlucken, auch wenn es als Witz gemeint war.

Aber meine Sorgen werden ernst genommen. Hier herrscht ein anderes Verständnis von Sicherheit vor, aber die Unileitung würde mich auch von Deutschland aus arbeiten lassen. Dann könnte ich zwar nicht mehr unterrichten, aber weiter an Publikationen arbeiten - und die sind für die Uni hier wichtig, weil sie sich auf ihr Ranking auswirken.

In meiner Freizeit rauche ich Shisha

Zum Entspannen setze ich mich gerne mit Freunden aufs Dach und rauche eine Shisha. Ich habe mir gerade eine gekauft. Es sind hier tagsüber auch im September noch 35 Grad. Aber abends, wenn es ein wenig abgekühlt ist, gibt es nichts Schöneres, als auf dem Dach zu sitzen, wenn die Sonne hinter den Bergen untergeht.

In Soran gibt es kein Theater oder Kino. Für ein längeres Wochenende fahr ich gerne in die Hauptstadt Arbil: gehe ins Multiplex oder aber in einen Biergarten im Christenviertel von Ankawa. Dort spielen sie auch gerne Bingo. In den Städten gibt es christliche Viertel, wo Alkohol legal verkauft wird. Es ist nicht so, dass die Kurden nicht trinken. Die Läden könnten gar nicht überleben, wenn dort nur Christen kaufen würden.

Die Kurden machen gerne lange Picknicks, mit viel Kebab. Ich bin allerdings Vegetarier. Davon gibt es hier nicht viele, aber meine Marotten werden toleriert. Das habe ich auch meiner Stellung zu verdanken: Wenn man einen akademischen Titel hat, ist hier manches einfacher, dann hat man Narrenfreiheit.

Bei offiziellen Picknicks wissen alle, dass ich kein Fleisch esse und bereiten Alternativen vor, zum Beispiel traditionelles Dalma, Reis mit Walnüssen in Weinblättern eingerollt und gedünstet, mit Tomatensauce. Eigentlich ist die kurdische Küche Vegetarier-freundlich, aber nach Kurdistan kommt man nicht der Küche wegen.

Ich vermisse bestimmtes Essen. Ich kann nicht einfach in den Laden gehen und mir ein Eis kaufen. Ich kriege hier keinen Käse. Ich muss mit Kaffee haushalten, den ich immer mitbringen muss. Hier trinken alle schwarzen Tee.

Hört sich blöd an, aber sonntagabends nicht den "Tatort" zu gucken, vermisse ich ein bisschen. Über Stream im Internet gucken geht nicht, dafür haben wir hier zu wenig Bandbreite. So gut ist der "Tatort" dann auch nicht, dass ich da einen harten Abend mit Stop-and-go verbringen will.

Würde ich zu lange hierbleiben, dann würde das kontraproduktiv werden. Am Karriereanfang ist so ein Aufenthalt noch positiv. Genau weiß ich nicht, wie lange ich bleiben werde. Zehn Jahre wären zu lange. Fünf Jahre vielleicht, drei Jahre mit Sicherheit. Es braucht ein wenig Fingerspitzengefühl, den richtigen Zeitpunkt für den Absprung zu finden."

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