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Landesarbeitsgericht München Arbeitgeber muss Stunden auch bei Vertrauensarbeitszeit parat haben

Vertrauensarbeitszeit bedeutet nicht, dass Arbeitsstunden nicht dokumentiert werden müssen. Nur so könne der Betriebsrat seinen Pflichten nachkommen, entschied das Landesarbeitsgericht München.
Arbeitszeit muss in deutschen Unternehmen zukünftig penibel nachgezeichnet werden (Symbolbild)

Arbeitszeit muss in deutschen Unternehmen zukünftig penibel nachgezeichnet werden (Symbolbild)

Foto: Wolfgang Maria Weber / IMAGO

Seit einem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts aus dem September (Aktenzeichen: 1 ABR 22/21 ) herrscht bei Beschäftigten und Arbeitgebern Unsicherheit darüber, wie Arbeitszeit nachgehalten werden muss.

Das Landesarbeitsgericht München entschied nun in einem Fall aus dem Juli (Aktenzeichen: 4 TaBV 9/22 ), dass Arbeitgeber auch bei Vertrauensarbeitszeit einen Überblick darüber haben müssen, wie viele Arbeitsstunden geleistet werden. Der Betriebsrat kann entsprechende Auskünfte verlangen. Dies sei erforderlich, damit Arbeitnehmervertreter ihre gesetzlichen Aufgaben erfüllen können, argumentierten die Richter.

Was bedeutet Vertrauensarbeitszeit?

Vertrauensarbeitszeit bietet die Möglichkeit, größtenteils ohne zeitliche Vorgaben zu arbeiten. Im Vordergrund steht nämlich nicht die geleistete Arbeitszeit, sondern das Ergebnis. Damit steht die Vertrauensarbeitszeit einem Grundsatz des Arbeitsrechts entgegen: Eigentlich schuldet ein Arbeitnehmer seiner Vorgesetzten nicht den Erfolg eines Projektes, sondern lediglich, dass er seiner Arbeit nachgeht. Meistens einigen sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber bei der Vertrauensarbeitszeit im Vorfeld auf einen grundlegenden Arbeitszeitrahmen. Zu schauen, ob sich die geleistete Arbeitszeit in diesem vereinbarten Rahmen bewegt, ist dabei Aufgabe des Arbeitnehmers und wird vom Arbeitgeber nicht weiter überprüft. Vertrauensarbeitszeit ist vor allem unter Wissensarbeitern, etwa Programmierern, Journalisten oder Designern, verbreitet. Das Modell wird von Gewerkschaften seit Jahren kritisiert , weil es in nicht wenigen Fällen zu unbezahlten Überstunden führt.

Bei Vertrauensarbeitszeit können Beschäftigte weitgehend selbstbestimmt arbeiten. Ohne größere Kontrollen vertraut der Arbeitgeber darauf, dass sie ihre vertraglichen Pflichten erfüllen und die ihnen aufgetragene Arbeit erledigen.

Im Streitfall geht es um den Vertrieb in einem Telekommunikationsunternehmen. Hierzu heißt es in einer Gesamtbetriebsvereinbarung: »Die Mitarbeiter können unter Beachtung der betrieblichen Erfordernisse und der jeweiligen Kundenanforderungen (intern/extern) innerhalb des Arbeitszeitrahmens selbst bestimmen, wann sie die Arbeit aufnehmen und beenden. Dabei haben sie vorrangig die betrieblichen Belange zu beachten. Abweichungen von der Soll-Arbeitszeit sind durch die Mitarbeiter des Vertriebsaußendienstes eigenverantwortlich auszugleichen.«

Vertrauensarbeitszeit heißt nicht, dass nichts dokumentiert werden muss

Der hier klagende Betriebsrat erhielt jeweils zur Monatsmitte eine »Saldenliste« der Gleitzeitkonten des Vormonats. Weil auf diesen Listen die Mitarbeiter im Vertriebsaußendienst fehlten, beantragte der Betriebsrat vor Gericht, das Unternehmen zur Auskunft zu verpflichten. Die vereinbarte Vertrauensarbeitszeit stehe dem nicht entgegen.

Das bestätigten auch die Richter am LAG München. Laut Betriebsverfassungsgesetz müsse der Arbeitgeber alle Informationen übermitteln, die der Betriebsrat zur Erfüllung seiner Aufgaben benötigt. Zu diesen Aufgaben gehöre auch die Kontrolle der Einhaltung der Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes zur Dauer der Arbeitszeit und zu den Pausen. Dieses »betriebsverfassungsrechtliche Verhältnis« zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat werde durch die Vereinbarung von Vertrauensarbeitszeit nicht beeinträchtigt.

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Die Auskünfte zu geben, sei der Firma auch nicht unmöglich. »Die Tatsache, dass sie die Arbeitszeiten der Arbeitnehmer nicht erfasst, steht dem Anspruch nicht entgegen«, heißt es in der Begründung der Richter.

Zwar müsse ein Arbeitgeber dem Betriebsrat grundsätzlich nur solche Informationen bereitstellen, über die er auch verfügt. »Doch gilt dann etwas anderes, wenn der Arbeitgeber die notwendigen Daten nur deshalb nicht hat, weil er sie nicht erheben will«.

Schon 2019 hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass Arbeitszeit erfasst werden muss

Die Informationen lägen bei den Arbeitnehmern, und der Arbeitgeber könne sie sich »unschwer beschaffen«. Im Sinne der Vertrauensarbeitszeit müsse er die gemachten Angaben ja nicht kontrollieren.

Zur Begründung verwies das LAG auch auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg, der am 14. Mai 2019 die Arbeitgeber zur Erfassung der täglichen Arbeitszeiten verpflichtet hatte (Aktenzeichen: C-55/18 ). Erst nach Verkündung des LAG-Urteils hat am 13. September 2022 das Bundesarbeitsgericht in Erfurt entschieden, dass diese Pflicht für deutsche Arbeitgeber unmittelbar und sofort besteht (Aktenzeichen: 1 ABR 22/21 ).

flg/JurAgentur
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