Gründer eines Klettercamps in Laos "Statt eines Vertrags gab es nur einen Handschlag"

Nach acht Jahren verabschiedeten sich Tanja und Uli Weidner aus Laos.
Foto: Tanja Weidner"'Im Dorf hat man mir erzählt, dass hier Chinesen einziehen.' Mit diesen Worten begrüßt mich die Dame, die zwei Häuser weiter wohnt, als ich mich als neue Nachbarin im fränkischen Nankendorf vorstelle. Ich muss laut lachen und würde zu gern wissen, an welcher Stelle der Flüsterpost wir von deutschen Rückkehrern aus Laos zu chinesischen Einwanderern wurden.
Acht Jahre lang haben wir in einem Tal in Laos gelebt, zwölf Kilometer von der nächsten Stadt entfernt, und dort ein Klettercamp betrieben, das wir aus dem Nichts aufgebaut hatten - und das uns zweimal abbrannte.
Tanja Weidner, Jahrgang 1973, wanderte 2011 mit ihrem Mann Uli nach Laos aus und eröffnete dort das Klettercamp "Green Climbers Home". Über ihre Erlebnisse hat sie im Selbstverlag ein Buch geschrieben: "Zwei Kartoffeln in Laos" .
Gestartet waren wir als kraxelnde Backpacker. Zwei Jahre hatten wir gespart, sechs Monate sollte unsere Weltreise dauern. Und dann blieben wir in Laos hängen, einem der am wenigsten entwickelten Länder Südostasiens, von dem ich vor unserer Reise noch nicht einmal gehört hatte, wie ich gestehen muss.
Das Tal, das für acht Jahre unser Zuhause werden sollte, steuerten wir an, weil eine Klettergruppe aus Bamberg dort kurz zuvor fünfzig Kletterrouten eingebohrt hatte. Allein schon der Weg dorthin war atemberaubend. Sobald wir die Stadt Thakek hinter uns gelassen hatten, eröffnete sich ein traumhafter Blick auf eine Karstlandschaft mit sägezahnartigen, in der Morgensonne schimmernden Felsen. Wir verbrachten dort wundervolle Tage und schleichend kam dabei dieser Gedanke hoch: Könnten wir hier ein Klettercamp aufbauen?

Abenteuer Laos
Potenzial für weitere Kletterrouten gab es, und ein lauschiges Plätzchen für Bambushütten fanden wir ganz in der Nähe eines Flusses. Die nächste Stadt war weit genug entfernt, dass potenzielle Gäste sicher lieber direkt am Fels übernachten wollen würden, aber nah genug, um Lebensmittel einkaufen zu können oder zum Arzt zu gehen. Und Thailand, mit guter medizinischer Versorgung, war auch nicht weit weg.
Ausländer dürfen in Laos nur mit einem einheimischen Partner, der die Mehrheit der Anteile hält, eine Firma gründen. Wir fingen an, herumzufragen – und fanden tatsächlich mithilfe des Bamberger Kletterers, der das Gebiet entdeckt hatte, einen Geschäftsmann, der sofort begeistert war von unserer Idee eines Klettercamps. Er würde uns als Angestellte anmelden, Visum und Arbeitserlaubnis wären kein Problem, wir sollten gleich loslegen, sagte er. Auf meinen Einwand, dass ich eine Vorbereitungszeit von zwei Jahren für realistisch hielte, sagte er nur: "Zwei Jahre? Das ist zu spät. Wir können in zwei Wochen starten!"
Ausländer ziehen immer den Kürzeren
Es folgten schlaflose Nächte. Die Ausgangslage war eigentlich gut: Mein Mann Uli und ich sind beide erfahrene Kletterer, er ist ausgebildeter Schreiner, ich habe BWL studiert, früher eine Bar betrieben und besitze als Gymnastiklehrerin auch pädagogisch-didaktische Fähigkeiten. Und wir hatten nicht viel zu verlieren: Zwei Jobs, in denen wir weder Karriere machen wollten noch konnten, eine Mietwohnung in Köln, ein paar alte Möbel, ein uraltes Auto. Klar, Freunde und Familie wären weiter weg, aber ja nicht aus der Welt.
Wir stellten uns vor, was wäre, wenn wir das Angebot ausschlügen und waren uns schnell einig: Wir würden es ein Leben lang bereuen. Und so fiel nur zwei Wochen nach unserer Ankunft in Laos die Entscheidung: Hierhin wandern wir aus.
In den Betreff der E-Mail, in der wir unseren Eltern von den Plänen berichteten, schrieben wir "Ein Geständnis". Zurück kamen seitenweise Bedenken – und unerwarteter Zuspruch. "Ich war 30 Jahre lang als Sesselpupser in der gleichen Firma. Ob das glücklicher macht? Ihr seid echt mutig, ich hätte mich so etwas nie gewagt", schrieb meine Mutter.
Unser Geschäftspartner arbeitete eine Art Vertrag aus, erklärte uns aber gleich, dass wir, wenn es zu Streitigkeiten kommen würde, sowieso keine Rechte hätten. Ausländer zögen immer den Kürzeren, wenn es hart auf hart komme.
Zwei Kartoffeln in Laos: Die Geschichte vom Green Climbers Home - oder der bittersüße Traum vom Auswandern
Preisabfragezeitpunkt
26.03.2023 01.07 Uhr
Keine Gewähr
Rund 45.000 Euro, unsere gesamten Ersparnisse, steckten wir in das "Green Climbers Camp" – ohne jemals ein Papier unterschrieben zu haben. Nach deutschem Ermessen war das der totale Wahnsinn. Aber wir hatten trotzdem ein gutes Gefühl, und das hat uns nicht getäuscht. Acht Jahre lang beruhte unsere Partnerschaft auf Handschlag. Und heute stehen wir finanziell besser da, als wenn wir all die Jahre in Deutschland geblieben wären. Wir haben uns in Franken ein eigenes Haus gebaut, das hätten wir uns sonst wohl nie leisten können.
Mit elf laotischen Angestellten fingen wir an, zuletzt beschäftigten wir zwölf westliche Kletterführer und 30 Laoten. Personal zu rekrutieren war relativ einfach, fast jeder von unseren Mitarbeitenden hatte Geschwister, Nachbarn, Freunde, die bei uns anfangen wollten. Unsere erste Frage an Bewerber lautete: Kannst du lesen und schreiben? Aber wir stellten auch Analphabetinnen ein, und die Zusammenarbeit klappte gut – bis unsere Mädels plötzlich Geister sahen.
Im Personalhaus spuke es, sagten sie und weigerten sich, hineinzugehen. Für unser Empfinden war das natürlich Quatsch, aber unsere Angestellten meinten es ernst. Die Lösung war ein Geisterhaus.

Ein Geisterhaus sollte den Spuk beenden
Foto: Tanja WeidnerManche Laoten haben die spirituell-religiöse Vorstellung, dass allen Objekten der Natur eine Seele oder ein Geist innewohnt. Wenn also ein Grundstück bebaut wird, raubt man den Geistern ihren Lebensraum. Um diesen Verlust zu kompensieren, stellt man das Geisterhäuschen auf, das mindestens genauso schön sein muss wie das neue Haus.
Ich fand die Idee ein bisschen schräg, aber süß. Unser Geisterhäuschen wurde in einer feierlichen Zeremonie eingeweiht und bestückt mit Blümchen, Reis, Früchten und anderen Speisen, einer Zigarette, einer Wasserflasche und einer 7up mit Strohhalm drin.
Ab nun hieß es, alle sieben bis vierzehn Tage neues Obst, Räucherstäbchen und Gestecke auf dem Balkon des Geisterhäuschens fein zu drapieren, um dann mit gefalteten Händen den Geist zu beschwören, uns, das Personal und die Gäste zu beschützen und uns Glück zu bescheren. Aber leider hat das nur bedingt geklappt.
Die erste Katastrophe ereignete sich an Silvester 2012: Unser gesamtes Camp ging in Flammen auf. Die vermeintlichen Konfetti-Bomben hatten sich als Feuerwerkskörper entpuppt. Die Flammen schlugen bis zu 30 Meter hoch. Innerhalb von einer Dreiviertelstunde vernichtete das Feuer alles, was wir in zwei Jahren aufgebaut hatten.
Eine Versicherung hatten wir nicht – aber bei dieser dummen Brandursache hätte sie wohl eh nicht gezahlt. Auch unsere Pässe waren verbrannt. Über die Wiedererlangung des Visums könnte ich ein Buch schreiben. Die Behördengänge waren eine einzige Farce und kosteten etliche Nerven und noch mehr Geld.
Der Brand war natürlich ein herber Rückschlag für uns. Physisch, psychisch und finanziell gerieten wir an unsere Grenzen. "Ich kann nicht mehr", war einer unserer meist gesagten Sätze. Aber wir haben uns gegenseitig aufgefangen, Tag für Tag.
Spenden in Höhe von 50.000 Dollar
Und die Rekonstruktion unseres Camps war viel einfacher als der erste Aufbau. Wir hatten ja immerhin schon fließend Wasser, Strom, Internet, eingearbeitetes Personal und einen Truck. Und weltweit spendeten Kletterer für uns Geld, manche zwei Dollar, andere 1000 Euro. Insgesamt 50.000 Dollar kamen so zusammen. Wir waren echt überwältigt. Einen fünfstelligen Betrag bekamen wir von einem Freund aus Deutschland zinsfrei geliehen. Die letzte Rate haben wir ihm im vergangenen Sommer überwiesen.
Keine drei Monate nach dem Brand stand das Haupthaus wieder, in optimierter Form. Und statt mit Stroh wurden die Dächer nun mit einer Art dunkelgrüner Teerpappe gedeckt. Angeblich feuerfest. Aber dieses Versprechen entpuppte sich leider als falsch.
Ausgerechnet am Eröffnungstag unserer Camp-Erweiterung gab es im Haupthaus einen neuen Brand, diesmal wohl ausgelöst durch einen Kurzschluss. Unser gesamtes Hab und Gut ging in Flammen auf – zum zweiten Mal. Aber zumindest die Bungalows konnten diesmal gerettet werden.
Wieder rappelten wir uns auf. Aber psychisch und physisch waren wir fertig, ausgelaugt, krank. Ich kämpfte mit einem Hörsturz und Schwindel, mein Mann hatte Hüft- und Rückenbeschwerden und litt an einer Depression. Wir sehnten uns nach Dingen, die in Deutschland alltäglich sind: windundurchlässige Wände, Räume ohne Krabbeltiere, ein Bett ohne Moskitonetz, eine Couch. Radiohören beim Frühstück. Schnelles Internet.
8000 Kletterer aus aller Welt beherbergt
Auch wenn ich immer behauptet habe, dass mein Zuhause dort ist, wo Uli ist - irgendwann reicht es nicht mehr, nur seine geistige Heimat bei sich zu wissen. Und Uli, der alle 400 Routen unseres Klettergebiets schon unzählige Male rauf und runter war, fand keine Befriedigung mehr im Klettern.
Da war die rationale Stimme, die uns zurief: Endlich könnt ihr mal anfangen, richtig Geld zu verdienen. Und die emotionale, die sagte: Denkt an eure Gesundheit und wie schön es wäre, mal wieder ein richtiges Zuhause zu haben.
Kaufinteressenten für unser Camp gab es genug. Es vergingen keine drei Minuten, bis die erste Rückmeldung reinkam, minütlich erreichten uns Anfragen. Und im Juni 2019 war es so weit: Wir übergaben das Camp an unsere Nachfolger.
Rund 8000 Kletterer aus aller Welt haben wir in unserer Zeit in Laos beherbergt, viele von ihnen waren sogar mehrmals bei uns. Die Szene kletternder Reisender ist relativ klein, fast an jedem Kletterspot treffen wir jetzt jemanden, der schon mal bei uns war oder jemanden kennt, der uns besucht hat. Das ist ein tolles Gefühl.
Was wir aus Laos mitgenommen haben
Wir haben uns einen Wasserzulauf neben unsere Toilette legen lassen, um dort eine Handbrause zu installieren. Das spart unheimlich viel Klopapier, ist hygienischer und außerdem kann man damit wunderbar die Schüssel reinigen. In Südostasien sind solche Handbrausen Standard - und wir würden nicht mehr auf sie verzichten wollen.
Wir würden gern daran anknüpfen und in unserer neuen Heimat Franken ein Klettercamp eröffnen mit umgebauten Gartenhütten. Bürokratie kann uns nun nicht mehr schrecken – nach allem, was wir in Laos mitgemacht haben, erscheint uns selbst der Papierkram in Deutschland erholsam."