Arbeitnehmerrechte "Karussell für Leiharbeiter"


Stefan Sell, 49, ist Direktor des Instituts für Bildungs- und Sozialpolitik (Ibus) der Hochschule Koblenz. Der Volkswirt und Sozialwissenschaftler leitete in den neunziger Jahren das Arbeitsamt Tübingen.Blog von Stefan Sell: Aktuelle Sozialpolitik
KarriereSPIEGEL: Herr Sell, alle reden über Mindestlohn und Rente, aber im Koalitionsvertrag finden sich auch neue Regelungen für Leiharbeiter: Sie sollen mehr Lohn bekommen und nicht ewig an denselben Auftraggeber entliehen werden. So will man verhindern, dass mit Leiharbeit dauerhaft Löhne gedrückt werden. Sind das sinnvolle Pläne?
Sell: Auf den ersten Blick liest sich das alles gut, auf den zweiten wird es kaum etwas bewirken.
KarriereSPIEGEL: Warum? Nach der Neuregelung sollen Zeitarbeiter nicht länger als 18 Monate in dieselbe Firma geschickt werden. Als billiger Ersatz für feste Mitarbeiter taugen sie so doch nicht mehr.
Sell: Die 18-Monats-Begrenzung betrifft nur die wenigsten Leiharbeiter. 50 Prozent der Entleihungen dauern nicht länger als drei Monate. Schon seit 2011 heißt es im Gesetzestext, dass Entleihungen "vorübergehend" sein sollen. Die 18 Monate sind jetzt eine Konkretisierung dieser Klausel. Die kam übrigens auf Druck der EU zustande.
KarriereSPIEGEL: Aber Extremfälle werden so doch vermieden, oder?
Sell: Kaum, die Leiharbeitsunternehmen werde sich darauf einstellen. Schon jetzt sieht das Karussell für viele Leiharbeiter doch so aus: Sie werden von einer Leiharbeitsfirma angestellt, die verleiht sie an einen Betrieb. Nach der vorgeschriebenen Frist müssen sie dort gehen, werden vom Arbeitnehmerüberlasser gekündigt. Dann sind sie arbeitslos, bis das Spiel von vorne anfängt.
KarriereSPIEGEL: Das ist zulässig?
Sell: In einem gewissen Rahmen schon. Übrigens sind bei der 18-Monats-Begrenzung auch die weiteren Ausführungen im Koalitionsvertrag interessant: Durch einen Tarifvertrag in der Entleihbranche oder einer Betriebsvereinbarung auf Unternehmensebene kann von der 18-Monats-Grenze abgewichen werden. Über die Hintertür käme man dann wieder zum alten Modell.
KarriereSPIEGEL: Eine weitere Neuregelung im Koalitionsvertrag besagt: Nach neun Monaten in demselben Betrieb sollen Leiharbeiter das gleiche Gehalt bekommen wie die Stammbelegschaft.
Sell: Auch davon werden nicht viele profitieren. Wie schon gesagt: Die meisten Entleihungen sind kürzer. Außerdem haben wir das zum Beispiel in der Metallindustrie schon, mit den stufenweise ansteigenden Branchenzuschlägen.
KarriereSPIEGEL: Was wäre denn wirklich wirkungsvoll?
Sell: Eigentlich ist Leiharbeit doch dafür da, dass Firmen kurzzeitige Auftragsspitzen schnell und unbürokratisch auffangen können. Seit die Schröder-Regierung diesen Bereich dereguliert hat, wird er auch zur Lohndrückerei missbraucht. Ein erster Schritt dagegen wäre eine wirklich kurze Begrenzung. In den siebziger Jahren etwa betrug sie drei Monate, bis 2002 waren es zwölf. Am wirkungsvollsten wäre aber equal pay, also die gleiche Bezahlung wie bei der Stammbelegschaft ab dem ersten Arbeitstag.
KarriereSPIEGEL: Wäre das für die Firmen nicht viel zu teuer?
Sell: Tatsächlich wären Leiharbeiter so aus Unternehmenssicht teurer als die Stammbelegschaft, denn sie müssten den vollen Lohn zahlen und die Gebühr an den Verleiher. Aber das ist immer noch billiger, als Aufträge zu verlieren, weil Leute fehlen. Den Firmen ist es sehr viel wert, flexibel reagieren zu können. Und Lohndumping wäre so ausgeschlossen. In anderen Ländern gibt es solche Regelungen längst, zum Beispiel in Frankreich, dort sogar mit einem Zuschlag. Dennoch wird dort nicht weniger Personal entliehen als in Deutschland - aber zu faireren Bedingungen.