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Leiharbeiter "Keiner hat mir gesagt, wo die Toiletten sind"

Heute hier, morgen dort - Leiharbeiter wechseln ständig den Betrieb, regelmäßiger Neustart ist für sie Alltag. Viele Dauer-Debütanten leiden darunter: Sie müssen sich immer wieder beweisen, als vollwertige Kollegen kommen sie nie an.
Die Neue, mal wieder: Leiharbeiter müssen sich andauernd präsentieren

Die Neue, mal wieder: Leiharbeiter müssen sich andauernd präsentieren

Foto: Corbis via Getty Images

Das Ende kam ziemlich unerwartet, wieder einmal. Thomas G. hatte einen eigenen Firmenwagen bekommen, einen Renault, mit dem er zu den Kunden fuhr. Er ging mit seinen Kollegen abends Bier trinken, und als der Chef eines Tages Schnittchen und Getränke im Aufenthaltsraum reichte, musste er nicht abseits stehen. G. war Teil des Teams, verwachsen mit der Elektrofirma.

Anfangs hatte G. nur mit zwei oder drei Wochen gerechnet, aber er blieb, vergaß irgendwann den sorgenvollen Blick in den Kalender und den Gedanken daran, dass er für eine Zeitarbeitsfirma arbeitete. Bis der Chef ihn nach vier Monaten zu sich bat. "Tut mir leid, Thomas", sagte er. "Wir brauchen dich jetzt nicht mehr."

Thomas G., 60, ist inzwischen Frührentner. Und froh darüber. Seine letzten vier Berufsjahre verbrachte er als Zeitarbeiter, nicht freiwillig, sondern um einem Leben in Hartz IV zu entgehen. Sein alter Arbeitgeber hatte Pleite gemacht, und Thomas G., gestandener Elektriker mit Meisterbrief und jahrzehntelanger Berufserfahrung, war mit einem Mal ein Anfänger, ein Anfänger im Sich-ständig-neu-Einfinden.

"Man ist permanent in der Probezeit, man sitzt als Zeitarbeiter immer wieder auf dem Präsentierteller", sagt er. Vier Monate im selben Betrieb, mit eigenem Firmenwagen, das war eher die Ausnahme. Meist dauerten die Einsätze nur ein paar Wochen, oft auch nur Tage, um einen kranken Stammmitarbeiter zu vertreten. Ehe Thomas G. warm werden konnte, kam wieder ein Wurf ins kalte Wasser. "Ist doch klar, dass das auf die Psyche geht."

Nicht jeder leidet unter dem ständigen Neustart

Für Zeitarbeiter ist der Neuanfang alltäglich, und nicht wenige von ihnen leiden darunter. Das bestätigt Manfred Bornewasser, der als Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Greifswald die Folgen der Zeitarbeit untersucht. Allerdings, so Bornewasser, gebe es durchaus Unterschiede innerhalb der Zeitarbeit: "Der Neuanfang wird immer da zur Belastung, wo man wenig Kontrolle über ihn hat", sagt er. "Das betrifft vor allem die Zeitarbeitnehmer, die im Helfergeschäft ohne große Qualifikationsanforderungen tätig sind."

Eine Belastung wird der häufige Wechsel vor allem für diejenigen, denen die Arbeit kaum Erfüllung, kaum Identifikation bieten dürfte. Für diejenigen also, die an einem Tag in einem Baumarkt Kisten packen, am nächsten bei der Ernte helfen und danach Möbel schleppen müssen. Ihnen fehlt, so Bornewasser, das feste Berufsbild, an das sie sich halten können. Und außerdem ein Unternehmen, ein fester Ort, um den herum sie ihren Alltag gestalten können.

Anders ist es bei hohen Qualifikationen: "Ein Anästhesist oder Ingenieur, der in der Zeitarbeit beschäftigt ist, findet seine Bindung nicht unbedingt im jeweiligen Betrieb, sondern in seiner Tätigkeit selbst", sagt Bornewasser. Selbstverwirklichung geht auch an wechselnden Orten, mit wechselnden Kollegen. Für manchen Berufsanfänger mag das Leiharbeiten sogar eine Chance sein - um in kurzer Zeit viel Erfahrung zu sammeln und eventuell irgendwo zu bleiben.

Keinem Anfang wohnt ein Zauber inne

Auf diesen oft beschworenen Klebeeffekt hatte auch Daniela H. gehofft, als sie nach ihrer Ausbildung im IT-Bereich vor acht Jahren in der Zeitarbeit anfing.

Einer der ersten Einsätze führte sie zu einem Callcenter, 130 Kilometer von ihrem Heimatort entfernt. Drei Tage sollte sie bleiben. Als sie am zweiten bei der Firma ankam, teilte man ihr bloß lapidar mit, man habe sie beim Zeitarbeitsunternehmen soeben wieder abbestellt. "Ich musste im Schock die Autobahn zurückfahren", sagt die heute 29-Jährige. "Die ersten Male ist mir das Ganze noch sehr nahegegangen. Aber irgendwann habe ich bemerkt, welches System dahintersteckt. Man ist als Zeitarbeiter eben nur Ware, kein Mensch oder Mitarbeiter."

Sie versuchte trotzdem zu lächeln, als sie bei einem Autozulieferer in der IT-Administration gebucht war. Das Einarbeiten musste ein anderer Zeitarbeiter übernehmen, der Chef hatte dafür keine Zeit. "Keiner hat mir gesagt, wo die Toiletten sind oder die Kaffeeküche. Die findet man irgendwann selbst."

Dass ein Arbeitsplatz vorbereitet ist, wenn sie kommt? Selten. Dass Kollegen sie ins Team integrieren und mitnehmen zum Mittagstisch? Kaum. Manchmal wusste die Stammbelegschaft nicht einmal davon, dass kurzfristig eine Kollegin dazukommt.

Nach den ersten Tagen hat H. sich "einen inneren Schutz" aufgebaut, wie sie sagt, eine lächelnde Maske vor ziemlich viel Ernüchterung. Keinem Anfang wohnt ein Zauber inne. Und zu viel Hoffnung, das hat sie gelernt, kann gefährlich sein.

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