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LGBT+ in der Juristerei Nur Regenbogen reicht nicht

Bei der Aktion "Gesicht zeigen" outen sich erstmals 40 LGBT+-Juristinnen und -Juristen. Dabei hat die Initiative mehr als zehnmal so viele Mitglieder. Warum es in der Branche noch immer so schwer ist, offen zu sein.
Stuart Bruce Cameron: "Man merkt schnell, ob für ein Outing die Umgebung da ist oder nicht"

Stuart Bruce Cameron: "Man merkt schnell, ob für ein Outing die Umgebung da ist oder nicht"

Foto:

Uhlala Group

Als Stuart Bruce Cameron die Kratzer im Lack seines Autos sah, wusste er, dass er wohl nicht mehr erwünscht ist. Cameron war damals Auszubildender bei einem großen Elektromarkt und hatte lange mit sich gerungen, auf der Arbeit offen über seine Homosexualität zu sprechen. "Man merkt schnell, ob für ein Outing die Umgebung da ist oder nicht", sagt Cameron. Sein Schwulsein flog durch Kollegen auf - ohne dass er es gewollt hätte. Fortan holte "die Schwuchtel" die Waren aus dem Lager, Kratzer waren nicht nur im Lack, auch in der Seele. Sie heilten nicht, als Cameron sich seinem Chef offenbarte.

Er verließ das Unternehmen nach der Ausbildung und schwor sich, für das zu kämpfen, was selbstverständlich sein sollte: LGBT+-Menschen sollten im Berufsleben gleiche Wertschätzung erfahren. Das Kürzel LGBT+ steht für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender und weitere Orientierungen, die in den Abkürzungen nicht enthalten sind.

Die Sorge, den Posten zu verlieren, überwiegt noch immer

Heute, mehr als zehn Jahre später, verdient Cameron, 41, sein Geld mit dem Kampf für Gleichberechtigung. 2009 gründete er die Uhlala Group, die etwa Workshops in Unternehmen gibt und besonders LGBT+-freundliche von ihnen zertifiziert. Cameron ist auch Gründer der Sticks & Stones, einer jährlich stattfindenden Karrieremesse für LGBT+-Jobsuchende in Berlin. 2009, im ersten Jahr, beteiligten sich noch acht Arbeitgeber an der Messe. Zuletzt waren es 118.

Eines der Projekte von Cameron und seinen elf Mitarbeitenden ist Alice, ein Karrierenetzwerk für LGBT+-Juristinnen und -Juristen. Zum internationalen Coming Out Day am 11. Oktober zeigt Alice erstmals eine Liste mit 40 von ihnen, die mit Namen und Foto zu ihrer Sexualität stehen. "Gesicht zeigen" heißt die Aktion. 

Es ist eine Liste mit Namen und Fotos von 40 Rechtsanwälten, Partnern und Richtern, die offen zeigen, dass sie queer sind. Eine Premiere in Deutschland. Das Ziel wurde dabei verfehlt. Eigentlich sollten es sogar 100 Juristinnen und Juristen sein. Knapp 600 Mitglieder hat das Netzwerk bereits. "Die Sorge, Mandanten oder den Posten zu verlieren, ist häufig einfach noch zu groß", sagt Cameron.

Zwar ist die Akzeptanz von LGBT+-Menschen am Arbeitsplatz in den vergangenen Jahren gestiegen, trotzdem hat noch jeder dritte Homosexuelle mit Diskriminierung am Arbeitsplatz zu kämpfen. Das zeigt eine gemeinsame Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und der Universität Bielefeld, die die Arbeitsbedingungen von LGBT+-Menschen untersucht hat. Die Juristerei gilt als eine der Branchen, in denen dieses Problem am größten ist.

"Die Juristenwelt ist eine sehr spezielle, wenn man nicht dem Standardabziehbild entspricht", sagt David Scholz, 47. Als Wirtschaftsjurist arbeitete er in großen Kanzleien, mittlerweile hat er sich selbstständig gemacht. Sein Berufsleben begann er als Frau in einer offen lesbischen Beziehung. Die Juristerei, sagt Scholz, "ist ein System von sich selbst reproduzierenden Stereotypen. Das ist noch immer so". Hetero, männlich, weiß.

Gemauschelt wird im Stillen

Die Erfahrungen, über die Scholz und Cameron sprechen, gleichen sich in vielen Punkten. Viele Reaktionen, insbesondere auf seine Geschlechtsangleichung, seien jedoch offener und wärmer gewesen, als er erwartet habe, sagt Scholz. An einem Freitagnachmittag im Jahr 2016 schickte er eine E-Mail an 750 seiner Kolleginnen und Kollegen in der Großkanzlei. Er schrieb darin, dass er ab Montag Herr Scholz, Mister Scholz oder David genannt werden möchte. Mehr als 300 positive und ermutigende Mails kamen zurück. "Das war ein wirklich gutes Gefühl", sagt Scholz.

Dennoch: Scholz erinnert sich auch an all die Kämpfe, die er vor seiner Geschlechtsangleichung führen musste - für sich und für Kolleginnen und Kollegen. Einzelne sexistische Sprüche, sagt Scholz, die habe er über die Jahre so oft gehört: Hätte er dafür jedes Mal einen Euro bekommen, wäre er heute finanziell abgesichert.
Ein Drittel der LGBT+-Menschen ist gegenüber Kollegen nicht geoutet, auch das zeigt die Studie von DIW und Uni Bielefeld .

Netzwerke dürfen sich nicht verschließen

"Abwertung findet häufig hinter vorgehaltener Hand statt", sagt eine Kennerin der Branche dem SPIEGEL. Den Reflex, den sie bei Kanzleien beobachte, beschreibt sie als "informelles Augenrollen". Engagement nach außen: gern. Ginge es aber um konkrete Budgets, darum, LGBT+-Angebote in Kanzleien zu ermöglichen, dann werde es häufig ruhig. "Wenn man kein Budget bekommt, dann ist das Thema auch platt. Da muss man auch nicht viel sagen, das geht dann ganz subtil", sagt sie. Wie notwendig aber genau diese Akzeptanz ist, verdeutlicht auch Scholz: "Wenn ich versuchen muss, dauerhaft etwas zu verstecken, dann geht viel von meiner Arbeitskraft und Kreativität verloren".

Kanzleien und Unternehmen tun sich häufig schwer damit, dieses Problem zu erkennen. "Viele schwenken gern schnell die Regenbogenfahne, haben aber keine Strukturen geschaffen. Das reicht nicht", sagt auch Cameron. Eine Umfrage der Boston Consulting Group unter 4000 Teilnehmenden aus zehn Ländern hat gezeigt, dass LGBT+-Menschen vor allem eines wichtig ist: ein Arbeitsplatz, an dem sie akzeptiert werden. Wichtiger als Geld.

"Wenn ich versuchen muss, dauerhaft etwas zu verstecken, dann geht viel von meiner Arbeitskraft und Kreativität verloren."

David Scholz

In der Juristerei wird, so hart wie in kaum einer anderen Branche, um Talente gebuhlt. "Das verstehen auch die Kanzleien langsam", sagt Scholz. Sie wollen die besten Leute, darum öffnen sie sich. Wie wichtig Aufklärungsarbeit ist, betonen Scholz und Cameron immer wieder. Die Kritik, die sagt, dass Netzwerke und Listen auch dazu führen können, dass sich eine Gruppe noch weiter marginalisiert, kennen sie. Es ginge ihnen in ihrer Aufklärungsarbeit darum, die straight allies, die, die sich für Gleichberechtigung am Arbeitsplatz einsetzen, mitzunehmen.

Bis dahin ist es noch ein bisschen zu gehen, sagen Scholz und Cameron unisono. "Ob in Kanzleien oder in Unternehmen: Wenn ich über Transidentität am Arbeitsplatz spreche, dann schaue ich in so viele große, fragende Augen, dass ich weiß, dass es auch noch in fünf Jahren ein großes Thema ist", sagt Scholz. Cameron will mit Alice bis zum 18. Mai, dem Diversity Day im kommenden Jahr, 100 LGBT+ Juristen und -Juristinnen gewinnen, die bei "Gesicht zeigen" mitmachen. Die ersten 40 Vorbilder sollen Mut machen auf mehr.

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