Anonymes Job-Protokoll eines Piloten "Und dann musst du auch noch in die Gewitterzone"

Zwischen Wunsch und Wirklichkeit ist in vielen Berufen jede Menge Platz. In der Serie "Das anonyme Job-Protokoll" erzählen Menschen ganz subjektiv, was ihren Job prägt - ob Tierärztin, Staatsanwalt oder Betreuer im Jobcenter.
Ich fand Fliegen immer cool, und mit 17 dachte ich mir: warum nicht? Nach dem Abitur bin ich direkt an der Flugschule der Lufthansa in Bremen angenommen worden. Der Beruf liegt bei uns in der Familie, zwei meiner Onkel sind Piloten, außerdem gibt es einige Flugbegleiter. Nach außen hat der Job viel Prestige, die Wahrheit ist aber: Er ist oft langweilig.
Als ich noch Kurzstrecke geflogen bin, hatte ich an fünf Tagen der Woche die erste Maschine von Hamburg nach Frankfurt. Das heißt: jeden Tag um vier Uhr aufstehen. Das war nicht einfach, aber es sollte noch viel anstrengender werden.
Ich bin jetzt 31 Jahre alt und fliege seit zweieinhalb Jahren als Co-Pilot große Lufthansa-Maschinen nach Südamerika: São Paulo, Buenos Aires oder Mexiko-Stadt. Pro Monat habe ich zwischen sechs und acht Nachtflüge, das klingt erst einmal nicht viel, die restlichen Tage braucht man aber dringend für die Erholung.

Die Strecke Frankfurt-São Paulo bin ich schon häufig geflogen. Vom Aufstehen zu Hause in Hamburg bis zur Ankunft in Brasilien bin ich bis zu 30 Stunden am Stück wach. Klar haben wir auf dem Flug Ruhepausen, aber richtig schlafen kann ich dann nicht, es ist laut, die Luft ist mies. Das geht an die Substanz: Ein Pilot, der Langstrecke fliegt, sieht fünf Jahre älter aus als einer, der Kurzstrecke fliegt. Aber Schlafmittel oder so etwas nehme ich trotzdem nie.
In den zweieinhalb Jahren Langstrecke habe ich vielleicht 30 Starts und 30 Landungen durchgeführt. Dabei bin ich hochkonzentriert und angespannt. Nach dem Start schalten wir allerdings in den Vollautomatik-Modus und damit, bei gutem Wetter und ruhiger Luft, in die Langeweile: Nach Südamerika fliegt man immer durch die Nacht, man sieht also nicht mal etwas, mit Glück den Mond. Und wenn wir über dem Atlantik sind, senden wir einmal pro Stunde eine Nachricht. Das war's.
Von den drei Piloten an Bord hat immer einer Pause, wir sitzen daher zu zweit. Meistens kennen wir uns nicht. Mit einigen ist es nett und lustig, bei anderen geht einem schon nach fünf Minuten der Gesprächsstoff aus. Und dann? Lesen dürfen wir eigentlich nicht, die Kapitäne dulden es aber meistens. Doch irgendwann hat man alle Zeitschriften an Bord durch oder ist zu müde zum Weiterlesen.
Pool, Cocktails, Mädels - das stimmt nur manchmal
Dann muss man auf dem Weg nach Südamerika noch durch die Gewitterzone: Du bist über dem Atlantik, alles wackelt und klappert, viereinhalb Stunden lang, du siehst nichts, hast nur das Radar, aber auch das ist oft "trial and error", denn es zeigt die Gewitterzellen in der zweiten oder dritten Reihe nur unzureichend an, du musst dir also einen Weg durch die Gewitter suchen oder versuchen, sie zu umfliegen. Da habe ich mich schon manchmal unwohl gefühlt. Einmal wurde unsere Maschine auf dem Weg nach Mexiko plötzlich 250 Meter nach oben geschleudert. Hinterher war ich froh, wieder Boden unter den Füßen zu haben.
In Buenos Aires haben wir immer zwei Tage frei. Auf dem Hinweg bin ich noch euphorisch, freue mich auf das Steak und den Rotwein. Doch der Rückweg ist bescheuert, ich weiß ja, was mich zu Hause erwartet. Ich wache dann regelmäßig um vier Uhr morgens auf und bin fix und fertig. Der erste Tag wabert dann meistens an mir vorbei.
Dass wir nach den Flügen nur Party machen oder am Pool liegen, mit Cocktails und heißen Mädels, stimmt übrigens nicht. Oder nur manchmal. Als ich vor einiger Zeit in Delhi war, habe ich nichts gemacht, ich hatte keine Lust auf die Stadt. Da blieb ich nur im Hotel und wartete darauf, wieder nach Hause fliegen zu können. Aber in San Francisco, in Los Angeles und in Hongkong bin ich immer unterwegs, meistens mit den Kollegen. Auch in Bangkok wird immer viel gefeiert. In solchen Momenten ist das Crew-Leben schon schön.
Und der Job ist gut bezahlt. 8500 Euro brutto verdiene ich im Monat, und wenn ich in sechs oder sieben Jahren Kapitän werde, kommt noch etwas oben drauf. Finanziell lohnt sich der Beruf also auf jeden Fall.

Lena Greiner (Jahrgang 1981) ist Redakteurin bei SPIEGEL ONLINE. Dieser Text erschien zuerst im UniSPIEGEL 4/2014.

Ausgabe 4/2014
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