Weitsprung-Weltmeisterin über mentale Stärke
»Es gab nur noch diesen Moment«
Der Druck auf Malaika Mihambo bei der WM 2019 war gewaltig: Nach zwei schlechten Sprüngen hatte sie nur noch einen Versuch. Ein Gespräch über mentale Stärke – und wie jeder Gelassenheit lernen kann.
Malaika Mihambo, 26 Jahre, ist eine der besten Leichtathletinnen Deutschlands. Bei der Weltmeisterschaft in Doha 2019 gewann sie die Goldmedaille im Weitsprung. Neben dieser Disziplin tritt sie auch im Sprint an
Foto: Anke Waelischmiller / Sven Simon / imago images
Fast jeder kennt das Gefühl, unter Druck plötzlich zu wackeln. Sätze einer wichtigen Präsentation scheinen plötzlich aus dem Gedächtnis gelöscht, die Hände werden feucht, der Kopf rot. Unter Druck Bestleistungen abzurufen, erfordert mentale Stärke. Malaika Mihambo, Weltmeisterin im Weitsprung 2019, trainiert diese Stärke ganz bewusst: Sie nutzt Meditation, Atemtechnik und Visualisierung.
Hätten wir keine Corona-Pandemie, würden Sie jetzt in den USA mit der Leichtathletik-Legende Carl Lewis trainieren. Was machen Sie stattdessen?
Malaika Mihambo: Ich bin in Deutschland und trainiere beim Bundestrainer. Da bin ich auch sehr gut aufgehoben. Ich habe mit dem Saisonaufbau für das Jahr 2021 angefangen.
Das Jahr 2019 lief für Sie noch bombastisch. Sie waren Weltmeisterin im Weitsprung, Diamond-League-Siegerin. Viele Medien, auch DER SPIEGEL, trauten Ihnen zu, mit dem Umzug in die USA ein internationaler Star der Leichtathletik zu werden. Wie gehen Sie mit dieser Ungewissheit um, nicht zu wissen, wann Sie Ihre Pläne wirklich in die Tat umsetzen können?
Mihambo: Ich bin jemand, der sich immer auf das fokussiert, was gerade als Nächstes ansteht. Und da sind die USA momentan eben nicht ganz weit vorn. Ich fokussiere mich stattdessen auf die aktuelle Trainingswoche und will einfach jetzt das Beste rausholen.
Sind Sie von Natur aus ein gelassener Mensch oder mussten Sie sich das antrainieren?
Mihambo: Ich bin schon eher ein gelassener Mensch. Aber ich habe an Gelassenheit dazugewonnen in den letzten Jahren. Ich beschäftige mich viel mit Meditation – eine sehr gute Strategie, um abzuschalten, sich gleichzeitig aber auch wieder besser konzentrieren und auf das Wichtige fokussieren zu können.
Ich versuche, jeden Tag zu meditieren, mindestens fünfmal die Woche.
Malaika Mihambo
Wie oft und wie lange meditieren Sie?
Mihambo: Ich versuche, jeden Tag zu meditieren, mindestens fünfmal die Woche. Morgens und abends nehme ich mir dafür zwischen 10 und 20 Minuten Zeit.
Hat Meditation für Sie auch einen religiösen Aspekt oder ist es eine rein mentale Übung?
Mihambo: Für mich hat das eher eine mentale Komponente, allenfalls noch eine spirituelle. Ich bin offen und interessiert. Für mich bedeutet Meditation auch, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, sich selbst kennenzulernen und sich zu reflektieren. Um dann eben im Wettkampf, aber auch im Alltag, Dinge verändern zu können.
Wenn Sie sich in einem Wettkampf beobachten, woran merken Sie, dass Sie unter Druck geraten?
Mihambo: Es gibt dafür verschiedene Indikatoren – wenn zum Beispiel der Anlauf nicht mehr passt. Ich merke es auch an meinem Atem, der dann nicht mehr tief, sondern ganz flach wird. Das ist der Punkt, wo ich weiß, jetzt muss ich mich rausnehmen, alles ausblenden und mich auf meinen Atem konzentrieren.
Das Atmen an sich beruhigt Sie schon?
Mihambo: Das Gute ist, dass zwischen Körper und Geist immer eine Feedbackschleife existiert, und die funktioniert in beide Richtungen. Das heißt, man kann sich entweder vom Kopf her beruhigen oder eben den Körper zu Hilfe nehmen. Und wenn man den Körper zu Hilfe nimmt, ist der Atem ein guter Weg. Dadurch senkt sich irgendwann auch der Herzschlag und man beruhigt sich. Das wirkt sich dann auch auf die Gedanken aus.
Der vermutlich spannendste Moment Ihrer Karriere war die Weltmeisterschaft in Doha im vergangenen Jahr. Dort hatten Sie zunächst einen Sicherheitssprung gemacht, dann folgte ein Fehlversuch. Beim dritten Mal durfte dann nichts mehr schiefgehen. Wie haben Sie es in genau diesem Augenblick geschafft, sich von all dem Druck freizumachen?
Mihambo: Das war einfach ein sehr schwieriger Wettkampf. Ich habe mich natürlich vorbereitet. Aber in dem Moment hat es mich doch ein bisschen erschlagen. Der Druck, den ich mir selbst gemacht habe, gepaart mit der Erwartungshaltung von außen. Ich habe gemerkt, dass ich wirklich zu nervös war, viel zu angespannt. Mein Atem war sehr flach. Ich weiß rational längst, wie ich optimal springen muss. Ich wusste auch, was ich bei den ersten beiden Sprüngen falsch gemacht hatte. Von daher ging es dann nur noch um das Unterbewusstsein. Darum, sich selbst auszusteuern. Und da habe ich mich einfach hingesetzt und meditiert. Ich habe diese ganzen negativen Gedanken losgelassen, den ganzen Druck und die Anspannung. Ich habe es dann wirklich geschafft, mich in den Moment hineinzubegeben. Als ich am Anlauf stand, gab es keine Vergangenheit und keine Zukunft mehr, sondern nur diesen Moment und den Sprung, der jetzt anstand. Und es hat geklappt: Ich wurde Weltmeisterin. Ich habe in diesem Wettkampf sehr viel gelernt.
Viele Menschen stehen derzeit unter Druck und Stress. Kann es jeder mit entsprechendem Training schaffen, sich in so einen Zustand im Hier und Jetzt zu versetzen?
Mihambo: Davon bin ich fest überzeugt. Ich habe mit dem Meditieren angefangen, weil es für den Sport dienlich war. Aber auf dem Weg dahin habe ich gemerkt, dass es einfach wichtig ist zu wissen, welche Träume und Ziele man hat, was einen motiviert und welchen Mustern man in den eigenen Gedanken und Handlungen immer wieder folgt. Wer sich selbst hinterfragt, kann ein wesentlich glücklicherer Mensch werden, aber auch viel produktiver sein.
Ich identifiziere mich nicht damit, immer Erste sein zu müssen. Es ist auch okay, wenn ich mal Zweite bin oder Dritte oder gar Vierte.
Malaika Mihambo
Muss man lernen, Grenzen zu setzen, um mit Druck umgehen zu können?
Mihambo: Im Sport habe ich gelernt, mich selbst so zu akzeptieren, wie ich bin. Von daher ist auch mein Erwartungsdruck an mich selbst nicht so hoch. Ich identifiziere mich nicht damit, immer Erste sein zu müssen. Es ist auch okay, wenn ich mal Zweite bin oder Dritte oder gar Vierte. Der Druck von außen ist dann einfach nur das, was man wahrnimmt. Ich versuche, das auszublenden. Ich lese sehr wenig über mich in der Presse und mache einfach mein Ding. Alle Erwartungen von außen, die an mich herangetragen werden, kann ich dann eigentlich mühelos ausblenden, weil ich schon vorher den Druck reduziere und ich dann auch nie überfordert und übermannt bin.
Hat Sie Ihre Entscheidung, in die USA zu gehen, unter Druck gesetzt?
Mihambo: Klar, das war keine einfache Entscheidung. In anderen Sportarten ist es gängig, dass man auch im Ausland trainiert. In der deutschen Leichtathletik aber nicht. Doch bei unüblichen Entscheidungen muss man sich behaupten und zu sich selbst stehen. Und dieser Prozess, zu sich selbst zu stehen, ist eine Geschichte, die niemals wirklich aufhört.
In den USA gibt es elitäre Camps, die auch mit Argwohn beäugt werden. Und das nicht erst, seit Startrainer Alberto Salazar während der WM in Doha im vergangenen Jahr wegen Dopingverstößen für vier Jahre gesperrt wurde. Wo setzen Sie hier Ihre Grenzen?
Mihambo: Für mich persönlich ist das sehr einfach: Mich interessiert nur sauberer Sport. Das ist mein Weg, den ich einschlagen will. Da gibt es für mich keinen Spielraum.
Das heißt, man muss sich einfach vorher klar sagen, wo die Grenzen sind?
Mihambo: Für mich gehört es zu meinem Selbstverständnis, dass Doping keine Möglichkeit ist. Und deshalb konzentriere ich mich einfach auf das, was ich auf natürlichem Weg aus mir rausholen kann. Ich bin fest davon überzeugt, dass die mentale Komponente viel wichtiger ist als die physische. Und da gibt es so viele Möglichkeiten, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen, die viel Erfolg versprechender und spannender sind als Doping.
Sie haben in dem Wettkampf in Doha 2019 irgendwann einen Lippenstift gezückt und sich die Lippen nachgezeichnet. Welches Zeichen wollten Sie damit setzen?
Mihambo: Kein wirkliches Zeichen. Aber im Stadion ist irgendwo immer eine Kamera, die auf einen gerichtet ist. Wie ich da meditiert habe, wurde auch festgehalten. Das sollte auch kein Zeichen nach außen sein, sondern war eher etwas für mich. Ich habe mich wohl in meiner Haut gefühlt und in dem Moment hatte ich eine lange Pause und Zeit, meinen Lippenstift aufzutragen.
Angenommen, diese Pandemie ist vorbei. Wenn Sie dann mit Carl Lewis trainieren können, was möchten Sie als Erstes von ihm lernen?
Mihambo: Noch cooler im Wettkampf stehen zu können. Und er hat auf jeden Fall andere Stärken als ich, von denen ich lernen kann. Es wird sehr spannend werden, mit einem Trainer zusammenzuarbeiten, der selbst Profiathlet war und weiß, wie es ist, bei Weltmeisterschaften unter Druck zu stehen.
Ich habe in dieser Corona-Zeit gelernt, mir erst einmal keine größeren Ziele zu setzen, sondern einfach noch mehr im Kleinen einfach da zu sein.
Malaika Mihambo
Was ist Ihr nächstes großes Ziel?
Mihambo: Ich habe in dieser Corona-Zeit gelernt, mir erst einmal keine größeren Ziele zu setzen, sondern einfach noch mehr im Kleinen einfach da zu sein. Ich denke jetzt eher darüber nach, was ich nächste Woche machen will. Wie viel Zeit will ich für die Uni investieren, wie viel fürs Klavierspielen. Ich habe derzeit eher beschaulichere Ziele.
Vor der Pandemie wurde spekuliert, dass Sie im 100-Meter-Lauf antreten wollen bei Olympia. Ist das noch ein Ziel, bei dem Sie den Regler wieder hochdrehen würden?
Mihambo: Ja, für nächstes Jahr ist das definitiv geplant. Ich habe gemerkt, dass ich sehr gern sprinte, aber hier muss man auch sehr viel für den Erfolg tun. Ich weiß, dass ich das nicht geschenkt bekommen werde und dass ich dafür hart arbeiten muss. Ich bin aber motiviert und freue mich drauf. Und man muss natürlich auch bedenken, dass ich im Weitsprung gerade national an der Spitze stehe und allein auf meinem Niveau bin. Im Sprint gibt es aber sehr viele gute Mädels. Und international ist die Weltspitze noch mal um Längen voraus.
Sie haben mal gesagt, dass Sie irgendwann mal richtig frei sein möchten. Wann soll es so weit sein?
Mihambo: Das ist eine lebenslange Aufgabe. Aber ich muss sagen, ich fühle mich immer freier. Selbstreflexion kann da sehr viel helfen. Wenn man achtsam mit sich umgeht und liebevoll und positiv zu sich selbst ist, dann wird man immer glücklicher, immer freier.
Sie lesen hier Auszüge aus einem längeren Gespräch. Hören Sie im Podcast weiter.
Team A - Der ehrliche Führungspodcast
Astrid (Maier, Xing-Chefredakteurin) und Antonia (Götsch, Chefredakteurin des Harvard Business manager) - deshalb Team A - leiten seit Jahren Teams. Sie sprechen alle zwei Wochen mit Gästen aus Unternehmen und Universitäten offen über starke Führung und das, was Managerinnen und Manager umtreibt.
SPIEGEL+-Zugang wird gerade auf einem anderen Gerät genutzt
SPIEGEL+ kann nur auf einem Gerät zur selben Zeit genutzt werden.
Klicken Sie auf den Button, spielen wir den Hinweis auf dem anderen Gerät aus und Sie können SPIEGEL+ weiter nutzen.
Malaika Mihambo, 26 Jahre, ist eine der besten Leichtathletinnen Deutschlands. Bei der Weltmeisterschaft in Doha 2019 gewann sie die Goldmedaille im Weitsprung. Neben dieser Disziplin tritt sie auch im Sprint an
Foto: Anke Waelischmiller / Sven Simon / imago images