Management trifft Mensch Der Quatsch mit den Teamentscheidungen
Robert ist Abteilungsleiter bei einem größeren Mittelständler. Er hat eine für Führungskräfte ungewöhnliche Vorliebe: Er ist gerne Chef und probiert oft Neues aus - mit all den Nachteilen, die das mit sich bringt.
Stundenlang hört er sich die großen und kleinen Beschwerden seiner Mitarbeiter an, puzzelt die Nächte durch am Urlaubsplan, damit auch alle zufrieden sind, und liest in seiner Freizeit ganz viele Personaler-Zeitschriften. Darin ist immer häufiger die Rede von flacheren Hierarchien, vom demokratischen Unternehmen, von Teams, die mit Apps gemeinsam über die Boni ihrer Mitglieder abstimmen oder sich ihre Chefs selbst wählen. Prima Sache, dachte Robert, der schon als Kind gern Neues ausprobierte, wie zum Beispiel die Monsterrutsche im Waldbad, wo er sich einen Zahn ausschlug.
Neulich galt es, eine Teamleiter-Position neu zu besetzen. Zwei Kandidaten, Erlinger und Schlahkogel, kamen in die engere Wahl, und Robert sah die Stunde gekommen, wieder etwas Neues auszuprobieren. "Warum lassen wir nicht das Team entscheiden?", sagte er und setzte eine "Wahlkampffrist" von drei Wochen, an deren Ende die Abstimmung über den künftigen Teamleiter stünde.
Immer mehr Unternehmen wagen sich an das Experiment mit der Demokratie. Die Umstände sind günstig: Technischer Fortschritt ermöglicht die Teilhabe praktisch aller Mitarbeiter an relevanten Informationen; das Herrschaftswissen, mit dem die Chefs alter Schule ihr Chef-Sein begründeten, löst sich auf. Gleichzeitig steigt das Bedürfnis der Mitarbeiter, Einfluss auf die eigene Arbeit zu nehmen, statt stumpf Befehle zu empfangen.
Die Digitalisierung erlaubt immer individualisiertere Arbeitszeiten, -orte und -methoden. Weil sie das Gegenteil von Hinterzimmerabsprachen und Netzwerkgeklüngel repräsentiert, ist sie ihrem Wesen nach demokratisch.
Und plötzlich explodieren die Kosten
Das alles klingt zauberhaft, bringt aber in der Praxis gewisse Nebenwirkungen mit sich. Da sind die Transaktionskosten, die explodieren, wenn jeder überall mitreden darf und sich kaum noch jemand um die Kunden kümmert. "Man teamsitzt sich zu Tode", wie es Managementberater Reinhard Sprenger böse formuliert. Da ist die Frage der Verantwortung: Wer zahlt eigentlich die Rechnung für falsche Entscheidungen, die getroffen wurden von Menschen, die zwar Mitspracherechte haben, denen aber das Unternehmen nicht gehört?
Und da ist der Faktor Mensch selbst, der im konkreten Fall dann leider oft nicht so rational und klug handelt, sondern hässliche Dinge wie Rache oder Missgunst ins Spiel bringt. Zappos etwa, ein amerikanischer Versandhändler und Vorbild für Zalando, führte vor einiger Zeit eine neue Form der Selbstorganisation ein: In der "Holacracy" gibt es keine Chefs mehr, dafür aber sehr viele Besprechungen. Nach wenigen Wochen kündigten zahlreiche Führungskräfte, die Meetings waren kaum noch beherrschbar, die Firma stand kurz vor der Selbstzerfleischung.
Demokratie hat eben auch schwierige Seiten. Im großen Maßstab kennen wir sie als Trump und Erdogan, im kleinen Reich von Roberts Abteilung hießen sie Erlinger und Schlahkogel. Kaum hatte Robert seine Entscheidung verkündet, wandelten sich die beiden Kandidaten von soliden Kollegen zu kleinen Rasputins.
"Das entscheide ich jetzt einfach so"
Kein Meeting verging, ohne dass Erlinger auf die Vertriebszahlen Schlahkogels verwies, die "leider unter den Erwartungen" lägen. Schlahkogel revanchierte sich mit einem bunten Strauß von Gerüchten über Ehrlingers "unsteten" Lebenswandel. Ehe Robert "Demokratie" sagen konnte, war seine Abteilung in zwei Lager gespalten; an normalen Arbeitsalltag war nicht mehr zu denken. Robert selbst wurde von beiden Parteien heftigst umworben, um Rat gebeten, als unfreiwilliges Testimonial für beide Wahlkampagnen in Szene gesetzt.
Am Abend nach dem Tag, an dem Robert endgültig genug hatte, stieß er beim Vorlesen auf einen bemerkenswerten Satz: "Das entscheide ich jetzt einfach so, weil ich die Mama bin", sagte die Mutter von Conny oder Laura oder irgendeiner anderen literarischen Heldin seiner fünfjährigen Tochter. Noch bemerkenswerter: Die Tochter, erweiterten Mitspracherechten etwa bei den Themen Eis, Fernsehen und iPad-Spielen durchaus nicht abgeneigt, nickte beifällig. "Findest du nicht, die Mama müsste wenigstens erklären, warum sie das so entscheidet?", fragte Robert. Aus großen Kulleraugen ein verständnisloser Blick, dann Belustigung: "Aber sie ist doch die Mama." Wirklich, Papas können echt begriffsstutzig sein.
Am nächsten Tag bat Robert Ehrlinger und Schlahkogel in sein Büro, erklärte sie aufgrund allgemein mangelhafter Soft Skills (siehe die vergangenen Wochen) als ungeeignet für die neue Position und machte Burkel zur Teamleiterin. "Warum?", fragte das Team, und er antwortete: "Weil ich der Abteilungsleiter bin."
Die Personaler-Zeitschriften hat Robert abbestellt. Er liest jetzt lieber Conny-Bücher und "Lauras Stern". Seine nächsten Entscheidungen als Führungskraft will er auf fundierter Grundlage treffen.