
Wirtschaftsausbildung: "Ökonomie ist Gehirnwäsche"
Manager-Ausbildung "Ökonomie ist Gehirnwäsche"
Katja Borns war nach der Schule ein Jahr in Südamerika. Sie hat viel Armut gesehen. Und trotzdem hat sie VWL studiert. Ganz gegen das Klischee.
Die 36-Jährige sagt: "Wenn man Armut sieht, weiß man, dass Geld und Wirtschaft die treibenden Kräfte auf dieser Welt sind." Für ein wirtschaftswissenschaftliches Studium hat sie sich entschieden, weil sie verstehen wollte, wie Volkswirtschaften funktionieren. Warum es Länder gibt, in denen alle arm sind, und andere, in denen man im Überfluss lebt.
Die Realität an der Freien Universität Berlin war für sie ernüchternd: "Ich bin mit großen Fragen ins Studium gegangen. Doch für die gab es gar keinen Raum. Eigentlich habe ich nur gerechnet."
Dennoch hatten nur wenigen Ökonomen die Finanzkrise auf dem Zettel. Zwei Jahre ist es her, da brachten Investmentbanker mit ihrer Glücksspielmentalität die Finanzwelt und ganze Volkswirtschaften fast zum Zusammenbruch. Eigentlich könnte man nun von der Zunft erwarten, dass sie alles tut, damit so etwas nicht wieder passiert. Dass sie bescheidener geworden ist angesichts des Unheils, das sie angerichtet hat. Stattdessen wird schon wieder munter mit Zockerpapieren von der Sorte spekuliert, die die Krise ausgelöst hat, und Banker streichen kräftig Boni ein, als sei nichts gewesen.
Einem beträchtlichen Teil der Wirtschaftselite, das wird dieser Tage immer klarer, mangelt es offenbar am ethischen Bewusstsein. Von allen Seiten wird ein anderer Managertypus gefordert. Einer, der nicht nur für kurzfristige Gewinne seines Unternehmens alles abholzt, sondern der den Acker bestellt, von dem er ernten will.

Wirtschaftsausbildung: "Ökonomie ist Gehirnwäsche"
Da mehren sich auch die Stimmen, die die Ausbildung dieser Manager in Frage stellen. Die universitäre Wirtschaftslehre steht am Pranger. Die Frage ist: Was tun? Wie muss ein Wirtschaftsstudium aussehen, das Absolventen mit gesellschaftlichem Verantwortungsbewusstsein hervorbringt?
Einige Universitäten haben reagiert. Hier und da hat sich in den Lehrplänen ein Seminar zur Wirtschaftsethik eingeschlichen.
Abgesehen davon ist der Blick ins Vorlesungsverzeichnis eher ernüchternd: "Kosten- und Leistungsrechnung, Verwaltungsrecht, Makroökonomie, Mikroökonomie, Finanzierung, Mathematik, Statistik" stehen da beispielsweise auf dem Stundenplan der Bachelors.
"Ein paar Ethikstunden polen Karrieristen nicht um"
Über diese Zusammenstellung kann Lutz von Rosenstiel nur müde lächeln. "Idealisten mit ethischem Bewusstsein können sie damit nicht locken", sagt der Wissenschaftler. Der emeritierte Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie der Universität München hat über viele Jahre in zahlreichen Untersuchungen Studienanfänger bis hin zu ihren ersten Jahren im Berufsleben begleitet. In Interviews hat er hinterfragt, was sie antreibt, mit welchen Beweggründen sie sich für ihr Studienfach entschieden haben und wie sie ihre Arbeitgeber auswählen.
Drei unterschiedliche Menschentypen in der Arbeitswelt hat der Wissenschaftler auf diese Weise identifiziert: die Idealisten, die Freizeitorientierten, die ihren Job in erster Linie als Geldquelle sehen, und die Karrieristen. Von diesem letzten Typus gibt es unter den Wirtschaftswissenschaftlern außerordentlich viele. Und das hat Folgen.
"Moral spielt bei Karrieristen keine große Rolle", so von Rosenstiel. "Moralisch denkende Menschen finden Sie eher bei den Idealisten. Das Problem ist, dass die gar nicht erst Wirtschaftswissenschaften studieren." Und er fügt hinzu: "Mit ein paar Stunden Ethik lässt sich ein eingefleischter Karrierist nicht umpolen."
Kein Bezug zur realen Welt
Wer genau wissen will, wie sie ticken, kann sich wahlweise ein paar der Geschichten aus der Business Class vom Schweizer Bestsellerautor Martin Suter zu Gemüte führen - oder einfach den Ausführungen von Rosenstiels lauschen. Macht und Geld, das seien die Schlagworte, die das Leben der Karrieristen bestimmten, so der Forscher. Gewissensbisse kennen sie nicht. Und womit ihr Unternehmen Geld verdient, sei ihnen relativ schnuppe. Auch ob sie im Marketing oder im Vertrieb landeten, spiele für sie keine Rolle. Sie identifizieren sich von Rosenstiel zufolge mit ihrem Arbeitgeber und vor allem mit dessen Zielen. Für sie seien Entlassungen legitime Maßnahmen zur Kostenreduzierung, und wer nicht mindestens 70 Stunden in der Woche an seiner Karriere bastelt, den halten sie für einen - Low Performer. Vom Typ her das Gegenmodell zu einem Karrieristen.
Das ist es, was der Wirtschaftswissenschaftler am liebsten tut - Modelle entwickeln, mit denen er ökonomische Strukturen und Prozesse untersuchen und erklären will. Menschen spielen in diesen Modellen allerdings so gut wie keine Rolle. Sie werden in aller Regel auf den so genannten homo oeconomicus reduziert, das theoretische Modell eines Menschen, der nie irrational handelt, sondern immer nur im Sinne der eigenen Nutzenmaximierung.
"Ich fand das einfach nur absurd", sagt Borns. "Da geht man von Grundannahmen aus, die an sich schon total realitätsfremd sind, rechnet 'rum, und am Ende steht da eine Zahl, mit der man Prognosen für die echte Welt macht."
Nobelpreisträger geißelt die Mathematisierung des Fachs
Die VWL-Absolventin ist nicht die einzige, die die Wirtschaftswissenschaft methodisch in Frage stellt. Die Formelverliebtheit wird den Ökonomen seit einiger Zeit zum Vorwurf gemacht. Sie würden nur noch in Modellen denken, anstatt nach den Zusammenhängen von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft zu fragen, so die Kritiker, zu denen auch der Nobelpreisträger Reinhard Selten zählt.
Als Ökonom und Mathematiker hat er sich selber an der "Mathematisierung seines Faches" beteiligt. Nun übt er in Interviews immer häufiger Kritik an der Methodik seines Fachs: Die Wirtschaftstheorie sei immer mehr von der Betrachtung des Menschen abgekommen.
Der fehlende Bezug der Modelle zur realen Welt, das ist das, was zum Beispiel auch der Soziologe Wolfgang Streeck kritisiert. "Zählen, messen und beobachten sind wichtig genug, und dabei könnte man es auch belassen", resümiert der Leiter des Bonner Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung nüchtern.
Weitere Angriffspunkt der Kritiker: der Neoklassizismus oder Neoliberalismus, eine Theorie, die Forschung und Lehre der Wirtschaftswissenschaften vor allem in Deutschland flankiert. Dieser Theorie zufolge funktioniert die Wirtschaft dann am besten, wenn man sie einfach machen lässt. Die freien Märkte regulierten alles, der Staat sollt nur die Rahmenbedingungen so setzen, dass Wettbewerb entsteht. Diese Theorie ist in so vielen Köpfen so fest verankert, dass sie vor allem von linken Kreisen gerne als "Ideologie" beschimpft wird.
Tanja von Egan-Krieger spricht zugespitzt von einer "Neoklassischen Doktrin". Diese und nichts anderes bekome man im Studium vermittelt, sagt die Doktorandin im Fach Wirtschaftsethik an der Universität Sankt Gallen. Sie ist im Vorstand einer Gruppe, die den programmatischen Namen "Arbeitskreis postautistische Ökonomie" trägt. Die Kritik des Vereins: Die angehenden Wirtschaftswissenschaftler bekämen in ihrem Studium ein vollkommen einseitiges Denkmuster vermittelt, die neoklassische Modellökonomik.
"Rationaler Egoismus von Kalkulationsautomaten"
Noch schärfer formuliert diese Kritik Wolfgang Streeck. In einem Arbeitspapier zieht er ordentlich vom Leder: In den wirtschaftswissenschaftlichen Studiengängen werde monokulturelle Gehirnwäsche betrieben, heißt es da. Davor müsse man die Studierenden schützen.
Doch wie soll das gehen?
Streeck zufolge muss die Standardökonomie, "mit ihrem vom rationalen Egoismus autistischer Kalkulationsautomaten getriebenen Maschinenmodell einer sozialen Welt", grundsätzlich in Frage gestellt werden. Denn: "Wirtschaft ist ein sozialer Vorgang und die Wirtschaftswissenschaft eine Sozialwissenschaft." Und genau so solle sie auch gelehrt werden.
Weniger radikal fällt die Antwort der postautistischen Ökonomen aus. Sie wollen mehr Vielfalt blühen sehen und würden es schon als großen Fortschritt betrachten, wäre die Wirtschaftslehre nicht ausschließlich der neoliberalen Theorie verhaftet. Schließlich gebe es eine Vielzahl anderer interessanter Theorien. Etwa den Postkeynesianismus oder die ökologische Ökonomik, die in den Hörsälen der Universitäten ein Schattendasein fristeten. "Was nie gelehrt wird, ist, dass alle Theorien aus einem gesellschaftlichen Kontext entstanden sind", sagt Tanja von Egan-Krieger. Deswegen fordern sie und ihre Mitstreiter, dass im Studium vor allem Wirtschaftsgeschichte gelehrt wird.
Als Borns noch studierte, hat sie die Antworten auf ihre Fragen einfach woanders gesucht. Wann immer es ging, flüchtete sie aus der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät und belegte Veranstaltungen anderer Fächer. Was sie rein intuitiv gemacht hat, würden die Kritiker der Wirtschaftswissenschaften jetzt gerne institutionalisieren.
So zum Beispiel Birger Priddat, Ökonom und Philosoph an der Privatuni Witten-Herdecke. Gemeinsam mit seinem Studenten Philip Kovce machte er kürzlich mit einem knackigen Zwölf-Thesen-Papier auf sich aufmerksam. Um eine Zukunft zu haben, so die Grundaussage, müsse sich die Wirtschaftswissenschaft grundlegend ändern. Für die Lehre an den Universitäten empfehlen die beiden einen radikalen Umbruch: "Ökonomie wird nur noch zusammen mit anderen Fächern zu studieren sein; dabei wird man von Wissensvermittlung auf Verstehen, Urteilen und Interpretieren als auszubildende Fähigkeiten umschalten."
Gesucht: Wirtschaft ohne Wirtschaftswissenschaften
Ähnlich schallt es von der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen. Die Privat-Uni ist so etwas wie das Enfant terrible in der Hochschullandschaft, Motto: Wir machen alles anders. "Ein Frage, die uns von Anfang an beschäftigt hat, war: 'Wie kann man Wirtschaft studieren, ohne Wirtschaftswissenschaften zu studieren?'", sagt Stephan Jansen, Präsident der Universität. Die reine Zahlenschubserei ohne auch nur den Versuch einer kritischen Reflektion dessen, was man da treibt - das kritisiert er. Eines seiner Gegenmittel: Ein wirtschaftswissenschaftliches Studium gibt es nur in Kombination. Zum Beispiel mit Kultur- oder Kommunikationswissenschaften.
In Friedrichshafen ist man außerdem schon beim Auswahlverfahren darauf bedacht, sich nicht stromlinienförmige Karrieristen ins Haus zu holen. Kein Numerus clausus und keine Multiple-Choice-Tests entscheiden über die Aufnahme, sondern Antworten auf Fragen, die philosophischen Charakter haben, wie zum Beispiel: "Gibt es eine Idee, die größer ist als sie selbst?"
Katja Borns arbeitet heute in Teilzeit für einen Grünen-Abgeordneten im Bundestag und darüber hinaus freiberuflich für eine Entwicklungshilfeorganisation. Beides sind Tätigkeiten, die sie mit ihrem Gewissen sehr gut vereinbaren kann. Was ihr das Studium gebracht hat? "Ich weiß, wie Wirtschaftswissenschaftler denken und reden. Und damit auch, wie man in Diskussionen ihre Argumentation in Frage stellt."