
Manager mit Burnout Wenn schlechte Chefs stresskrank machen
Nach dem Sommerurlaub im vergangenen Jahr merkte Thomas F.*, 48, dass etwas mit ihm nicht stimmte. Der Vorstandsvorsitzende eines börsennotierten Technologie-Unternehmens fühlte sich kein bisschen erholt. Er erlebte sich als zunehmend reizbar, die Arbeit brachte keinen Spaß mehr.
Nach wenigen Wochen, in denen er "Tag und Nacht voll unter Adrenalin stand", war er ausgelaugt, übermüdet und erschöpft. Hinzu kamen Schwindel und ein Druckgefühl im Kopf, das alsbald zum ständigen Schmerz ausartete. Als sich sein Zustand im Oktober verschlimmerte, googelte Thomas F. nach einer Burnout-Klinik.
Dorthin begab er sich allerdings erst nach einer denkwürdigen Nacht im November: Schweißgebadet hatte sich der Manager im Bett gewälzt. Sein Puls raste seit Stunden auf 170. Und nun setzten Panikattacken ein: eine akute, umfassende Angst, "die er seinem ärgsten Feind nicht wünscht", wie er heute sagt.
Warum hat Thomas F. mit der stationären Behandlung seines Burnout-Syndroms so lange gewartet? Unter anderem deshalb, weil unter Führungskräften das Klischee weit verbreitet ist, das Ausgebranntsein sei eine Art "Ritterschlag" für den Top-Manager. Nach dem Motto: Wer ausgebrannt ist, demonstriert immerhin, dass er wirklich gebrannt hat für den Job.
Doch in Wirklichkeit ist davon wenig zu sehen, wie eine Umfrage des Deutschen Führungskräfteverbands (ULA) belegt (siehe auch Grafiken in der Fotostrecke). In der Business-Welt ist Burnout tatsächlich meist ein Nicht-Thema. Kaum ein Top-Manager bekennt sich öffentlich. Allein, dass im Zusammenhang mit der Ablösung von Hartmut Ostrowski als Bertelsmann-Chef das böse B-Wort fiel, schien vielen schon eine hinterhältige Attacke. Auch Thomas F. will nicht seinen wahren Namen in den Medien lesen.
Dabei gäbe es bei dem Thema durchaus Gesprächsbedarf, wie auch eine exklusive Untersuchung und ein ausführlicher Report im aktuellen manager magazin zeigt: Die Erkrankungszahlen steigen, allein etwa im ersten Halbjahr 2011 basierte jede siebte Krankmeldung auf Burnout oder Depression. Warum sollte all das ausgerechnet mit den Vielbeschäftigten auf der Führungsebene der Unternehmen nichts zu tun haben?
Immerhin: Gleichgültig lässt die Wirtschaftslenker das Thema nicht. Gerade Führungskräften ist bewusst, dass sie in einer immer dynamischeren und komplexeren Welt, in immer schlankeren Strukturen und mit immer größerem Verantwortungsdruck anfälliger werden für chronische Erschöpfung.
Nur ein Drittel findet die Diskussion übertrieben
Das hat auch Thomas F. verstanden, als er nach gut acht Wochen intensiver Gruppen- und Einzeltherapie zurückkehrte in sein Chefbüro. Der Vorstandsvorsitzende geht weiterhin regelmäßig zur Psychotherapie. Er hat jetzt viel mehr Verständnis für jene Mittelmanager der Firma, die schon vor ihm wegen eines Burnout-Syndroms krankgeschrieben wurden - und ein offenes Ohr für alle Kollegen und Mitarbeiter, die fürchten, es könne ihnen ähnlich ergehen wie ihm.
Auch bei der ULA-Studie betrachteten die rund 360 befragen Fach- und Führungskräfte den Burnout nicht als Modediagnose, sondern als ernstzunehmendes Risiko. So geben mehr als drei Viertel der Befragten an, die Häufigkeit beruflich bedingter Burnouts habe in ihrem Umfeld in letzter Zeit zugenommen. Nur gut jeder Dritte ist der Meinung, die Diskussion sei "übertrieben" oder "überbewertet". Doch führen diese Erkenntnisse nicht zu einem offeneren Umgang mit der Krankheit: Stolze 87 Prozent stimmen der Aussage zu, dass Fach- und Führungskräfte eher dazu neigen, das Burnout-Risiko zu unterschätzen oder zu verharmlosen.
Die Brisanz der Umfrage liegt in der Frage nach den Faktoren, die nach Meinung von Fach- und Führungskräften den Burnout begünstigen: Ganz oben stehen, das mag noch wenig überraschen, "wachsende Arbeitsverdichtung" und "Termindruck". Doch gleich darauf folgt "fehlende menschliche und soziale Anerkennung durch Vorgesetzte" - dies halten die Befragten für deutlich gravierender als etwa "fehlende fachliche Anerkennung".
Angst um den Arbeitsplatz, mangelnde Identifikation mit dem Job sowie "gefühlte oder tatsächliche Unterbezahlung" dagegen werden nur von wenigen Befragten als relevante Ursache für chronische Erschöpfung angesehen. Ganz am Schluss der Liste landen übrigens ethische Bedenken gegen die beruflichen Aufgaben.
Zunahme von Burnout ist eine Folge von schlechter Führung
Die Einschätzungen untermauern, was Arbeitsmediziner und Organisationspsychologen seit langem vermuten: Die Zunahme der Burnout-Erkrankungen ist auch eine Folge schlechter Führung. Nicht Arbeit als solche macht krank, auch nicht in verdichteter oder flexibilisierter Form, sondern ihre schlechte Organisation. Dem Termindruck, vielen Sparvorgaben und dem Drang nach permanenter Effizienzsteigerung können weder Unternehmen (die im globalen Wettbewerb stehen) noch einzelne Führungskräfte (die selbst am Erfolg ihrer Firma ein ureigenes Interesse haben) etwas entgegensetzen.
Was sich aber ändern lässt und zudem deutliche Effekte für die Zufriedenheit im Job und damit direkt für die Zahl der Burnout-Erkrankungen haben dürfte, ist die Kultur eines Unternehmens, insbesondere die Führungskultur. Die Frage also, wie Arbeit verteilt, wie strategische Ziele kommuniziert und wie Leistung bewertet wird. Die Antworten der befragten Fach- und Führungskräfte weisen die Richtung, in die es gehen könnte: Gefordert werden vor allem ein "wertschätzender Führungsstil", aktives Feedback und eine starke Autonomie in der Erfüllung der eigenen Aufgaben.
Zwar sehen sich die Manager durchaus in der Pflicht zur Prophylaxe: 97 Prozent fühlen sich selbst für ihre Gesundheit verantwortlich, mehr noch als Vorgesetzte und Arbeitgeber. Eine bessere Führungs- und Firmenkultur könnte dabei helfen - doch die Hoffnung darauf haben die meisten offensichtlich bereits aufgegeben.
Durchgehend mäßige Beurteilung der Unternehmen
Denn was die Prävention von Burnout, aber auch das Verhältnis von Vorgesetzten zu Mitarbeitern angeht, stellen die Befragten ihren Unternehmen durchgehend mäßige Urteile aus. In Schulnoten ausgedrückt liegen die Einschätzungen überwiegend im Bereich zwischen "befriedigend" und "ausreichend".
So wird das Bewusstsein der Unternehmensleitung über die Grenzen der Belastbarkeit von Fach- und Führungskräften im Schnitt mit 3,7 bewertet; das Bewusstsein des Vorgesetzten für die persönlichen Belastungsgrenzen mit 3,2. Selbst Bereiche, in denen zahlreiche Unternehmen in den vergangenen Jahren mit Seminaren, Check-ups und Prophylaxe-Broschüren mächtig aufgestockt haben, fallen in der Bewertung durch: Sowohl Quantität als auch Qualität betrieblicher Präventionsangebote wie etwa das Gesundheitsmanagement bekommen die Note 3,5 - eine gute Vier. Solange sich hier nichts tut, wird die Zahl der Erschöpften weiter steigen.
*Name geändert.

Michael Kröher (links) und Klaus Werle sind Redakteure beim manager magazin.