McKinsey-Brief an junge Consultants Beraten ist Mannschaftssport

Zusammen schwitzen, zusammen jubeln: Wer keine Lust auf Teamarbeit hat, sollte den Traum vom Beraterdasein gleich aufgeben.
Foto: Friedemann Vogel/ Getty ImagesLiebe angehende Berater,
wenn jemand seit 21 Jahren Unternehmensberater ist, dann hat er im Laufe der Zeit viele Ratschläge erteilt und bekommen. Ich bin seit 1990 bei McKinsey. Einen der wichtigsten Hinweise gab mir damals ein Mentor mit auf den Weg: Bleibe Dir selbst treu. Das klang im ersten Augenblick nicht originell und womöglich habe ich zunächst die Relevanz unterschätzt, aber heute weiß ich aus der Zusammenarbeit mit zahlreichen Konzernvorständen: Echte Führungskräfte sind authentische Persönlichkeiten mit Ecken und Kanten. Keine genormten Standardmanager. Wer erfolgreich sein will, darf sich nicht verbiegen.
Das beginnt schon mit dem Start, wenn Sie Unternehmensberater werden wollen. Wir stellen hohe Ansprüche an unsere Einsteiger: Sie müssen analytische Fähigkeiten mitbringen, exzellente Studienleistungen und außeruniversitäres Engagement. Fließendes Englisch setzen wir voraus.
Aber das reicht noch nicht. Menschliche Qualitäten fallen ebenso ins Gewicht. Beratung ist Teamarbeit. Sie werden einen großen Teil Ihrer Zeit in Teamräumen und mit Klienten verbringen, Sie werden präsentieren, interviewen, diskutieren. Wer lieber im stillen Kämmerlein forscht, ist hier fehl am Platz. Wer seine Ellenbogen ausfahren möchte, sollte nicht Berater werden. Unser Beruf bedeutet, sich für Menschen zu begeistern, sich ihre Probleme zu Eigen zu machen und mit ihnen gemeinsam Lösungen zu finden.
Nur wer offen für Neues ist, hat als Berater Erfolg. Dazu gehört es auch, anderen zuzuhören und sie zu respektieren. Sie werden immer wieder in gemischten Teams arbeiten. Das sieht dann etwa so aus: Ihr Projektleiter ist ein koreanischer Ingenieur, mit Ihnen im Team arbeitet eine amerikanische Wirtschaftswissenschaftlerin, Sie selber haben Philosophie studiert. Als Team diskutieren Sie drei gemeinsam über das Markenportfolio eines Unterhaltungselektronikherstellers.
Klingt konstruiert? Keineswegs, das ist keine ungewöhnliche Konstellation in einer internationalen Beratung. Jedes Teammitglied wird seine eigene Perspektive auf die Dinge haben. Da kann es knirschen und krachen, wenn die Argumente aufeinandertreffen.
Für unsere Vorschläge tragen wir die Verantwortung
Hören Sie nie auf, die Dinge zu hinterfragen. Das kann auch heißen, im Sinne der Sache einem Klienten zu widersprechen oder jemandem, der schon länger bei unserer Firma ist und mehr Erfahrung hat. Dazu gehört Mut. Und das kostet Kraft. Aber am Ende wird die Vielfalt an Perspektiven zu einem besseren Ergebnis führen.
Unsere Berater bringen die unterschiedlichsten Biografien mit, aber eines haben alle gemeinsam: Leidenschaft für das, was sie tun. Sie ist unabdingbare Voraussetzung. Denn nur wer überzeugt ist von dem, was er tut, und wer Spaß daran hat, kann die beste Leistung bringen.
Beratung ist kein 9-to-5-Job, die Belastung ist hoch. Wir reisen oft, viele Arbeitstage sind lang. Beraten bedeutet, im Idealfall einen Schritt gründlicher zu analysieren, Aufgaben tief zu durchdringen und aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten. Manchmal müssen wir unbequem sein. Für die Leistungsfähigkeit eines Klienten müssen wir Empfehlungen aussprechen, die umzusetzen einschneidende Veränderungen erfordert. Für diese Vorschläge tragen wir die Verantwortung. Umgekehrt haben wir als Berater die Chance, Großes zu bewegen.
Heute Banker, morgen Automobilexperte
Unser Beruf ermöglicht so viele Wahlmöglichkeiten und so breite Erfahrungen wie kaum ein anderer. Wenn Sie in einer Bank anfangen, lernen Sie eine Bank kennen. Wenn Sie in der Autoindustrie anfangen, lernen sie einen Autohersteller kennen. Wenn Sie in einer Topmanagementberatung anfangen, lernen Sie alle Schlüsselbranchen der deutschen Industrie kennen. Wie weit Sie sich später spezialisieren, das entscheidet jeder für sich. Ich hatte anfangs auch noch nicht geplant, vor allem in der Finanzbranche zu beraten.

Wenn Exoten Berater werden: Protokolle von elf Quereinsteigern
Jeden Einzelnen nach seinen Interessen und Stärken zu fördern, ist ein grundlegendes Prinzip in unserer Firma. Wie jeder Partner bin ich Mentor einiger junger Berater. In unseren Gesprächen ermutige ich sie, immer wieder zu prüfen: Was sind meine Stärken? Wo liegt meine Leidenschaft? Welche Ziele möchte ich erreichen?
Auf dem Weg zum Ziel wählt nicht jeder die kürzeste Strecke - das ist gut so. Für die Beraterlaufbahn heißt das: Nicht jeder legt es darauf an, möglichst schnell die Karriereleiter zum Partner zu erklimmen. Wir ermutigen junge Berater, Erfahrungen jenseits ihrer McKinsey-Laufbahn zu sammeln. Jeder Berater hat bei uns die Option, in jedem Jahr drei Monate aus der Beratung auszusteigen, um seine persönlichen Projekte zu verfolgen. Denn nur ausgeprägte Typen mit vielfältigen Erfahrungen haben das Zeug zur Führungskraft.
Eine Kollegin hat sich eine Auszeit für ein Brunnenbau-Projekt in Bangladesch genommen. Ein anderer hat seinen Traum verwirklicht und ist mehrere Monate mit dem Jeep durch die Wüste gefahren. Dass unsere Berater ihren eigenen Weg gehen, nützt nicht nur ihnen, sondern auch ihren Klienten, denen sie gereift und mit neuen Erfahrungen begegnen.
Liebe angehende Berater, ob Sie Ihre Ziele geradlinig verfolgen oder einen Pfad mit spannenden Haken und Abstechern wählen, das ist allein Ihnen überlassen. Wichtig ist nur, dass Sie Ihren eigenen Weg finden und das, was Sie anfangen, mit Leidenschaft umsetzen. Nur so können Sie sich treu bleiben - und das ist es, was am Ende zählt.
Herzlichst,
Frank Mattern