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Verurteilung eines Jungmediziners Wann Studenten spritzen dürfen

Ein Münsteraner Medizinstudent wurde wegen fahrlässiger Tötung eines Babys verurteilt - er hatte eine falsche Spritze gesetzt. Das Urteil verunsichert Jungmediziner wie Ausbilder. Die Rechtslage ist zwar klar, die Umsetzung im Klinikalltag aber schwierig.
Ärztliche Injektion: Für Studenten nur nach Anleitung erlaubt

Ärztliche Injektion: Für Studenten nur nach Anleitung erlaubt

Foto: Patrick Seeger/ picture-alliance/ dpa

Es ist die Horrorvorstellung jedes Patienten, der in einer Uni-Klinik behandelt wird: Wo Studenten ausgebildet werden, müssen sie auch praktisch lernen. Und das am lebenden Objekt. Zwar finden die meisten Patienten gut, dass Studenten möglichst früh an ihre spätere Aufgabe als Ärzte herangeführt werden. Dennoch ist jeder froh, wenn er selbst von erfahrenen Ärzten behandelt wird.

Der Fall des Münsteraner Medizinstudenten, der durch eine fehlerhafte Medikamentengabe ein Kind getötet hat, führt vor Augen, wie dramatisch die Konsequenzen selbst vermeintlich einfacher Tätigkeiten in der Medizin sein können. Der junge Mann hatte einem Baby fälschlicherweise ein zur oralen Verabreichung gedachtes Medikament injiziert und war in erster Instanz (Urteil hier ) zu einer Geldstrafe von 1800 Euro verurteilt worden. Jetzt milderte das Landgericht Bielefeld das Urteil ab, es reduzierte die Zahl der Tagessätze, der Student darf weiter als Arzt arbeiten, da die Verurteilung nicht in seinem Führungszeugnis auftauchen wird.

Die Frage, die sich Patienten sofort stellen: Darf man das überhaupt, einen Studenten ein Medikament spritzen lassen? Die Antwort ist typisch juristisch: Es kommt darauf an.

"Eigentlich ist das gut geregelt. Es geht ja darum, dass Medizinstudenten vor allem im letzten Ausbildungsabschnitt kurz vor ihrer Approbation an die praktische Arbeit herangeführt werden, die sie nach dem Examen auch in eigener Verantwortung beherrschen müssen", sagt Josef Pfeilschifter, Dekan der medizinischen Fakultät der Goethe-Universität Frankfurt am Main. "Unter ärztlicher Anleitung und Aufsicht darf der Student ärztliche Tätigkeiten ausführen."

Hat der Arzt sich davon überzeugt, dass der Student die Tätigkeit beherrscht, kann der Medizinstudent diese Arbeit begrenzt auch dann durchführen, wenn der Arzt nicht im Raum ist. Klar ist, dass Medizinstudenten von sich aus keine ärztlichen Aufgaben übernehmen dürfen; darüber streiten in Münster die Parteien.

Mit Nachfragen macht sich niemand beliebt

Von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung gibt es eine eigene Vereinbarung (PDF hier ), die juristische Hintergründe erläutert und Praxisbeispiele gibt.

Im Alltag wird es allerdings schwierig: In vielen Krankenhäusern sind Medizinstudenten vor allem - als sogenannte PJ-Studenten - im letzten, dem praktischen Studienjahr als Arbeitskräfte fest eingeplant. Der Übergang vom ärztlichen Auftrag zum selbständigen Erledigen von Aufgaben wie Blutentnahme oder Medikamentengabe ist in der Praxis fließend. Die Studenten müssen hier selbst darauf achten, dass sie nur solche Aufgaben erledigen, die sie auch übernehmen dürfen. Im hektischen Stationsalltag wird allerdings erwartet, dass der PJ-ler Arbeit abnimmt statt zusätzliche zu verursachen. Daher haben viele Studenten das Gefühl, sich durch Nachfragen oder Ablehnen von Aufgaben unbeliebt zu machen.

"Es ist vielen Studenten nicht bewusst, wo die Grenzen verlaufen", sagt die Münsteraner Medizinstudentin Sophie Rhode. "Man macht als Praktikant oder PJ-Student vieles, in der Regel gibt es auch keine Probleme. Man muss aufpassen, dass man selbst den Überblick behält, was man tun darf und was nicht." Viele Kommilitonen hätten aber kein ausreichendes Problembewusstsein dafür, dass Medizinstudenten sich selbst mit der Rechtslage auskennen sollten, um keine Fehler zu begehen.

Die Verantwortung bleibt beim Arzt

Rechtlich sind Ärzte grundsätzlich verpflichtet, Leistungen persönlich zu erbringen. Neben sogenannten höchstpersönlichen Leistungen, die nicht delegierbar sind, kann ein Arzt viele Aufgaben jedoch an andere Ärzte, Pflegekräfte ("nichtärztliche Fachberufe") oder angelernte Kräfte verteilen, also auch an PJ-Studenten.

Die nicht delegierbaren, höchstpersönlichen Leistungen sind zum Beispiel das Gespräch über die medizinische Vorgeschichte des Patienten, die Anamnese, das Stellen der Diagnose und die Entscheidung über die Behandlung. Alle anderen Arbeiten wie etwa das Geben eines Medikamentes oder eine Blutentnahme kann der Arzt grundsätzlich von nichtärztlichen Mitarbeitern erledigen lassen. Allerdings muss er sich davon überzeugen, dass der Mitarbeiter - ob Student oder Krankenpflegeschüler - die notwendige Qualifikation besitzt. Der Arzt muss seinen Helfer anlernen und sich von der korrekten Durchführung überzeugen. Erst dann darf er dazu übergehen, den Mitarbeiter nur noch stichprobenartig zu kontrollieren.

Bei der Medikamentengabe, wie im Fall des Münsteraner Studenten, gibt es Besonderheiten: Wird ein Arzneimittel zum ersten Mal verabreicht, muss dies ein Arzt tun, weil es zum Beispiel zu allergischen Reaktionen kommen kann. Bei ausgebildeten Pflegekräften, die sich bereits unter Aufsicht bewährt haben, kann der Arzt davon ausgehen, dass sie Aufgaben wie eine Blutentnahme beherrschen, bei Medizinstudenten dagegen nicht. Und: Der Arzt muss sich in Rufweite des Studenten befinden, um im Notfall eingreifen zu können. Die Verantwortung trägt in jedem Fall der Arzt.

Heikle Entscheidungen von Assistenzärzten

Nach Einschätzung des Rechtsanwalts und Medizinrechtsexperten Thomas Alexander Peters gibt es die meisten Probleme mit der Delegation ärztlicher Aufgaben nicht mit Medizinstudenten, sondern mit Assistenzärzten. "Häufig treffen Ärzte, die noch keine Fachärzte sind, Entscheidungen, die zu Patientenschäden führen", sagt Peters. "In 15 Jahren habe ich selbst nur einen Fall mit einem Medizinstudenten bearbeitet, aber täglich mehrere mit Assistenzärzten."

Im Krankenhaus werde notwendigerweise sehr viel Arbeit delegiert, so Peters. Dabei würden die Grundsätze der Delegation, die von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung vorgegeben werden, nicht durchgehend beachtet. Gerade das Pflegepersonal müsse viel Arbeit aufgrund genereller Anordnungen übernehmen, obwohl eigentlich im Einzelfall eine ärztliche Anordnung notwendig wäre.

Aus Sicht der Ärztegewerkschaft Marburger Bund sind zwar individuelle Fehler nie ganz auszuschließen. Allerdings müsse gewährleistet sein, dass die Kliniken über ausreichend Ärzte verfügen müssten, so dass die Ausbildung der Medizinstudenten gewährleistet sei. "Jeder PJ-ler muss darauf vertrauen können, dass immer ein Arzt greifbar ist, den er in Zweifelsfällen fragen kann", sagt ein Sprecher. Wegen vieler unbesetzter Ärztestellen bleibe in den Kliniken wenig Zeit für die Ausbildung. Bezüglich der Haftung sei es wünschenswert, wenn die Kliniken die Medizinstudenten von jeglicher Haftung freistellen würden.

Für die Fehlervermeidung bei der Ausbildung von Medizinstudenten sieht der Unfallchirurg Hartmut Siebert vom Aktionsbündnis Patientensicherheit drei Ebenen: Jeder Student müsse selbst die rechtlichen Grundlagen kennen, ebenso sich und seine Grenzen. In den Kliniken gelte es, auf organisatorische Mängel zu achten, die Fehler begünstigen. Schließlich wünscht Siebert sich, dass die medizinischen Fakultäten das Thema Patientensicherheit prominenter in die Ausbildung integrieren.

"In der praktischen Ausbildung ist es eigentlich einfach, weil in jeder Abteilung nur einige wenige PJ-Studenten arbeiten", sagt Siebert. "Da kann man gemeinsam einen Fall oder einen beinahe gemachten Fehler besprechen, um ein Bewusstsein für die Patientensicherheit zu schaffen." Es gehe darum, Fehler nicht zu skandalisieren, sondern aus ihnen zu lernen.


Aktenzeichen: Amtsgericht Bielefeld, 10 Ds-16 Js 279/11-1009/12  (erste Instanz).

Zum Autor

Dennis Ballwieser ist Arzt. In München machte er Narkose, in Hamburg schreibt er über Medizin. Er ist Redakteur im Ressort Gesundheit bei SPIEGEL ONLINE.

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