Karrierefrauen "Der Erfolg war mein Motor"

Abschied von den großen Jungs: Heute führt Michaela Bürger eine Unternehmensberatung mit 30 Mitarbeitern
Zwölf Managerinnen und ihre Geschichten: Hier zeichnen erfolgreiche Frauen ihren Weg nach - und berichten, worauf es ankommt. Heute: Michaela Bürger, Unternehmensberaterin.
"Als ich Ende 2008 meinen Ausweis beim Pförtner der Siemens-Zentrale abgab, spürte ich nur noch Leere, als hätte ich meine Identität zurückgelassen - so sehr war ich mit diesem Unternehmen verschweißt. Die Verbundenheit dauert bis heute an; jede negative Schlagzeile berührt auch mich.
Warum dann mein konsequenter Abschied von Siemens?
Ich bin am Schliersee aufgewachsen. Im Süden Oberbayerns sind die Menschen bodenständig, selbstbewusst, auch ein bisschen rauflustig. Dieses Umfeld hat mich geprägt; dazu wurde mir früh Verantwortung angetragen. Mein Unabhängigkeitsdrang war immer schon so groß wie mein Bedürfnis nach Sicherheit. Anerkennung erhielt man in unserer Familie vor allem bei guten Leistungen; war etwas gut, konnte es auch immer noch besser sein.
Ich hatte Disziplin, Biss, einen hohen Anspruch an mich selbst, mit 17 Jahren das Abitur. Mit 21 als diplomierte FH-Betriebswirtin 'summa cum laude' ging's lückenlos ins Berufsleben - ich wurde Siemensianerin im Bereich Halbleiter und erhielt nach drei Jahren die erste Führungsaufgabe. Fast alle meine Mitarbeiter waren mindestens 10 Jahre älter und viel länger im Unternehmen.
Es geht nur mit perfekter Organisation
Ich stieg zur Personalreferentin auf, heiratete, vier Jahre später wurde unsere Tochter geboren. Ein Kind ist das Schönste und Schwierigste zugleich. Nichts ist mehr, wie es war; vorbei ist es mit unumstößlichen Plänen und Strukturen. Ich wollte berufstätig bleiben und eine intakte Familie aufbauen, hörte aber Vorwürfe, weil ich mich nicht voll meiner Tochter widmete. Auch der Siemens-Chef brauchte einige Monate, bis er überzeugt war, dass ich meiner Führungsaufgabe in Teilzeit gerecht werden konnte. Trotz meiner Standfestigkeit bekam ich durch den ständigen Rechtfertigungszwang ein schlechtes Gewissen.
Dass ich für mein Team jederzeit im Homeoffice oder in der Spielgruppe ansprechbar war, setzte lückenlose Organisation voraus und die Unterstützung meines Mannes, von Familie und Freundinnen. Sonst wäre der Alltag mit Dienstreisen, langen Arbeitstagen, Kinderkrankheiten und der Gründung einer Montessori-Schule nicht zu meistern gewesen. Kam ich müde heim, war unsere Tochter putzmunter und verlangte volle Aufmerksamkeit. Meist schlief ich vor ihr ein.

Managerinnen: "Vorstände bleiben männliche Monokulturen"
Wir sind alle miteinander gewachsen. Im Konzern übernahm ich operative und strategische Aufgaben, verantwortete zentrale Projekte, auch mit Auslandseinsätzen. Mit 34 Jahren wurde ich Mitglied des oberen Führungskreises. Mein Chef hielt eine Ansprache, meine Familie wurde in die Firma eingeladen - und mein Mann mit dem Satz gewürdigt: 'Hinter jeder starken Frau steht ein starker Mann!' Beim Gedanken daran bekommt er noch heute einen dicken Hals.
Zum Vertrag gab es einen Dienstwagen und eine eigene Sekretärin. Wow, dachte ich, jetzt spielst du bei den großen Jungs mit. Du bist oben, hast Einfluss, kannst die Dinge nach deinen Maßstäben ausrichten.
Jeden neuen Chef aufs Neue überzeugen
Nach wenigen Tagen die erste Ernüchterung: Ich wollte einen unserer Personalberater sprechen und nahm den Telefonhörer selbst in die Hand. Riesenfehler, wie ich schnell lernte. Die Chefsekretärin am anderen Ende fragte, aus wessen Vorzimmer ich anrufe. Weibliche Führungskräfte schien es in der Wirtschaftswelt 2001 nicht zu geben, obwohl wir bei Siemens bereits eine Diversity-Offensive gestartet hatten.
Meine acht Chefs in 20 Siemens-Jahren waren allesamt Männer, jeder ein Glückstreffer. Die Persönlichkeit des Vorgesetzten war immens wichtig. Wert- und Qualitätsvorstellungen müssen harmonieren, damit die Zusammenarbeit gelingen kann. Der Erfolg war mein Motor, ich war Mitarbeiterin von männlichen Führungskräften, selbst Führungskraft, Kollegin, Mutter, Ehefrau, große Schwester, Tochter. In solch vielfältigen Rollen lernt man, den Blickwinkel schnell zu verändern und mehrere Bälle in der Luft zu halten.
Ich möchte aber niemandem die Wonderwoman vorgaukeln. Ein enormer mentaler und körperlicher Kraftaufwand ist der Preis. Ich spürte den Druck, mich immer wieder neu zu beweisen, diesen prüfenden Blick: 'Schafft sie das?' Jeder neue Chef musste aufs Neue überzeugt werden.
Hat sie das Spiel der Macht nicht verstanden?
Je höher man aufsteigt, umso schneller dreht sich das Hamsterrad. Die Themen wurden komplexer, das Umfeld wurde politischer. Ich arbeitete direkt mit dem Vorstandsvorsitzenden und seinem Team zusammen, um die Siemens-Schlüsselfunktionen mit den besten Leuten zu besetzen. Die schönste Aufgabe der Welt in einem Unternehmen mit über 100-jähriger Tradition. Aber auch überaus sensibel, als wir 2007/2008 im Zuge der Korruptionsaffäre fast die Hälfte unserer Top-Manager ausgewechselt oder auf neue Funktionen platziert haben.
Es kam der Tag mit dem lähmenden Gefühl: Meine Wertvorstellungen und die der Konzernleitung stimmten nicht mehr überein. Ich kündigte. Viele Weggefährten bei Siemens fanden das übereilt, unklug: Eine Frau mit 40 geht, obwohl sie nur noch eine Ebene zu erklimmen hat, um vielleicht sogar ins Amt eines Vorstands berufen zu werden? Dann hat diese Frau das Spiel der Macht nicht verstanden.
Die gute Nachricht: Ich war in der Position, frei entscheiden zu können, bei welcher Mannschaft ich mitspielen will. Genau das habe ich konsequent getan, ohne die Risiken zu scheuen. Heute bin ich Inhaberin einer Unternehmensberatung mit 30 Mitarbeitern. Wir begleiten Dax-Konzerne und familiengeführte Unternehmen in allen strategischen Personalfragen.
Ich glaube fest daran, dass jeder Mensch in einer sinnvollen Tätigkeit, die ihm Struktur, Zugehörigkeit und Wertschätzung gibt, aufgehen kann. Meine Beobachtung nach 30 Jahren: Oft sind wir zu sehr gefangen in unseren Ängsten und starren Rastern von wichtig und richtig. Davon können wir uns lösen. Wenn wir es nicht wagen, wagt es keiner für uns."